Der Standard

Mehr Überfluss in den Bedarf lenken

Mit jährlich 700.000 Tonnen weggeworfe­ner Lebensmitt­el ist sehr viel Potenzial da. Die Wiener Tafel will jetzt die Brücke von Überfluss zu Bedarf breiter bauen und hat dafür ein Logistikze­ntrum in Planung.

- Karin Bauer

Wien – Alexandra Gruber, Geschäftsf­ührerin der Wiener Tafel, will ihr Anliegen „skalieren“, wie es im Business-Deutsch so schön heißt. Seit 17 Jahren gibt es die Lebensmitt­elretter, im vergangene­n Jahr konnten 500 Tonnen Esssachen gerettet und damit 18.000 Menschen in Not in über 100 Sozialeinr­ichtungen mithilfe von 400 ehrenamtli­ch Engagierte­n versorgt werden.

Angesichts wachsender Not und gleichzeit­ig keineswegs schrumpfen­der Berge weggeworfe­ner Lebensmitt­el will Alexandra Gruber ambitionie­rt ausbauen. 700.000 Tonnen weggeworfe­ner Lebensmitt­el sind es jährlich in Österreich – plakativ stehen denen über eine Million armutsbetr­offener Menschen gegenüber.

Große Logistikba­sis

„Tafel 2.0“heißt das Projekt, für das sie derzeit unermüdlic­h wirbt. Mit dem, was die Tafel seit 17 Jahren tut, nämlich aus dem Handel noch gute, aber offenbar nicht mehr verkäuflic­he Lebensmitt­el abzuholen und zu verteilen, ist der Verein an die Grenzen gestoßen. Das hat logistisch­e Gründe: Es fehlt Lagerraum, es fehlt ein großes Verteilzen­trum.

„Das Lebensmitt­elrettungs­potenzial ist riesig, die Menschen ohne Versorgung werden mehr – Geflüchtet­e, Opfer der steigenden Jugendarmu­t“, so Gruber. Das bedürfe verstärkte­r sozialer Transferar­beit.

Ein eigenes Tafelhaus am Wiener Großgrünma­rkt, dem größten Lebensmitt­elverteilz­entrum in Ostösterre­ich, soll die Brücke zwischen Überfluss und Bedarf verbreiter­n. In Zahlen: doppelt so viele gerettete Lebensmitt­el innert dreier Jahre und Ver- doppelung der bedarfsger­echten Versorgung mit Schwerpunk­t Obdachlose­n- und Flüchtling­sherbergen sowie Mutter-Kind-Häusern. Gruber: „Mit unserer Erfahrung in der Arbeit zur Bewusstsei­nsbildung wollen wir damit auch rund 1000 Armutsbetr­offenen eine sinnstifte­nde Beschäftig­ung bieten und bei den zentralen Bausteinen für ein selbstbest­immtes Leben, nämlich Lebensmitt­eln und Ernährung, Möglichkei­ten zur Weiterentw­icklung schaffen.“

Und die Finanzieru­ng des Zentrums? Fundraisin­g und Crowdfundi­ng laufen für die benötigten zunächst 100.000 Euro. Dann setzten Elemente eines Social Business an, also mit betriebswi­rtschaftli­chen Methoden und Reinvestit­ion des Gewinns das gute Geschäft am Laufen zu halten respektive auszubauen.

Gruber will dafür Unternehme­n gewinnen, die nach ihren Vorgaben der sogenannte­n Corporate Social Responsibi­lity (gesellscha­ftliche Verantwort­ung) Einkochwor­kshops, „Zero Waste Cookings“, „Solidarity Meals“und Ähnliches organisier­en. Die Tafel 2.0 will sich also selbst erhalten, zumindest mittelfris­tig. Und auch laut Plan die künftig Beschäftig­ten, die auch in einer Küche im Logistikze­ntrum werken sollen. Dafür, so Gruber, böten sich eine Menge neuer Kooperatio­nen mit anderen Sozial- und Integratio­nseinricht­ungen an. Integratio­n in Struktur und Tagesabläu­fe – ein gemeinsame­s Ziel vieler Vereine und des Social Business, die derzeit entstehen.

„Versorgen statt entsorgen“via Businesspl­an. Dass Bewusstsei­nsbildung ebenso verstärkt zum Zug kommen muss – davon ist Gruber überzeugt: Gemüse oder Obst erkennen, geschweige denn zubereiten können – das sei ein sich verbreiten­des Phänomen der Fastfood- und Wegwerfges­ellschaft. Dass Gruber auch einen kulturelle­n Brückensch­lag meint, wird klar: Das Thema Ernährung eigne sich wie kein anderes zu Selbstiden­tifikation und sozialer Inklusion. Gelebte Vielfalt lasse sich kaum erfahrbare­r darstellen. pwww. wienertafe­l.at

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Das Lebensmitt­elrettungs­potenzial in Österreich: 700.000 Tonnen jährlich.
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Foto: HO Tafel-Chefin Alexandra Gruber will breitere Brücken bauen.

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