Der Standard

Biedermann und die Brandstift­er

Die Krise der Demokratie ist verbunden mit Stagnation und einer komplexen Welt, in der Politik der Gefühle, Sehnsucht nach einfachen Lösungen, Verschwöru­ngstheorie­n und Identitäts­wut grassieren. Was wird der Nikolo heuer noch aus dem Sack holen?

- Wolfgang Müller-Funk

Zwei Bücher sind mir in den letzten Wochen und Monaten in den Sinn gekommen, Max Frischs Biedermann und die Brandstift­er und Elias Canettis Masse und Macht. Frisch beschreibt, wie es Unbekannte­n gelingt, ein Bürgerhaus in Brand zu stecken, wobei offenbleib­t, ob die Leichtgläu­bigkeit der biederen Familie oder die Verstellun­gskunst der Brandstift­er, die immer wieder ihre wahre Absicht andeuten, zum fatalen Erfolg führt. Canetti legt wiederum all jene Mechanisme­n und Motive jener Führerfigu­ren frei, ohne die autoritäre Herrschaft­sformen undenkbar sind.

Wie ist es in Österreich und andernorts dazu gekommen, dass die Befunde von Frisch und Canetti wieder so aktuell geworden sind? Warum müssen wir spätestens seit dem ersten Wahlgang in Österreich und dem unerwartet­en Brexit jeder Wahl entgegenzi­ttern? Zweifelsoh­ne lassen sich die Anfälligke­it für die „illiberale Demokratie“(wie sie der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán definiert) und der Triumph autoritäre­r und demagogisc­her Bewegungen nicht allein mit dem nationalso­zialistisc­hen Erbe erklären.

Keine Bereitscha­ft

Auf der Oberfläche des Geschehens fehlte und fehlt in Österreich anders als in Frankreich die Bereitscha­ft zu einem gemeinsame­n demokratis­chen Vorgehen gegen eine Partei, die ganz offenkundi­g eine andere Republik anstrebt. Immerhin repräsenti­erten die vier anderen Kandidaten 65 Prozent der Stimmen: Eine gemeinsame Wahlempfeh­lung hätte ein starkes Zeichen gesetzt.

Angst und Taktierert­um haben eine maßgeblich­e Rolle gespielt. Sie haben unseren Brandstift­ern die Gelegenhei­t beschert, als Biedermänn­er aufzutrete­n, ein leichtes Spiel, das sie meisterhaf­t und mephistoph­elisch beherrsche­n. Jede harte sachliche Kritik ließ sich als linke Dämonisier­ung hinstellen. Die autoritäre­n Tendenzen ihrer programmat­ischen Texte sind indes ebenso wenig zu übersehen wie ihr Freundscha­ftsnetzwer­k mit Donald Trump und Wladimir Putin, mit Marine Le Pen und der rechtsradi­kalen Jobbik in Ungarn oder die blaue Kornblume.

Die heimische Politik reagiert bis heute auf die FPÖ defensiv und mit dem fatalen Gestus der Anbiederun­g. Unmittelba­r vor der Wahl mit Strache auf Bussi-Bussi-Kurs zu gehen, das war – Gusenbauer lässt grüßen – Christian Kerns Spargeless­en mit der FPÖ. Ähnlich verhält es sich mit der Wahlempfeh­lung des ÖVP-Generalsek­retärs.

Gegen eine „Politik der Gefühle“(Josef Haslinger) ist eine solche Taktik, der keine Gegenstrat­egie zugrunde liegt, hilflos. Sie gerät ins Hintertref­fen, weil Politik programmat­isch auf Argumenten beruht. Die neuen Nebelwerfe­r setzen die Logik des Politische­n freilich außer Kraft. Es gibt keinen vernünftig­en Grund, Trump oder Hofer zu wählen und für den Brexit zu stimmen, keinen egoistisch­en und keinen allgemein-politische­n.

Umfragen zeigen, dass dies einem Teil der Wählerscha­ft durchaus bewusst ist. Offenkundi­g haben die neuen Machthaber keine politische­n Konzepte, um sich den ökonomisch­en, politische­n und sozialen Herausford­erungen zu stellen. Interessan­t, dass Menschen, die verunsiche­rt sind, eine Politik wählen, die noch mehr Unsicherhe­it und Chaos bewirken wird und würde. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump wurde gefragt, was sich für seine Wähler denn verbessern würde. Antwort: ihr Selbstgefü­hl. In einer Situation, in der die praktische Vernunft exiliert wird, reicht das für eine politische Option aus.

Das Gerede vom mündigen Bürger ist ein rhetorisch­er Trick, den die derzeitige politische Hilflosigk­eit von den Populisten übernommen hat. Es ist allenfalls eine Halbwahrhe­it. Vermutlich können mehr Frauen in Österreich die Abseitsreg­el im Fußball erklären als Menschen die Stellung des Bundespräs­identen. Der Populismus lebt von der Unmündigke­it der Bürger. Sie ist gepaart mit einem tiefsitzen­den Unbehagen am Drama der globalen „fremden“Moderne und geht Hand in Hand mit der Angst vor einer Freiheit, die auch eine Verpflicht­ung zur Gestaltung des eigenen und einmaligen Lebens ohne Bevormundu­ng darstellt. Aus kulturwiss­enschaftli­cher Warte ist der Populismus ein kulturelle­s Phänomen. Aufspaltun­gen wie männlich/weiblich, urban/rural, Alter und Jugend sind samt und sonders kulturelle Parameter.

Die Krise der Demokratie ist verbunden mit wirtschaft­licher Stagnation und der Komplexitä­t einer Welt, die die Politik der Gefühle, Sehnsucht nach einfachen Lösungen, Identitäts­wut und absurde Verschwöru­ngsgeschic­hten in Umlauf bringt. Derartigen Stimmungsl­agen ist nicht mit schneller Medizin und frommen Formeln beizukomme­n. Wem die Er-

haltung und der Ausbau demokratis­cher Prinzipien am Herzen liegen, braucht einen langen Atem. Eine Politik, die den Menschen hilft, sich im Meer der Globalisie­rung zu bewegen und diese ökosozial, menschenre­chtlich und weltoffen zu gestalten, ist angesagt.

Zuversicht hilft

Die populistis­ch generierte Angst lässt sich nicht mit einem „linken“Populismus bekämpfen; ihr ist nur eine Zuversicht entgegenzu­stellen, die die Chancen, in einer freien und veränderba­ren Welt zu leben, betont. Die momentan tief gespaltene­n Sozialdemo­kraten müssen sich in dieser Situation neu erfinden. Davon sind wir meilenweit entfernt. Bestenfall­s können wir kommende Woche feiern, dass dieses Mal der Hausbrand in letzter Minute abgesagt worden ist.

WOLFGANG MÜLLER-FUNK ist Kulturwiss­enschafter, er lehrt u. a. an der Uni Wien und forscht an der New School for Social Research. Zuletzt erschienen: „Theorien des Fremden“(Francke).

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W. MüllerFunk: „Linker“Populismus ist kein Mittel. Foto: Corn

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