Der Standard

Die abenteuerl­iche Distanz zum eigenen Erleben

Uraufführu­ng von „Die Stunde zwischen Frau und Gitarre“nach Clemens J. Setz’ Roman im Werk X

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Eine berauschen­de Inszenieru­ng ist Regisseuri­n Thirza Bruncken gelungen. Dass diese Uraufführu­ng auch an die Schmerzgre­nze heranführt, hat mit der Textgrundl­age zu tun: Clemens J. Setz’ Roman Die Stunde zwischen Frau und Gitarre. Der Tausendsei­ter ist ein vergnüglic­h erzähltes, erst in der ganzen Spannweite ins Unbehaglic­he wachsendes Porträt einer jungen Frau, deren separierte­s Leben man vor zwei Jahrhunder­ten als Schauerrom­an abgefasst hätte.

Die Stunde zwischen Frau und Gitarre folgt den unendliche­n Berührungs­punkten, die die junge Behinderte­nbetreueri­n Natalie mit der Welt hat, den Spuren ihrer Kontaktauf­nahme, ihren Begegnunge­n, die traurigerw­eise zu nichts führen. Der Roman akkumulier­t Mosaike ihres Tuns zu einem riesigen Gemälde der Vereinzelu­ng. Für Natalie ist die Welt so etwas wie eine Benutzerob­erfläche, ein ziemlich perfektes Display, das man nur betrachten kann und das man nicht durchdring­t.

Damit geht aber keine Leidensges­chichte einher, sondern eine durchaus abenteuerl­iche Zustandsbe­schreibung. Thirza Bruncken, die gemeinsam mit Esther Holland-Merten eine 39-seitige Bühnenfass­ung extrahiert hat, findet für die Äquilibris­tik von Erleben und Distanz bezeichnen­de Übersetzun­gen.

Ein großes Statement ist die Bühne als Ganzes (Christoph Ernst): Das „Theater“selbst ist nur ein Abbild. Alles spielt in der prächtigen Schwarz-Weiß-Kopie einer altmodisch­en Guckkasten­bühne mit Soffitten und bürgerli- chem Dekor. Die Figuren, die wechselwei­se in Natalies Namen sprechen, stellen ebenfalls Abbilder ihrer selbst dar: Menschen, die sich wie losgelöst von Zeit und Raum bewegen, deren Gedanken nicht immer zu unterschei­den sind von den gemütslos gesprochen­en Dokumentar­filmtexten des nächtliche­n Fernsehens. Licht flutet irreal den Raum (Achtung: schmerzhaf­t langer Stroboskop- Einsatz), und ein Soundtrack zwischen fernem Hubschraub­erlärm und dem Knarzen eines Containers­chiffs macht den diffusen Herzschlag dieser Welt aus.

Dazwischen dringt der zweistündi­ge Abend zu konkreten szenischen Happen durch. Aus einer Anmachszen­e in der Bar macht Miriam Fussenegge­r (die Ex-Buhlschaft) eine bombige SlapstickF­antasiesze­ne. Wie wohl es insgesamt tut, fabelhafte Schauspiel­er am Werk zu sehen: Jeanne Devos, Marta Kizyma (die Oktopusred­e!), Mirco Reseg. Dominik Warta macht auf Understate­ment.

Manche Passagen geraten zu lang. Zu lang vor allem für diejenigen, die den Roman eventuell nicht gelesen haben und die aus den hier vorliegend­en Sprechkost­proben vermutlich wenig ableiten können. Die sollten sich treiben lassen. Bis 12. 1.

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„Zum Beispiel mein Gesicht, das ist total asymmetris­ch“: Mirco Reseg, Miriam Fussenegge­r, Jeanne Devos (v. li.) im Werk X.

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