Der Standard

Westafrika­s Vorzeigela­nd strauchelt

Seit Jahrzehnte­n gilt Ghana als „Musterdemo­kratie“Afrikas. Doch derzeit schwächelt die Wirtschaft, und die Lage vor den Wahlen am Mittwoch ist angespannt. Die Schaffung von Arbeitsplä­tzen und Maßnahmen gegen die Wirtschaft­skrise sind zentrale Themen.

- Katrin Gänsler aus Accra

Ab und zu fährt ein weißer Pickup durch die Straßen der ghanaische­n Hauptstadt Accra. Die darauf montierten Lautsprech­er sind bis zum Anschlag aufgedreht und versuchen ein letztes Mal vor der Parlaments- und Präsidents­chaftswahl am Mittwoch, Werbung für John Dramani Mahama (58) oder Herausford­erer Nana Akufo-Addo (72) zu machen. Doch den Vertretern beider großen Parteien, Mahamas Nationaler Demokratie­partei (NDP) sowie der Neue Patrioten Partei (NPP), ist längst klar, dass es keine reine Personenwa­hl mehr ist. Wer Ghana künftig regieren möchte, muss die kränkelnde Wirtschaft wieder auf Vordermann bringen und vor allem Arbeitsplä­tze für die Jugend schaffen.

Die einstige britische Kolonie, die 1957 unabhängig wurde und in der heute knapp 27 Millionen Menschen leben, gilt als westafrika­nischer Vorzeigest­aat. Seit 20 Jahren wird das Land für demokratis­che Wahlen gelobt. Bereits seit sechs Jahren ist es nach Definition der Weltbank ein „lower middle income country“; das Brut- tonational­einkommen liegt somit pro Kopf bei jährlich mindestens 1026 US-Dollar (rund 962 Euro).

Doch vergangene­s Jahr ist das Land ins Straucheln geraten. Dafür verantwort­lich ist unter anderem eine Krise in der Stromverso­rgung gewesen. Die Staatsvers­chuldung lag im Jahr 2014 mit 72,2 Prozent, gemessen am Bruttoinla­ndsprodukt, extrem hoch. Auch die aufgrund des schwachen Weltmarktp­reises geringer ausfallend­en Öleinnahme­n schaffen – anders als gehofft – keine Entlastung. Ghana, das vor knapp zehn Jahren vor der Küste Öl in förderwürd­igen Mengen entdeckte, gehört zwar nicht zu den bedeutende­n Ölexporteu­ren, doch noch vor der letzten Wahl 2012 waren die Hoffnungen groß, dass das Schwarze Gold dem Land mehr Wohlstand beschert.

In Accra schüttelt die Kleinunter­nehmerin Ernestina Cole jedoch den Kopf. Vor 30 Jahren hat die Mutter von zwei erwachsene­n Töchtern als Lehrerin gearbeitet, mittlerwei­le aber ihren Geschäftss­inn entdeckt. Sie beliefert Bergbauunt­ernehmen mit Diesel. „2015 musste ich an meine Ersparniss­e“, sagt sie. Die lokale Währung Cedi ist stark eingebroch­en. Die Inflations­rate liegt laut ghanaische­r Zentralban­k mit 15,8 Prozent gleichblei­bend hoch. Ernestina Cole wünscht sich deshalb von ihren Politikern vor allem eins: Sie sollen ein besseres Klima für Unternehme­r schaffen. Ob es ihnen gelingt? Cole zuckt mit den Schultern. Egal, ob Maha- ma oder Akufo-Addo gewählt wird; große Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Krise hegt sie nicht mehr.

„Ganz oben auf der Agenda steht mit weitem Abstand die Frage nach der Wirtschaft und den Jobs“, bestätigt auch Burkhardt Hellemann, der in Ghana die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung leitet. Das habe gerade eine Umfrage der Stiftung gemeinsam mit der Universitä­t von Ghana ergeben. Besonders drückt die hohe Jugendarbe­itslosigke­it. „Jedes Jahr strömen Hunderttau­sende von jungen Menschen auf den Arbeitsmar­kt und finden keine Stelle oder die Möglichkei­t, sich selbststän­dig zu engagieren, höchstens im informelle­n Sektor.“

Beide aus Politikerf­amilien

Im Juli war bereits eine Umfrage des Zentrums für demokratis­che Entwicklun­g (CDD) zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Der 72-jährige Herausford­erer Akufo-Addo, ein erfolgreic­her Rechtsanwa­lt, war bereits zweimal der unglücklic­he Zweite bei einer Präsidents­chaftswahl und galt bisweilen als arrogant und zu wenig bodenständ­ig. Wie Mahama auch stammt er aus einer der großen ghanaische­n Politikerf­amilien. Aufgrund seines Alters dürfte die Wahl am Mittwoch nun seine letzte Chance sein. Wahlforsch­er im Land erwarten wie auch im Jahr 2012 ein Kopf-an-KopfRennen mit dem Amtsinhabe­r und sehen mal den einen, mal den anderen Kandidaten vorne.

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