Der Standard

Selbstfind­ung in der Hitze der Halle

Viele Leute können von BikramYoga, bei 37 bis 40 Grad Celsius, gar nicht genug kriegen. Doch nicht alle Yoga-Fans können sich für die Lehre eines umstritten­en Gurus erwärmen. Ein Lokalaugen­schein in der Hot Hall.

- Colette M. Schmidt

Bei jener Position, bei der man das Kinn scheinbar fast durch den Brustkorb in einen Lungenflüg­el drückt, kommt man wirklich ordentlich ins Schwitzen – nicht nur wegen der knapp 40 Grad Celsius in der Hot Hall. Der Trainer, der 31-jährige Kayvon aus Manchester, der in einem Hot-Yoga-Studio in Graz regelmäßig Klassen abhält, meint aber, da müsse man durch: Er wisse, dass es schwierig sei, in dieser Position zu atmen, dass man wahrschein­lich glaube, gleich sterben zu müssen, aber – und da wechselt sein sanfter Singsang in einen strengen Ton: „Relax! Breathe!“

Durchnässt bis in die letzte Faser

Jeden Morgen geht es in der Grazer Herrengass­e wie auch in zahlreiche­n anderen Studios in Österreich, die das Yoga bei großer Hitze anbieten, zur Sache. Gefolgt von weiteren Klassen über den Tag verteilt. Eine Einheit dauert 90 Minuten, danach hat man seine Fitnesskle­idung garantiert bis in die letzte Faser durchgesch­witzt. Für Anfänger eine echte Herausford­erung. Jene (wenigen) Männer und Frauen aber, die öfter kommen, berichten oft über einen gewissen Suchtfakto­r, den das „heiße Yoga“auslöse. Die abendliche­n Einheiten seien anspruchsv­oller, weil sie besser besucht seien und die vielen Menschen die Luft im Saal noch etwas schwerer machten, sagt Kayvon.

Wer glaubt, Bikram-Yoga sei eine jahrtausen­dealte Tradition, irrt freilich. Der durchaus umstritten­e Gründer dieser Art von Yoga ist der 70-jährige Yoga-Guru Bikram Choudhury. Der gebürtige Inder lebt in Kalifornie­n und wollte Bikram-Yoga, das er als eine Form des Hatha-Yoga entwickelt­e, sogar als Marke schützen lassen. Anfang 2016 war Bikram Choudhury in den Schlagzeil­en, weil er zu einer Millionens­trafe wegen Mobbings und Belästigun­g verurteilt wurde. Vor über 40 Jahren hatte er ein YogaColleg­e in Kalifornie­n gegründet, wo seine auf 26 Asanas (Körperstel­lungen) und zwei Pranayamas (Atemübunge­n) beruhen- de Lehre unterricht­et wird. Heute kann man von einem Bikram-Imperium sprechen, in über 1200 Bikram-Schulen in den USA und Europa soll das Yoga in aufgeheizt­en Räumen weitergege­ben werden.

Der Nutzen von Yoga bei solch hohen Temperatur­en ist unumstritt­en. Durch das extreme Schwitzen entgiftet der Körper wirksam, und die Kilos purzeln. Man muss aber auch darauf achten, genug zu trinken.

Doch erst nach 20 Minuten in der Hot Hall solle man den ersten Schluck nehmen, rät Kayvon. Die Flasche mit kaltem Wasser, die man zu Beginn der Lektion neben seine Matte stellt, ist – so sich nach 90 Minuten noch etwas in ihr befindet – am Ende lauwarm. Direkt vor den Übungen sollte man weder essen noch trinken – zu groß wäre die zusätzlich­e Belastung für den Körper.

Kayvon, der in England einen Fitnessklu­b leitete und auch Kampfkünst­e lehrte, erklärt weitere Vorteile des Hot Yoga: „Die Muskeln sind sofort aufgewärmt, und man kann sich durch die große Wärme viel besser dehnen.“Gabriela, die ebenfalls im Studio in Graz arbeitet, schätzt wiederum, dass man während der Asanas „alle Sorgen vergisst, man ist völlig darauf konzentrie­rt, alles andere wird ganz klein“.

Die Positionen, die man dabei einnehme, seien, im Vergleich zu jenen von anderen Yoga-Arten, aus dem Leben gegriffen und „vollkommen natürlich“, ergänzt Kayvon. Wenn man später dann, auf einem Bein stehend, die Arme mehrmals vor dem Gesicht umeinander geschlunge­n, dasteht und dabei versucht, das rechte Bein um das linke zu wickeln und dann den rechten Fuß in die hintere, linke Wade zu bohren, wo dieser aber immer abrutscht, weil alles klatschnas­s ist, muss man nochmals über das mit den „vollkommen natürliche­n“Positionen nachdenken. Und lächeln, wenn man dazu noch Kraft hat. Denn die verspiegel­te Wand wirft das Bild eines betrunkene­n Flamingos zurück. Außer bei jenen, die schon routiniert­er sind.

Über Grenzen gehen

Kayvon leitet die Gruppe an, ohne die Übungen selbst mitzumache­n, er begleitet die Schüler mit Anweisunge­n durch die Asanas und gibt jenen Ratschläge, die noch Probleme haben. „Ich finde es großartig“, schwärmt Claudia in der Umkleideka­bine. Sie gehe zurzeit täglich in die Hot Hall und schätze gerade „das leicht Militärisc­he an den Übungen. Man wird angetriebe­n, über seine Grenzen zu gehen, ich brauche so etwas.“Man müsse aber mindestens fünfmal hingehen, bevor es wirklich Sinn mache, erklärt Claudia, die im mittleren Management tätig ist. „Einmal ist keinmal.“

Petra sieht das ganz anders. Sie hat die fünfte Stunde hinter sich gebracht und ist sicher, „das war jetzt auch die letzte, weil ich es nicht richtig finde, nicht auf meinen Körper zu hören, also eine Übung weiterzuma­chen, wenn es wehtut“. Gefragt, was sie beruflich mache, sagt sie: „Ich bin YogaTraine­rin.“Deswegen interessie­re sie sich für verschiede­ne Arten von Yoga. „Aber das hier ist nichts für mich“, weiß Petra. Claudia aber wird sicher am nächsten Tag wieder ins Schwitzen kommen.

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Hot Yoga, hier in einem Wiener Studio: auf Kommando weitertun, wenn es wehtut.

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