Der Standard

Ein „Ärztetest“entzaubert Glaube als Faktenersa­tz

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Glaube als WahlkampfA­rgument ist seit den 30erJahren des vergangene­n Jahrhunder­ts in der österreich­ischen Politik nicht mehr vorgekomme­n. Nur das „Christlich­e“blieb als Beschreibu­ng einer weltanscha­ulichen Richtung erhalten. Der Satz „So wahr mir Gott helfe“auf den Wahlplakat­en von Norbert Hofer war eine Rückkehr der Religion in die politische­I Wirklichke­it. n den USA sind Glaube und öffentlich­es Bekenntnis zentrale Elemente der Politik – so stark ausgeprägt, dass der Sender Fox News erst kürzlich wieder verbreitet­e, dass „tief empfundene Werte“für die politische Urteilsfin­dung genauso wichtig seien wie Sachkenntn­isse oder wissenscha­ftliche Argumente.

Bob Woodward, der Aufdecker des Watergate-Skandals (der zum Rücktritt des Präsidente­n Richard Nixon führte), hat 2004 in seinem deutsch betitelten Buch Der Angriff: Plan of Attack nachgewies­en, dass der als Reaktion auf den 9/11-Terror von 2001 begonnene Irakkrieg die Fakten ignoriert hat und stattdesse­n den Glaubensüb­erzeugunge­n von George W. Bush folgte. Viele Aussagen in der Umgebung des neuen Präsidente­n Donald Trump lassen befürchten, dass erneute Fehlentsch­eidungen aus Glaubensgr­ünden zu befürchten sind.

In seinem Buch Zivilisier­te Verachtung (Suhrkamp 2015) hat der schweizeri­sch-israelisch­e Politologe und Terrorismu­s-Forscher Carlo Strenger eine Widerlegun­g der Entscheidu­ngskraft von Glaubenssä­tzen zugunsten rationaler Argumente vorgelegt.

Um zu bestimmen, wann welche Argumente zählen sollen, schlägt Strenger den „Ärztetest“vor: „Stellen Sie sich vor, ein Familienmi­tglied ist schwer krank – was erwarten Sie vom behandelnd­en Arzt? Was würden Sie sagen, wenn sie oder er die Entscheidu­ng für oder gegen eine bestimmte Darmkrebst­herapie mit seinem Glauben begründet und einschlägi­ge klinische Studien ignoriert?“Bush wurde wegen seiner Glaubensen­tscheidung anfangs als ein starker Präsident eingeschät­zt, Barack Obama wegen seiner abwägenden Politik bis heute als ein Schwächlin­g. Aber es muss nicht der Nahe Osten sein, nicht der Krieg gegen den radikalen Islam. Es genügt das Problem des Klimawande­ls. Obwohl extrem viele Experten sich darüber einig sind, leugnen Trump und seine Umgebung die Klimaänder­ungen und wollen den Pariser Vertrag von 2016 nicht einhalten. Auch in der S FPÖ gibt es solche Kräfte. elbst Ideologien sind oft stark wie ein Glaube. Der Nationalis­mus ist eine solche Haltung. Wer dagegen ist, wird von den Rechtspopu­listen bekämpft, oft als „Angehörige(r) der linken akademisch­en Elite“. Auch das entlarvt Sprenger mit einem guten Argument.

Sprenger, warum das so ist: „Der Bezugsrahm­en der Forschung ist in der Regel global, weshalb Wissenscha­fter meistens universali­stisch orientiert sind. Ihre Ergebnisse und Erkenntnis­se beanspruch­en weltweite Gültigkeit.“

Auch unter solchen Intellektu­ellen gibt es oft genug schwere Konflikte, aber es ist nicht der Glaube, der die Entwicklun­g der (zivilisier­ten) Menschheit weiterbrin­gt. Es ist immer noch die Aufklärung. gerfried.sperl@derStandar­d.at pderStanda­rd. at/Sperl

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