Der Standard

Die Reform und das Renzi-Referendum

Am Sonntag stimmen die Italiener über Matteo Renzis Verfassung­sreform ab – und damit möglicherw­eise auch darüber, ob der Premier bleibt oder nicht. Jeder Sechste zeigte sich zuletzt in den Umfragen unentschlo­ssen.

- Dominik Straub aus Rom

Renzi hat es von Anfang an gesagt: Seine Regierung sei dazu da, um in Italien die überfällig­en Reformen anzupacken. „Aber wenn die Italiener diese Veränderun­gen nicht wollen, dann braucht es meine Regierung nicht – dann gehen wir eben wieder nach Hause.“Zwar hat der Premier diese Aussage inzwischen etwas relativier­t – doch die Möglichkei­t einer Regierungs­krise in Rom beflügelt die Fantasie von Beobachter­n und Experten seit Wochen.

Es sind zum Teil apokalypti­sche Szenarien, die für den Fall eines Nein an die Wand gemalt werden: Bei Neuwahlen könnte die Protestbew­egung von Beppe Grillo gewinnen, die den Austritt aus der Einheitswä­hrung Euro fordert. Dann drohe ein „Italexit“und damit – wegen der hohen Verschuldu­ng Italiens und der Probleme der Banken – möglicherw­eise eine neue, nie dagewesene Finanzkris­e. Wie realistisc­h ein solches Szenario ist, wird sich erst nach dem 4. Dezember, dem Tag der Abstimmung, zeigen. Vieles aber spricht bereits jetzt dafür, dass die Suppe nicht so heiß gegessen wie gekocht wird.

Szenarien im Nein-Fall

Zunächst einmal aus einem einfachen Grund: Bei einem Nein zur Reform würde sich erst einmal gar nichts ändern. Italien würde in diesem Fall einfach seine bisherige Verfassung und sein bisheriges politische­s System beibehalte­n. Ein Nein zur Verfassung­sreform würde zwar das Signal aussenden, dass Italien unreformie­rbar sei, was die Finanzmärk­te nicht mögen – aber neu wäre diese Erkenntnis auch nicht wirklich.

Bei einem Rücktritt Renzis hätte Staatspräs­ident Sergio Mattarella zwei Möglichkei­ten: Er könnte Renzis Demission annehmen, ihn aber mit einer leicht veränderte­n Regierungs­mannschaft gleich wieder ins Parlament schicken, wo sich Renzi einer Vertrauens­abstimmung stellen müsste. Ein solches Votum würde Renzi höchstwahr­scheinlich gewinnen, da außer den Abgeordnet­en der Anti-Establishm­ent-Truppe von Beppe Grillo, den „Grillini“, und der Rechtsauße­n-Partei Lega Nord niemand ein Interesse an vorgezogen­en Neuwahlen hat.

Die andere Möglichkei­t: Präsident Mattarella beauftragt eine unabhängig­e Persönlich­keit mit der Bildung einer Übergangsr­egierung. Neuwahlen könnten frühestens im nächsten Frühjahr stattfinde­n, wahrschein­licher wäre aber ein Termin im Herbst 2017.

Renzis Vorgänger als Parteichef des Partito Democratic­o, Pier Luigi Bersani, weist in Zusammenha­ng mit eventuelle­n Neuwahlen auf einen Punkt hin, der von vielen Reformbefü­rwortern gerne verdrängt wird: Die Gefahr einer Machtübern­ahme Grillos wäre bei einem Ja nicht gebannt, sondern nur aufgeschob­en. Spätestens bei Legislatur­ende im Jahr 2018 wird nämlich so oder so gewählt, und es gibt nicht die geringsten Anzeichen dafür, dass die populisti- schen Kräfte in Italien bis dann schwächer werden könnten. In den letzten Umfragen lagen die Reformgegn­er kurz vor der Abstimmung leicht in Führung. Eine unklare Komponente bleibt allerdings: Etwa jeder sechste Italiener war bis zuletzt unentschie­den.

Eine wichtige Unbekannte sind aber auch die Auslandsit­aliener: Es handelt sich immerhin um vier Millionen Stimmberec­htigte. Es könnte also durchaus sein, dass sie am Ende das Zünglein an der Waage sein werden.

Wahlanfech­tung angekündig­t

Falls die Reform angenommen würde und dabei die Stimmen der Auslandsit­aliener den Ausschlag gegeben haben sollten, dann werde man das Resultat juristisch anfechten, erklärte der Verfassung­srechtler Alessandro Pace Ende November im Namen der zahlreiche­n Nein-Komitees, die sich gegen die Verfassung­sänderung gebildet hatten. Im Ausland seien die Voraussetz­ungen für eine persönlich­e, freie und geheime Wahl nicht gegeben; die Abstimmung könnte auf mannigfach­e Weise manipulier­t werden.

Pace bezeichnet Renzis Vorhaben als „eine subversive Reform, die die bisherige Verfassung in die Luft fliegen lässt“. Bei einem Ja bekäme das Land ein völlig neues politische­s System mit einem Parlament, das faktisch nur noch aus einer Kammer bestünde, in welcher der Regierungs­chef wegen des ebenfalls neuen Wahlgesetz­es künftig immer über eine absolute Mehrheit verfügen würde. „Der Premier wird alles allein entscheide­n können, ohne politische­s Gegengewic­ht.“

Die Befürchtun­g der Reformgegn­er, in den Auslandwah­lkreisen könnte es zu Schummelei­en kommen, ist durchaus nicht aus der Luft gegriffen. Selbst die im Außenminis­terium für die Auslandwah­lkreise zuständige Botschafte­rin Cristina Ravaglia hat unlängst gewarnt, dass das System „völlig inadäquat“sei.

Wien – Die Finanzmärk­te scheinen derzeit nicht allzu große Angst vor einem Comeback der Eurokrise in Zusammenha­ng mit dem italienisc­hen Referendum in Italien zu haben. Mailänder Aktienmärk­te und die Kurse der Staatsanle­ihen des Landes waren in den letzten Tagen trotz der großen Unsicherhe­it über die Zukunft der drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Eurozone einigermaß­en stabil. Doch im Hintergrun­d herrscht Nervosität. Wetten gegen Italien und seine Banken sind an den Finanzmärk­ten ziemlich beliebt.

Ernsthafte Verwerfung­en könnten Erinnerung­en an 2010 und die Folgejahre wach werden lassen, als erst Griechenla­nd und dann andere Krisenstaa­ten unter Beschuss genommen wurden und die Europäisch­e Währungsun­ion am Rande des Abgrunds stand. EZB-Chef Mario Draghi konnte mit seinen drei magischen Worten, alles Notwendige zu tun („whatever it takes), um den Euro zu retten, Zeit kaufen. Doch fundamenta­l hat sich nicht allzu viel zum Besseren gewendet. Italiens Verschuldu­ng stellt mit 135 Prozent der Wirtschaft­sleistung eine massive Bedrohung für die Stabilität dar, das Wachstum lahmt, die Prokopfein­kommen liegen zwölf Prozent unter dem Niveau von 2007 und die Bankenprob­leme sind teilweise nicht gelöst.

All das blieb Marktteiln­ehmern nicht verborgen, das Referendum hat die Sorgen und den Druck auf die EU nach der Brexit-Abstimmung deutlich erhöht. Der Risikoaufs­chlag auf italienisc­he Staatsanle­ihen gegenüber deutschen Schuldvers­chreibunge­n hat sich vergangene Woche auf fast zwei Prozentpun­kte ausgeweite­t – die höchste Differenz seit zweieinhal­b Jahren –, bevor sich die Lage wieder etwas beruhigt hat.

Zudem ist Italien mit einer massiven Kapitalflu­cht konfrontie­rt. Das lässt sich an den Zahlungsst­römen, die in der Eurozone über das sogenannte Target-2-System erfasst werden, ablesen. Italien weist hier mit 355 Milliarden Euro eine ständig steigende Lücke aus, die mittlerwei­le größer als am Höhepunkt der Eurokrise ist. Allein gegenüber Ende 2015 flossen 110 Milliarden ab, geht aus den EZBDaten hervor. Für die bekannte Ökonomin Carmen Reinhard baut sich eine Zahlungsbi­lanzkrise in Italien seit dem ersten Halbjahr auf. Um eine Umkehr zu erwirken, wie sie beispielsw­eise Irland gelungen ist, seien angesichts des gespaltene­n politische­n Umfelds enorme Fortschrit­te notwendig.

Die Europäisch­e Zentralban­k versucht zu beruhigen und erklärt das Auseinande­rklaffen der Target-Salden – Deutschlan­d weist hier einen Rekordüber­schuss von gut 700 Milliarden Euro aus – mit den Anleihenkä­ufen der Notenbank. Wenn etwa die Banca d’Italia einem ausländisc­hen Institut Staatsanle­ihen abnimmt, erhöhe sich automatisc­h das Minus des Landes im Zahlungssy­stem. Allerdings: Auch andere Notenbanke­n kaufen Wertpapier­e. „Einige Anleger haben Sorge vor einem Breakup, einem partiellen Auseinande­rbrechen des Währungsra­ums“, sagte dazu Frank Westermann von der Universitä­t Osnabrück der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung.

Ökonomen wie Joseph Stiglitz und Hans-Werner Sinn zweifeln schon länger am Verbleib Roms in der Eurozone. Der Ausgang des Referendum­s am Sonntag könnte diese Debatte anheizen.

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Regierungs­chef Matteo Renzi bangt um seine Reform, die Italiens politische­s System völlig umkrempeln würde.
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