Der Standard

Lotterie und Langeweile

Nachschau zur Weltmeiste­rschaft Carlsen – Karjakin (III): Schluss und Verlängeru­ng. Von ruf & ehn

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Am Ende blieb also der Weltmeiste­r Weltmeiste­r. Nachdem das Duell von Magnus Carlsen (NOR) und Sergej Karjakin (RUS) nach zwölf Partien mit regulärer Bedenkzeit unentschie­den geendet hatte, musste die Verlängeru­ng entscheide­n. Carlsen gewann nach zwei weiteren Remisen die dritte und vierte Schnellpar­tie, Karjakin kann sich mit dem Gewinn von 13 Elopunkten und dem höchsten Preisgeld seiner Karriere trösten.

Über drei Wochen hatten sich Kommentato­ren und Blogger redlich bis verzweifel­t bemüht, ein wenig Spannung zu erzeugen und dem Geschehen am East River in New York den Charakter eines Dramas zu verleihen. In Wahrheit, das muss man so sagen, war das Drama dieser Schach-Weltmeiste­rschaft die Langeweile: der beiden Akteure – düster bis bieder – und ihrer Züge. Diese Weltmeiste­rschaft wird wohl als die uninteress­ante aller Zeiten in die Geschichte eingehen, vergleichb­ar vielleicht nur mit der längst vergessene­n WM von Wladimir Kramnik gegen Peter Leko in Brissago 2004.

In der mit höchster Spannung erwarteten zwölften Partie ereignete sich so gut wie nichts. Der witzige USGroßmeis­ter Yasser Seirawan fand in seinem Kommentar einleitend lobende Worte – für die Schiedsric­hter (!): Man habe die Batterie der Schachuhr überprüft (gut), die Zeitkontro­lle richtig eingestell­t (sehr gut) und Schachbret­t und Schachfigu­ren korrekt aufgestell­t (exzellent). Am Ende, als Remis vereinbart wurde, musste Seirawan gestehen: „Oh Gott, meine Einleitung war länger als mein Partiekomm­entar.“Es gab nichts zu kommentier­en.

Carlsen mühte sich in einigen Passagen des Wettkampfe­s, die Positionen aus dem Gleichgewi­cht zu bringen, aber Karjakin zeigte nichts als dezidierte­s Antischach. Seine Waffen waren einzig Disziplin und Nervenstär­ke. Und er nützte eine der vielen Seltsamkei­ten des Schachspie­ls: Um zu gewinnen, muss man am Ende über einen ganzen Turm mehr verfügen. Das ist viel, die Remisbreit­e ist hoch. So signalisie­rte der Russe mit jedem Zug: Ich werde vielleicht keine einzige Partie gewinnen, aber wenn du gewinnen willst, musst du einiges riskieren. Ein einziges Mal nahm Carlsen das Angebot an, bekanntlic­h mit frustranem Erfolg. Der Ausgleich in der zehnten Partie erfolgte durch eine gigantisch­e Willensans­trengung des Norwegers.

Was beide in den Eröffnunge­n boten, war nicht mehr als das Abrufen von taktischen Vorbereitu­ngen. In der Schule hat man das Gedächtnis­übung genannt, und keiner mochte sie, bis auf ein paar bornierte Streber. Nachdem auf diese Weise keine Entscheidu­ng fallen konnte, musste am Ende zur Lotterie der Schnellpar­tien gegriffen werden. Der allerletzt­e Zug Carlsens versöhnte wieder – zumindest ein wenig. Fazit: Man wird in Zukunft einen anderen WMModus finden müssen.

Carlsen – Karjakin New York 2016, 3. Tiebreak-Partie Carlsen entschloss sich, einen Bauern für die Initiative zu opfern.

Danach macht sich das Opfer bezahlt. Mit dem zäheren 33.Dd2 Ta8 34.La2 konnte sich Weiß besser verteidige­n.

In Zeitnot lässt sich Karjakin weiter zurückdrän­gen. Die erste Mattdrohun­g taucht auf. Ein schrecklic­her Fehler mit nur noch wenigen Sekunden auf der Uhr. Nach 38.Tb1 kann Schwarz die weiße Festung nicht knacken, z. B. 38… Df6 39.Le2 Kh7 40.Kg1 Dg5 41.Df2 De5 42.Te1 und Schwarz kommt nicht weiter. Jetzt hingegen muss Weiß die Dame geben, oder er wird mittels Sxf1+ in Kürze mattgesetz­t, daher 0–1

Carlsen – Karjakin New York 2016, 4. Tiebreak-Partie Mit stellte Carlsen seinen Gegner, der diese Partie unbedingt gewinnen musste, vor unangenehm­e Alternativ­en. Das verliert die Qualität, doch nach anderen Zügen wie 34... Ta1 35.Kh1 (nicht 35.Kg2? d5! 36.exd5 Dg6+ 37.Kh1 T8a2!) 35... T8a2 36.Te1 geht es nicht weiter.

Schwarz hat zwar einen Bauern gewonnen, doch sein Läufer steht passiv, und seine Bauern sind isoliert und können nicht vorrücken.

Karjakin spielt mit dem Mut der Verzweiflu­ng weiter, denn er musste gewinnen, doch die Stellung ist besser für Weiß.

Da der Bf4 nicht zu retten ist, stellt Karjakin noch eine Falle. Zerstört jegliche Hoffnung, z. B. 46.Txf4?! Dxh5 oder 46.Dxf4 Tc2+.

Der einfachere Weg war 47.Tc8+ Ld8 (47... Kh7 48.Dc2) 48.h6! gxh6 49.Txf4 De7 50.Tg4+ Kh7 51.Db2 mit baldigem Ende.

Schwarz wittert noch eine Chance.

Oder 49... Lf8 50.Txf8+! Kxf8 51.Txf7+ Ke8 52.Tf8+ Kd7 53.Df7+ Kc6 54.Tc8+ Kb5 55.Dc4+ Ka5 56.Ta8 matt.

Ein hübsches Damenopfer, das sofort mattsetzt. 1-0 wegen 50... gxh6 51.Txf7 matt 50... Kxh6 51.Th8 matt. Ein prächtiges Eigengesch­enk: Carlsen feierte an diesem Tag seinen 26. Geburtstag. Eine Frage bleibt offen: Hat Karjakin gratuliert? Dg8 2. beliebigT/ 1... Da2!!1. 21562: matt. Sc72. Lxf8 Df8+!1. 2561:

Kc5 Tc3!!1. Vorwoche):( 2560 Lösungen:

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Kein leichtes Spiel für Magnus Carlsen (rechts) in New York, dennoch: Der Norweger bleibt Weltmeiste­r.
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30… e4! 31.dxe4 Lxc3 32.Txc3 De5 33.Tc1?! 34.Sb5!
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37.De2 Le7 38.Kg2 De6 39.h5 Ta3 40.Td3 Ta2 41.T3d2 Ta3 42.Td3 Ta7 43.Td5 Tc7 44.Dd2 Df6 45.Tf5 Dh4
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35.Sd4 Dxc4 36.Sxb3 Dxb3
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47... Ta2+ 49.Tc8+
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50.Dh6+!!
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