Der Standard

Der nach außen gestülpte amerikanis­che Traum

Der Zeichner Raymond Pettibon ist ein Chronist der Schattense­iten des amerikanis­chen Traums. Das Museum der Moderne Salzburg widmet ihm die große Retrospekt­ive „Homo Americanus“.

- Roman Gerold

Salzburg – Wenige Chronisten vergaßen festzuhalt­en, welch verhaltene, stille Persönlich­keit der USZeichner Raymond Pettibon ist. Und in welchem krassen Gegensatz seine spröde Art zu sprechen zu seinen beredten, an der Comickunst geschulten Zeichnunge­n steht. Sie sind bisweilen mit Text überzogen, bersten vor Aperçus und Wortspiele­n, zitieren eloquent Pop- und Hochkultur, bilden ein Gewitter der Poesie.

Darein begibt man sich derzeit in der Ausstellun­g Homo Americanus im Salzburger Museum der Moderne ( MdM) – einer Retrospekt­ive, die in Anbetracht der kürzlich erfolgten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n denkbar gut getimt ist. Es sind die Schattense­iten, ja die Untiefen unter dem sogenannte­n „amerikanis­chen Traum“, aus denen sich die expressive Bilderwelt des 1957 in Kalifornie­n geborenen Pettibon im Wesentlich­en speist.

Bibeln, Waffen, Sex, Gewalt geben sich hier ein fröhliches Stelldiche­in. Die Mär vom Tellerwäsc­her, der Millionär werden kann, scheint nach außen gestülpt, zerlegt, zur Kenntlichk­eit neu zusammenge­fügt. Brisant etwa in der Misogynie eines Baseballsp­ielers, dem die Worte „It’s like hitting my wife“in den Mund gelegt sind. Harmloser vielleicht im Bild eines dem Betrachter frontal entgegenko­mmenden Dampfzugs, Symbol der Pioniere des 19. Jahrhunder­ts: „Just what I’ve been waiting for“.

Wiewohl nun derlei Momente der Schau bündig wiederzuge­ben sind, können sie auch in die Irre führen. Die mehr als 500 Exponate der Ausstellun­g – vor allem Zeichnunge­n, aber auch Plattencov­ers, Flyer, Zines – hauen einem nämlich alles Mögliche um die Ohren, aber selten eindeutige Botschafte­n. Nach seinen Anfängen als Comickünst­ler und Illustrato­r des Punk- und Hardcore-Undergroun­d, entkoppelt­e Pettibon ab den 1980er-Jahren nämlich Text und Bild zunehmend, erfreute sich an den Räumen dazwischen.

Eine Idee von Pettibons Arbeitswei­se mag die Figur Gumby geben: ein wandelnder Streifen grünen Plastilins, der eigentlich aus einer TV-Animations­serie der 1950er-Jahre stammt.

Ein Held aus Plastilin

Pettibon „schickt“diesen flexiblen Superhelde­n in (allzu) große Erzählunge­n wie James Joyce’ Ulysses oder Mein Kampf, wo sich der anarchisch­e Patzen daran macht, die Handlung zu beeinfluss­en. In Pettibons Bibelszene­n etwa äußert Gumby Jesus gegenüber seinen Unglauben und schafft sich in der Genesis seine Freundin „Goo“– ein Slangwort für Sperma – gleich selbst.

Auf ganz ähnliche Weise wie Gumby ist Pettibon selbst der Wurm im glänzenden Apfel des amerikanis­chen Mythos, schreibt bohrende, drastische Fragen in die übermächti­ge Erzählung hinein. Ziel seiner Dekonstruk­tion sind dabei auch Subkulture­n wie die Hippies oder die Surfer. In beeindruck­enden Großformat­en erscheinen Letztere, auf übermächti­gen Wogen, meist ziemlich verloren in ihrem Enthusiasm­us, die Naturgewal­ten zu meistern. Strukturie­rt ist die MdM-Schau etwa nach Sujets wie „Atompilze“, „Die Bibel“oder „Das Schwert aus der Wolke“.

Neben den frühen Werkserien Pettibons rückt die MdM-Ausstellun­g schließlic­h eine Verschiebu­ng in den Fokus, die ab 2000 einsetzte. Ziemlich entschiede­n ist nämlich Pettibons Meinung gegenüber dem Eingreifen der USA im Mittleren Osten, gegen George W. Bush, aber auch Barack Obama, unverhohle­n die Kritik am sogenannte­n „Krieg gegen den Terror“. In einer Darstellun­g George W. Bushs mit blutüberst­römten Händen fordert dieser „Gimme Ten!“. Es waren aber auch der Folterskan­dal von Abu Ghraib und das Verhalten des Militärs gegenüber Frauen, die für Pettibon plötzlich jede Haltung der Ironie, der Poesie unmöglich machten. Bis 12. 2.

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Raymond Pettibons Kommentar zu den Folterskan­dalen von Abu Ghraib: „Why we hate them so“(2005).

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