Politische Schicksalstage für Italiens Premier
Italien hat über die Verfassungsreform abgestimmt. Das Votum könnte das Aus für Premier Matteo Renzi bedeuten. Noch vor Schließung der Wahllokale wurde wegen Verdachts auf Manipulation geklagt.
Einer der Ersten, die sich in Rom am Sonntagmorgen ins Stimmlokal begeben haben, war Senatspräsident Pietro Grasso, ein Direktbetroffener der Verfassungsreform: Die kleine Kammer würde bei einem Ja künftig deutlich verkleinert und Abgeordneten der Regionen und Bürgermeistern großer Städte vorbehalten sein. Grasso hat nicht gesagt, wie er gestimmt hat. Aber auf Twitter forderte er die Bürgerinnen und Bürger danach auf, ihr Stimmrecht wahrzunehmen. „Sonst entscheiden andere für euch.“
Tatsächlich zeichnete sich eine recht hohe Stimmbeteiligung ab: Bis 12 Uhr hatten sich bereits 20,1 Prozent der Italiener an die Urnen bemüht, ein überdurchschnittlicher Wert. Während die Wahllokale noch geöffnet waren, gab es Aufregung um jene Bleistifte, die den Wählern mit den Stimmzetteln übergeben wurden. Gegner des Referendums befürchteten, dass wegen dieser „radierbaren“ Stifte die Wahlzettel manipuliert werden könnten. Am Abend reichte der Konsumentenschutzverband Codacons bei 140 Staatsanwaltschaften Klage ein.
In Rom gab es allerdings ein anderes Thema, das weitaus leidenschaftlicher diskutiert wurde als Renzis Reform: Im Olympia- stadium begann um 15 Uhr das Stadtrivalen-Derby zwischen der SS Lazio und der AS Roma. Gegen diesen Fußballklassiker hat es die Politik in der Ewigen Stadt schwer, selbst wenn eine weitreichende Änderung der Verfassung zur Abstimmung steht.
Auch viele Nichttifosi hat das Referendum in Rom eher kaltgelassen. „Es wird sich so oder so nichts ändern, Renzi hat doch schon vor dem Referendum nur so getan, als mache er Reformen“, sagte achselzuckend der Malermeister Angelo aus dem Römer Außenquartier Bufalotta, der den milden Sonntag für einen Fami- lienbummel im historischen Zentrum genutzt hat. Er, Angelo, habe von diesen Reformen nichts bemerkt. Dass die bisherige Verfassung die Modernisierung des Landes verhindere, sei eine „faule Ausrede der Politiker“: Schon Berlusconi habe das immer behauptet – und nun stimme der Ex-Premier trotzdem gegen die Reform, die das angeblich ändern soll.
Keine Veränderung erwartet
Dass ihr Land bei einem Nein zu einer Bedrohung für die Finanzmärkte werden könnte, halten die Reformgegner für Propaganda: „Bei einer Ablehnung bleibt einfach alles, wie es ist: Wir behalten einfach die alte Verfassung. Und wenn Renzi geht, kommt eben ein anderer“, sagte der Bildhauer Peppino Quinto aus dem Städtchen Lenola südlich von Rom, der Freunde in der Hauptstadt besucht. Die Drohung mit einer Finanzkrise sei nichts anderes als eine „Erpressung“. Gefährlich sei nicht die Ablehnung der Reform, sondern deren Annahme: Sie gebe dem Regierungschef zu viel Machtbefugnisse – „das hat in Italien schon einmal ein böses Ende genommen“, betont Quinto. Er habe mit Nein gestimmt, „um weiterhin ruhig schlafen zu können“.
Insgesamt waren 46,5 Millionen Italiener zu den Urnen gerufen; hinzu kamen vier Millionen Auslandsitaliener. Die Urnen blieben am Sonntag bis 23 Uhr offen; erste Hochrechnungen lagen in der Nacht auf Montag, also nach Redaktionsschluss, vor.