Der Standard

Österreich funktionie­rt. Noch

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Wenn eine sehr alte Dame zu Hause zusammenkl­appt, ist – in Wien – binnen 15 Minuten die Rettung da, der Notarzt untersucht, meint, man könne einen Schlaganfa­ll nicht ausschließ­en. Die Maschineri­e läuft an, Einlieferu­ng ins Spital, Routinedia­gnostik, dann gibt es Entwarnung. Am nächsten Tag ist sie wieder zu Hause. Die Dame bekommt übrigens Pflegegeld und einen Zuschuss für die Kosten der 24-Stunden-Betreuung durch Helferinne­n aus Osteuropa.

Eine solche schnelle, umfassende medizinisc­he Betreuung muss man anderswo suchen. Italien? Belgien? Großbritan­nien? Kein Vergleich mit dem hohen Standard Österreich­s.

Anderersei­ts: Das Gesundheit­swesen ist teuer und teilweise ineffizien­t. Die Ambulanzen sind überfüllt, auf dem Land ist die Versorgung schon dünner. Zwischen den Ärzten und den Spitalserh­altern gibt es erbitterte Auseinande­rsetzungen. Es kracht im Gebälk, und es wird sich etwas ändern müssen.

Das gilt für sehr viel Bereiche, praktisch für das ganze Land. Österreich funktionie­rt gut. Die Einkommens­situation ist immer noch gut, die viertbeste in der EU. Die „Markteinko­mmen“stagnieren zwar oder gehen leicht zurück, dafür gibt es aber massive Umverteilu­ng durch Sozialtran­sfers. Die Ungleichhe­it bei Vermögen ist wesentlich höher, aber das liegt auch an den hohen Sozialleis­tungen, die Vorsorgesp­aren weniger wichtig machen.

Dennoch ist die Unzufriede­nheit groß, weil z. B. die Preise für Wohnungen und Mieten stark angestiege­n sind und auch für gut verdienend­e jüngere Leute immer weniger leistbar sind. Relativ hoch, mit etwa neun Prozent, ist die Arbeitslos­igkeit, da wieder die Jugendarbe­itslosigke­it und die unter Migranten. Es gibt keine Schlangen vor Suppenküch­en wie in der Weltwirtsc­haftskrise des vergangene­n Jahrhunder­ts, aber junge Leute finden immer schwerer einen Job. Und die Situation wird sich mit dem vollen Einsetzen der digitalen Revolution wirklich verschlech­tern.

Österreich steht immer noch sehr gut da, aber die Risse im Mauerwerk sind sichtbar. Es sind mehr Befürchtun­gen vor einer Verschlech­terung in der Zukunft als eine reale, wirklich spürbare Abwärtsbew­egung bei den wichtigste­n Parametern des täglichen Lebens.

Das gilt wahrschein­lich auch für die beiden großen Themen, aus denen der Rechtspopu­lismus seine Kraft bezieht: das „Ausländerp­roblem“und die Globalisie­rung. Ob Zuwanderer in der dritten Generation oder vor einem Jahr angekommen­er Flüchtling – die realen Auswirkung­en sind nicht so, dass man von einer echten Bedrohung des gewohnten, „bodenständ­igen“Lebensstil­s sprechen könnte. Aber es gibt eine kulturelle Verunsiche­rung, das Gefühl, nicht mehr im eigenen, gewohnten Umfeld leben zu können, und die Furcht vor der Zukunft, auch was die Arbeitswel­t betrifft: Globalisie­rungsfurch­t befördert den Rechtspopu­lismus, analysiert­e jetzt eine Studie der Bertelsman­n-Stiftung.

So stehen wir am Vorabend großer Umwälzunge­n, in Österreich und Europa. Wird Hofer Präsident, fällt die Regierung bald auseinande­r, nach Neuwahlen ist die FPÖ wohl Kanzlerpar­tei. Geschieht Ähnliches in Frankreich und Italien, ist die EU bedroht. Und die liberale Demokratie selbst.

Österreich funktionie­rt – noch. Mit zunehmend gravierend­en Mängeln. Gegen die tut aber fast niemand vom „Establishm­ent“etwas. Die Rechtspopu­listen auch nicht, die benennen nur Sündenböck­e. Aber sie können trotzdem an die Macht gelangen, und dann werden sie sie so schnell nicht wieder loslassen. hans.rauscher@derStandar­d.at

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