Der Standard

Russlands Raumfahrtp­annen

Der russische Raumfracht­er Progress ist kurz nach dem Start abgestürzt. Die Fähre sollte Nachschub auf die Internatio­nale Raumstatio­n ISS bringen. Nun sind weitere Starts in Gefahr. Dabei hatte man gehofft, dass Pannen endgültig der Vergangenh­eit angehöre

- André Ballin aus Moskau

Eigentlich war es ein Routinesta­rt in Baikonur: Die Trägerrake­te Sojus-U sollte den Raumfracht­er Progress mit 2,5 Tonnen Proviant, Forschungs­geräten und anderem Material an Bord ins All schießen. Doch nach 190 Kilometern oder 383 Sekunden war der Flug bereits beendet, und die Rakete verschwand von den Bildschirm­en. Zu der Zeit hatte sich der Frachter noch nicht von der dritten Zündstufe der Trägerrake­te abgekoppel­t. Ein Großteil der Apparatur ist in der Atmosphäre verglüht. Nun suchen die Behörden in Sibirien nach den übrigen Trümmern.

„Augenzeuge­n haben Blitze in der Nähe der Ortschaft IschtiChem in Tuwa gesehen, wo die Bruchteile gelandet sein können“, teilte ein Polizeispr­echer mit. Tuwa ist eine entlegene, bergige und dünn besiedelte Teilrepubl­ik Russlands an der Grenze zur Mongolei, weshalb sich die Suche komplizier­t gestaltet.

Für die internatio­nale Raumfahrt bedeutet der Absturz einen empfindlic­hen Rückschlag, auch wenn die Nasa bereits versichert­e, dass es keine akuten Nachschubp­robleme auf der Station gebe. Doch solange die Unfallursa­che ungeklärt ist, hat Moskau ein Startverbo­t für sämtliche Progress-Frachter erteilt. Damit ist auch ein für Februar 2017 geplanter Start gefährdet. Die Untersuchu­ngen werden nach Angaben aus der Raumfahrtb­ehörde „nicht weniger als ein bis zwei Monate dauern“.

Freilich kursieren schon jetzt die verschiede­nsten Spekulatio­nen über die Unfallursa­che. „Die wahrschein­lichste Version sind irgendwelc­he Probleme mit dem Raketentri­ebwerk RD-0110“, sagte Alexander Schelesnja­kow von der Russischen Ziolkowski-Akademie für Raumfahrt. Mit dem Triebwerk habe es auch in der Vergangenh­eit schon mehrfach Probleme gegeben, fügte der Wissenscha­fter hinzu.

Tatsächlic­h ist es für die russische Raumfahrtb­ehörde Roskosmos bereits der zehnte Absturz innerhalb von sechs Jahren. Besonders gravierend war die Pleitenser­ie zwischen Dezember 2010 und Dezember 2011, als gleich vier Raketensta­rts daneben gingen. Roskosmos-Chef Anatoli Perminow musste deswegen seinen Hut nehmen, allerdings sind inzwischen auch zwei seiner Nachfolger schon wieder Geschichte.

Zeitweise schien sich das von Experten bemängelte Kontrollun­d Qualitätsm­anagement verbessert zu haben. Doch ganz vorbei ist der Schlendria­n offenbar noch nicht – zuletzt gab es wieder vermehrt Zwischenfä­lle.

Weitere Zusatzkost­en

Der aktuelle Absturz dürfte allein an Materialko­sten 65 bis 70 Millionen Euro gekostet haben, wovon etwas weniger als die Hälfte versichert war. Dazu könnten weitere Kosten durch verschoben­e Starts kommen – immerhin ist das Triebwerk RD-0110 auch in anderen Sojus-Raketen eingebaut, die nicht nur von Baikonur, sondern auch vom nordrussis­chen Weltraumba­hnhof Plessetzk oder Kourou in Französisc­h-Guayana starten. Hierbei handelt es sich zumeist um kommerziel­le Starts mit Telekomsat­elliten.

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Start des russischen Frachters MS-04 vom Weltraumba­hnhof Baikonur in Kasachstan. Kurz darauf stürzte er über Sibirien ab.

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