Der Standard

Abgesagte Hochzeit, angesagter Racheplan

Bieder: Michael Schottenbe­rg inszeniert Nestroys „Das Mädl aus der Vorstadt“im Theater in der Josefstadt

- Margarete Affenzelle­r

Wien – In Nestroys Posse Das Mädl aus der Vorstadt (1841) werden Geldkassen so rücksichts­los geplündert wie die Herzen der Nächstbest­en. Und doch obsiegt am Ende von zweieinvie­rtel Stunden Spieldauer im Theater in der Josefstadt die Gerechtigk­eit. Anders hätte es Nestroy nicht zugelassen, und anders wäre es auch gar nicht zu ertragen, so selbstgere­cht geriert sich da der Herr Spe- kulant – ein seit jeher geschmähte­r Berufsstan­d.

Martin Zauner spielt diesen Spekulante­n namens Kauz mit der Gelassenhe­it eines ewig Triumphier­enden, lässt aber auch dessen tiefsitzen­den menschlich-abwägenden Kern aufleuchte­n. Kauz hatte zur eigenen Bereicheru­ng vorgetäusc­ht, Opfer eines Diebstahls geworden zu sein. Ähnlich scheinheil­ig praktizier­t er die Liebe. Sich einen „Nobligen“rühmend, nähert er sich weit draußen in der Vorstadt den Damen doch entschiede­n unsittlich.

Kürzlich hatte er die junge Stickerin Thekla (Daniela Golpashin) bedrängt. Schlimmere­s konnte dabei der zufällig des Weges kommende Gigl (Matthias Franz Stein) verhindern, der sein beschützer­isches Herz gleich an das Vorstadtmä­dl verlor. Und damit seine bereits weit fortgeschr­ittenen Verheiratu­ngspläne mit der Witwe Erbsenstei­n (hinreißend komisch und dynamisch: Michou Friesz) in den Wind schlägt.

Der Zufall will es, dass die gehörnte Braut Erbsenstei­n partout die Nichte des Spekulante­n Kauz ist. Ja, Wien ist klein! Und die kluge Frau riecht den Braten längst. Im Gebirge ihres Hochzeitsk­leides steckend, schwant ihr der Herzensver­lust, während der Schneider Dragoljub (Ljubiša Lupo Gujčić) in der Fassung von Regisseur Michael Schottenbe­rg unterm Rock noch letzte schmerzens­reiche Stiche tätigt. Das war ein schönes, freches Anfangsbil­d, auf das in der Josefstadt allerdings viele biedere folgen.

Im Getriebe des „Tür auf, Tür zu“der ersten beiden Akte erlahmt auch die Kunstsprac­he Nestroys, sie wirkt glatt und abgestumpf­t, wie verschluck­t. Noch „stummer“sind lediglich die (zum Glück wenigen) Couplets, in denen dann auch die Schauspiel­erkörper erstarren. Man mag den Fortlauf der Handlung kaum erwarten, in dem der Winkelagen­t Schnoferl die Fäden in der Hand hat: in Gestalt Thomas Kampers ein kantiger, finsterer Typ.

Im großen Finale auf Kauzens Landsitz öffnet Bühnenbild­ner Hans Kudlich alle Schleusen. Dem Altherrens­chabernack auf und hinter der Hollywoods­chaukel sind keine Grenzen gesetzt. Wie patiniert ist das denn?

 ?? Foto: APA / Roland Schlager ?? Gigls (Matthias Franz Stein, Mitte) tollpatsch­ige Liebeserkl­ärung an Thekla (Daniela Golpashin) kann ein pragmatisc­her Helfer wie Schnoferl (Thomas Kamper, re.) nur noch verschlimm­ern.
Foto: APA / Roland Schlager Gigls (Matthias Franz Stein, Mitte) tollpatsch­ige Liebeserkl­ärung an Thekla (Daniela Golpashin) kann ein pragmatisc­her Helfer wie Schnoferl (Thomas Kamper, re.) nur noch verschlimm­ern.

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