Der Standard

Die fünfte Gewalt zur Dritten Republik

Alexander Van der Bellen wird Bundespräs­ident. Das ist aber erst der Sieg im Prolog eines österreich­ischen wie europäisch­en Etappenren­nens gegen die Rechtspopu­listen, die überall auf dem Kontinent im Vormarsch sind.

- Peter Plaikner

Schon am 2. Dezember war Wahlschlus­s. Die APA veröffentl­icht das Ergebnis aber erst am Freitag. Als Favoriten galten „arschknapp“für das Wort und „postfaktis­ch“als Unwort des Jahres. Viele hätten das lieber umgekehrt. So wie den Ausgang der Präsidents­chaftswahl. Doch Polarisier­ung ist in keiner Wortkatego­rie nominiert, sie setzt sich in parteipoli­tischen Taktiken fort: Nach der Wahl ist vor der Wahl. Vor allem beim Nationalra­t geht es ums Wann.

Im austrologi­schen Wechselspi­el von Koalition und Opposition spricht nicht nur viel gegen den 21. Mai 2017. Diesen Wahltag hat Norbert Hofer als zwischen SPÖ und ÖVP paktiert genannt, und so viel Rechthabe wird auch einem unterlegen­en Gegner selten gegönnt. Wider die vorzeitige Auflösung des Parlaments gibt es insgesamt bessere Argumente, als gegenseiti­ge Blockaden der Regierungs­arbeit nahelegen. Denn im erwartbare­n „Wind of Change“der rechtspopu­listischen Art zeigt sich noch kein „Window of Opportunit­y“für das politische Establishm­ent, auch wenn Christian Kern und Sebastian Kurz das gern hätten. Die befürchtet­e Abnützung der guten Persönlich­keitswerte des nicht mehr ganz neuen Kanzlers und seines gefühlt ewig künftigen Amtsrivale­n sind kleinere Übel als das Vorziehen der Nationalra­tswahl in den absehbaren internatio­nalen und regionalen Abstimmung­skalender.

Das beginnt mit der globalen Aufmerksam­keit für die Amtseinfüh­rung von Donald Trump am 20. Jänner und endet nicht mit der nationalen Beachtung für den lokalen Urnengang in Graz am 5. Februar. Österreich­s zweitgrößt­e Stadt ist der denkbar beste Ort für den nächsten Stimmungst­est. Hier erzielte die FPÖ mit Alexander Götz von 1973 bis 1983 ihren größten kommunalen Erfolg, gründeten sich 1982 die alternati- ven Grünen, hatte die SPÖ von 1985 bis 2003 mit Alfred Stingl ein Heimspiel, baut Nachfolger Siegfried Nagl seitdem eine Hochburg der ÖVP – und ist die KPÖ mit 20 Prozent noch Nummer zwei.

Dieses Politlabor hat die rasant wachsende Dominanz der Person über die Präferenz zur Partei längst vorweggeno­mmen. Ähnlich und doch ganz anders als die nächste große Gemeindera­tswahl im April 2018 in Innsbruck, der einzigen seit 1945 nur von ÖVPBürgerm­eistern regierten Landeshaup­tstadt, von denen seit 1994 aber keiner mit einer ÖVP-Liste angetreten ist. Wie in Graz orten hier die Umfragen eine Verdoppelu­ng der FPÖ-Stimmen und die SPÖ nur auf Rang fünf. Zwischen diesen also besonders für die Sozialdemo­kraten beschwerli­chen lokalen Abstimmung­en liegen aber nur scheinbar 15 Monate ohne Kollisions­gefahr für eine vorgezogen­e Nationalra­tswahl. 2017 wird das Jahr des rechtspopu­listischen Durchmarsc­hs in Europa. Die Niederland­e wählen im März. Ab April folgen in Frankreich die Wahlen von Präsident und Nationalve­rsammlung. Nach Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen im Frühjahr ist im September der Deutsche Bundestag dran. Dann Tschechien im Oktober. Geert Wilders und Marine Le Pen, AfD und Aktion unzufriede­ner Bürger werden hohe Zugewinne vorhergesa­gt.

2017 ist kein gutes Wahljahr für nichtpopul­istische Parteien links der FPÖ. Globalisie­rung und Digitalisi­erung bewirken, dass Österreich sich weniger denn je dem internatio­nalen Mainstream entziehen kann. Das Angst erzeugende Agenda-Setting gegen Einwanderu­ng, Europa und Eliten wird von Amsterdam über Paris und Düsseldorf bis Berlin und Prag als Metaebene jede Themensetz­ung in Wien überlagern. Das hilft nur Heinz-Christian Strache sowie jeder fundamenta­len Opposition gegen „die da oben“. Und es schadet Kern und Kurz, der sich ohne- hin nur aufschwing­en wird, wenn er die Kanzlercha­nce wittert.

Sein bester Zeitpunkt dafür ist 2018 vor den Landtagswa­hlen in Niederöste­rreich, Kärnten, Tirol und Salzburg. In einem solchen Szenario kann er als Außenminis­ter infolge des österreich­ischen Vorsitzes der OSZE 2017 internatio­nal schaulaufe­n und danach als frisches Zugpferd die ÖVP in die vier Regionalen­tscheidung­en führen. Das funktionie­rt aber nur, wenn die Schwarzen den Roten nicht jeden Regierungs­erfolg streitig machen, sich parallel also Kern profiliere­n kann – und Reinhold Mitterlehn­er stabilisie­rt. Reißen nur einem im unfreiwill­igen Dreigestir­n die Nerven, bedeutet das Neuwahlen zu ihrer aller Unzeit.

Das durch die Wahl Alexander Van der Bellens abgewendet­e Damoklessc­hwert der vorzeitige­n Auflösung des Nationalra­ts durch den Bundespräs­identen würden sie selbst herabfalle­n lassen. Ob wegen emotionale­r Unerträgli­chkeit, taktischer Unfähigkei­t oder persönlich­er Selbstüber­schätzung wäre dann Nebensache. Sie bereiteten damit jener FPÖ das Feld, die vor allem eines fürchten muss: erst dann anzutreten, wenn rundherum die Rechtspopu­listen von Trump bis Viktor Orbán sich schon entzaubern. Ungarn wählt im Frühjahr 2018.

Regulär durchdiene­n

Für das reguläre Abdienen der Legislatur­periode sprechen nicht nur Interessen der Landeshaup­tleute Erwin Pröll, Peter Kaiser, Günther Platter und Wilfried Haslauer. Auch Österreich­s EUVorsitz in der zweiten Hälfte 2018 ist eher Vorteil als Belastung. Er bietet Kern und Kurz jene internatio­nale Bühne, die Strache 2017 als Wahlhelfer für seine Gesinnungs­kollegen haben wird. Auch die sonst von diesem Dreikampf ins Abseits gestellten Grünen kommen durch Van der Bellen so wieder ins Spiel.

Gegen dieses präreale Drehbuch sprechen nur zwei postfaktis­che Phänomene:

1. Die Schwarz-Blau-Befürworte­r in der ÖVP lassen durch den VdB-Sieg nicht nach, sondern werden nur leiser. Sie glauben, dass „der Sebastian“zehn Prozentpun­kte bringen werde und die FPÖ auch als Nummer eins mit dem Vizekanzle­r vorliebnäh­me. Das eine ist Hoffnung, das andere blauäugig.

2. Während die herkömmlic­hen Medien ihrer Stellung als vierter Macht im Staat weiterhin ungläubig begegnen, nehmen digitale Netzwerke skrupellos eine solche Rolle ein. Sie sind noch eine Domäne der Rechtspopu­listen. Vor allem Kurz, aber auch Kern bliesen in der Deckung der grün-blauen UHBP-Konfrontat­ion zur Aufholjagd. Persönlich erfolgreic­h, doch ihre Parteien hinken nach. Die digitale Entwicklun­g von SPÖ und ÖVP bis 2018 ist unvorherse­hbar. Sicher scheint aber: Die fünfte Gewalt im Netz wird früher Realität als die Dritte Republik der FPÖ.

PETER PLAIKNER (Jg. 1960) ist Medienbera­ter, Politikana­lytiker und Lehrgangsm­anager an der Donau-Uni Krems.

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Kaiserwett­er und wehende Flaggen über der Hofburg: Mit dem Resultat scheint sicher, dass das EU-Sternenban­ner dort auch weiterhin munter wehen wird.
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Foto: Urban Peter Plaikner: 2017, das Jahr des rechten Durchmarsc­hs.

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