Topografie austriakischer Erinnerungen
Nun, da auch Verlängerung und Nachspielzeit der dritten Etappe des demokratischen Langstreckenrennens um die Hofburg beendet sind, sei auf die idealen Präsente für die beiden Kandidaten für das höchste Amt der Republik – und selbstverständlich auch für das ja maßgeblich beteiligte und zusehends echauffierte und ausgelaugte Stimmvolk – verwiesen. Als Trostpflaster für den Gescheiterten respektive als illustrierte Vorfreude auf die zukünftigen Aufgaben sowie die gesellschaftlichen, politischen und humanitären Perspektiven für den designierten Präsidenten. Als Lektüre zur Muße nach der notwendig gewordenen, nun hoffentlich endlich fehlerfrei und also erfolgreich beendeten, medial zur schicksalshaft als richtungsentscheidend hochstilisierten Stichwahl.
„Groß ist die Kraft der Erinnerung, die Orten innewohnt“, konstatierte Cicero. James Joyce definierte einen „Erinnerungsraum“. „Die Erinnerung ist ein Hund, der sich hinlegt, wo er will“, heißt es in Cees Notebooms Roman Rituale. Im Gegensatz dazu will Autor Johannes Sachslehner aktiv Erinnerungsarbeit leisten. Er will mit seinen neuen Publikationen einen Anstoß zu einer „lebendigen, kritischen Erinnerungskultur“geben. In Schicksalsorte Österreichs entführt der 1957 in Scheibbs geborene Historiker zu „Kristallisationspunkten des kollektiven österreichischen Gedächtnisses“.
Die Hofburg als politisches, kulturelles und gesellschaftliches Zentralgestirn der ehemaligen Residenzhauptstadt der k. u. k. Habsburgermonarchie sowie Hauptstadt der Republik Österreich nimmt naturgemäß eine herausragende Rolle ein. Aber auch abseits des Wasserkopfes, den Wien darstellte und der er bis heute ist, gibt es zahllose Orte, die das Geschick des Landes prägten: Mauthausen, Innsbruck, Dürnstein, Steyr, Königgrätz, Schwarzach, Rechnitz, Aussee, Ischl oder Andau, um nur einige herauszugreifen.
In Spinner, Schelme, Scharlatane subsumiert Sachslehner wiederum Porträts von Exoten, Exzentrikern, Chaoten und Außenseitern. Randfiguren der Geschichte. Zumindest zeit ihres Lebens. Posthum und heute sieht man das teilweise ganz anders. Zu den Wiener Persönlichkeiten, deren Vitae Sachslehner beschreibt, gehören Wunderheiler Joseph Thun, Johann Lochner, der legendäre Joseph Kyselak, der Entdecker Karl Ludwig von Reichenbach, Kosmologe Hanns Hörbiger oder Lanz von Liebenfels.
Sachslehner erzählt Geschichten des Landes, der Orte und Protagonisten und entwirft dergestalt eine Art Landkarte rot-weiß-roter Mythen und Legenden. Erinnerung lebt – und sie eröffnet uns die Möglichkeit, daraus politische Urteilsfähigkeit und Kraft für die Zukunft zu schöpfen. „Na oisdann!“Gregor Auenhammer
Johannes Sachslehner, „Schicksalsorte Österreichs“. € 22,– / 320 Seiten. Johannes Sachslehner, „Spinner, Schelme, Scharlatane“. € 24,90 / 256 Seiten. Beide: Styria Premium, Wien/Graz 2016