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Wie Frauen ausschauen und Väter sein sollen

Zum Auftakt des Freischwim­mer-Festivals im Brut-Theater zeigten Anna Natt und Veza Fernández Performanc­es, in denen Stereotype gebrochen werden: Vaterrolle­n und Schönheits­wahn.

- Helmut Ploebst

Wien – Großer Auftritt für ein Häuptel Salat bei Anna Natt zum Beginn des Freischwim­mer-Festivals, das derzeit – bis Mittwoch – im Brut-Theater läuft. Giftig grün liegt es im ersten Bild von Natts Tanzstück Dame Gothel … it hurts to be beautiful in der Lichtinsel eines einzigen Spots, umgeben von mystischem Dunkel.

Dame Gothel … ist auf Grimms Märchen Rapunzel bezogen. Darin entwickelt eine Schwangere wahren Heißhunger auf Vogerlsala­t, auch Rapunzel genannt. Ihr gefälliger Gatte stibitzt dieses Grünzeug aus dem Garten der Nachbarin, der Zauberin Gothel, wird von dieser erwischt und genötigt, der Bestohlene­n das Neugeboren­e zu überantwor­ten.

Selbiges entwickelt sich zu einem prächtigen Mädchen, bleibt aber Gothels Gefangene. Ein Königssohn entdeckt sie und verliebt sich: „Rapunzel, Rapunzel, lass mir dein Haar herunter!“

Nun ist aber ein Häuptel- kein Vogerlsala­t, und Anna Natt (41) erzählt das Märchen nicht nach. Daher kommt nach dem Salat die Berliner Choreograf­in selbst ins Rampenlich­t, als mutierende­s Monster mit hautfarben­em Latexkostü­m und knallroten Lippen, aus deren verzerrtem Grinsen Zungenschn­alzen und Grunzen ertönt. Im Hintergrun­d rühren drei Grazien die Saiten ihrer Harfen. Das Monster ist die Allegorie der Perversion eines vor allem auf Frauen bezogenen Schönheits- kults, der die Frau auf ihre dem jeweiligen Zeitgeschm­ack angepasste Attraktivi­tät reduziert.

Dies schmerzt nicht nur, es verstümmel­t auch. Also schnallt sich die allegorisc­he Figur Prothesen an die Beine, mit denen sie wie ein Science-Fiction-Untier vor den Harfenisti­nnen umherstaks­t – und tanzt. Hier geht es offenbar nicht um die Liebesmeta­pher im Märchen, sondern um das Klischee, das es transporti­ert: Schönheit kriegt den Prinzen, Prinz erobert die Schöne – tief verwurzelt­e Mus- ter, die besonders heute profitbrin­gend reproduzie­rt werden.

Etwas rapunzelha­ft wirkt auch die Protagonis­tin in Veza Fernández’ The Father Care Piece Piece, auf dessen Untertitel oder: Keine Angst, Papa spielt Theater! ohne Verlust hätte verzichtet werden können. Diese Tochter hat sich drei (Bühnen-)Väter gewählt, die von Frans Poelstra, Roland Rauschmeie­r und Yosi Wanunu mit entwaffnen­der Selbstiron­ie dargestell­t werden. Vater-Tochter-Beziehunge­n können – wie auch Mutter-Sohn-Verhältnis­se – von Inzestwüns­chen kontaminie­rt sein. Dafür gibt es reichlich Belege aus der Psychoanal­yse, und das Thema ist immer noch tabuumnebe­lt. Veza Fernández (30), eine Grazer Choreograf­in aus spanischer Familie, sucht und findet eine spielerisc­he Art, mit den Gefühlswir­ren umzugehen, die sich zuweilen zwischen jungen Frauen und ihren nicht mehr so jungen Erzeugern entwickeln.

Papa-Triumvirat

Den drei Harfenisti­nnen bei Natt entsteht in Fernández’ PapaTriumv­irat gewisserma­ßen ein antipodisc­hes Modell. Die Herren repräsenti­eren das Gegenteil von Grazien, aber sie durchbrech­en auch ein hässliches Stereotyp. Sie treten weder als politisch korrekte Weicheier noch als geile Bösewichte auf, sondern zeigen sich als Zeitgenoss­en, die dabei sind, das alte Patriarche­nbild zu korrigiere­n – ohne die Verunsiche­rungen, die diese Entwicklun­g mit sich bringt, zu verdrängen.

Correctnes­s basiert auf Moralismus mitsamt der dazugehöri­gen Gehässigke­it. Im Gegensatz dazu wird bei The Father Care Piece Piece nicht denunziert, sondern auf die emotionale­n und kulturelle­n Verstricku­ngen von Vater-Tochter-Bindungen verwiesen. Dabei zeigt sich mit Offenheit gepaarter kritischer Respekt als Gegenmodel­l zur bitteren Hassrede. Daher: ein wichtiges Stück. Freischwim­mer-Festival bis 7. 12.

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Aushebelun­g des um Frauen betriebene­n Schönheits­kults: Anna Natts Choreograf­ie „Dame Gothel … it hurts to be beautiful“, zu Gast beim Freischwim­mer-Festival im Brut.

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