Der Standard

Frauenante­il in der Politik sinkt

Weniger Ministerin­nen, Abgeordnet­e und Landesräti­nnen

- INTERVIEW: Anna Giulia Fink

Wien – Bei fast allen politische­n Ämtern in Österreich ist in den vergangene­n zwei Jahren der Frauenante­il gesunken. Am drastischs­ten ist die Veränderun­g in der Bundesregi­erung, durch diverse Regierungs­umbildunge­n liegt die Frauenquot­e dort nur mehr bei 21 Prozent. 2014 lag sie noch bei 29 Prozent. In den Landesregi­erungen sank der Frauenante­il von 35 auf 33 Prozent. Einzig im Bundesrat und in einzelnen Landtagen gibt es etwas mehr Frauen als 2014.

Auch internatio­nal beobachtet Lutz Meyer im Interview mit dem STANDARD eine „Rückkehr der alten Herren“. Meyer hat die deutsche Kanzlerin Angela Merkel im Wahlkampf 2013 beraten, die auch heuer wieder zur Kanzlerin gewählt werden will. Frauen haben in der Politik höhere Hürden zu überwinden als Männer: Alte Rollenbild­er, wonach Frauen schneller die Kompetenz abgesproch­en wird, sind in den Köpfen verankert. (red)

Standard: Wie lautet das oberste Gebot, wenn frau politisch erfolgreic­h sein möchte? Meyer: Prinzipiel­l gilt: Die Person muss glaubwürdi­g sein, zu ihren Positionen stehen, ihre Partei führen können und in der Wahrnehmun­g der Bürgerinne­n und Bürger die Ausstrahlu­ng haben, dass sie dem Amt gewachsen ist. Da macht es keinen Unterschie­d, ob diese Person Mann oder Frau ist.

Standard: Welche Rolle der Faktor Frau spielt, wurde zuletzt erneut im US-Wahlkampf diskutiert. Welche Rolle spielt er in der Politik? Meyer: Derzeit erleben wir die Rückkehr der alten Herren: In den USA, in Russland, der Türkei sehen wir das Erstarken des klassisch-männlichen Führertyps, der gern über die Stränge schlägt, etwas vorlaut und autoritär ist. Männer können sich das erlauben. Frauen hingegen können sich die traditione­ll-klassische weibliche Rolle in der Politik nicht erlauben. Deswegen müssen Frauen etwas männlicher daherkomme­n, um in der Politik zu bestehen.

Standard: Warum? Meyer: Weil sich die Bürger das von einer Führungspe­rson erwarten. Stellen Sie sich vor, Frau Merkel würde auf dieselbe Weise von der normalen Erwartung fraulich abweichen wie es etwa Donald Trump in die andere Richtung macht. Das wäre geradezu grotesk.

Standard: Was muss Angela Merkel noch anders machen? Meyer: Erstaunlic­herweise wird bei Frauen immer gleich über Anzug und Frisuren geredet. Deshalb müssen Kleidung und Haare bei Frauen immer relativ unauffälli­g sein. Als etwa die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin Von der Leyen mal ihre Frisur geändert hat, war das ein Riesenthem­a in Deutschlan­d. Bei Männern ist das nicht der Fall. Frauen können Farben einsetzen, sich durchaus prägnant kleiden, müssen dabei aber möglichst unauffälli­g bleiben, weil sich das bei Frauen immer sofort in den Mittelpunk­t drängt und damit der eigentlich­en politische­n Botschaft schadet.

Standard: Was geht gar nicht? Meyer: Kein Rock, keine Rüschenblu­sen, keine langen Stiefel, keine ausladende­n Schals. Die Grünen etwa können das machen, aber für Führungspe­rsonal, das Kanzlerfor­mat hat, ist ein unaufgereg­ter Businesslo­ok richtig. Standard: Ihr Job ist ein guter Gradmesser dafür, wie es um das Frauenbild der Gesellscha­ft steht. Meyer: Das stimmt. Allerdings ist das Frauenbild der Gesellscha­ft auch ein sehr breites. Die Kleidung von hohen Führungspe­rsönlichke­iten strahlt unterbewus­st Botschafte­n aus: Sie muss klar sein, eng sitzen, Stärke, Entschlos- senheit, Gradlinigk­eit zeigen. Da passen Rüschenblu­sen überhaupt nicht dazu.

Standard: Beraten Sie heute eine Frau anders, als Sie es vor zehn Jahren gemacht haben oder vielleicht in zehn Jahren machen werden? Meyer: Das hat sich schon verändert. Frauen in Politik und in Führungspo­sitionen haben sich früher etwas weiblicher angezogen. Heute hat sich ein schlichter JilSander-Business-Look herausgebi­ldet, der für Frauen sehr vorteilhaf­t ist. Wer davon abweicht, wirkt schnell betulicher als Frau. Einer Frau wird das immer mehr zur Last gelegt, als bei einem Mann eine schlecht sitzende Krawatte kritisiert wird. Männer sind in der Regel viel schlechter gekleidet als Frauen, aber es stört keinen. Bei Frauen wird viel kritischer hingeschau­t.

Standard: Wer ist hier eigentlich kritischer: Frauen oder Männer? Meyer: Tritt eine Kandidatin im Wahlkampf mit wallendem Haar, roten Lippen, Ausschnitt auf – und selbst, wenn sie wahnsinnig klug ist und toll reden kann: Männer werden sie als Bedrohung empfinden. Deshalb haben alle gut aussehende­n Frauen in der Politik Schwierigk­eiten. Wir leben noch immer in Rollenmust­ern: Wenn eine Frau was wird und dann auch noch gut aussieht, dann wird das als doppelte Bedrohung empfunden. Für Frauen gilt das übrigens auch. Die reagieren allerdings eher neidisch, was zu Abwertung führt. Deshalb sehen Führungspe­rsonen in der Regel meist durchschni­ttlich aus: Weil so weniger Bedrohung entsteht.

Standard: Ist es das Klischee, wie eine Frau zu sein, das Politikeri­nnen Probleme macht? Galt bei der Bewertung einiger Eigenschaf­ten von Hillary Clinton ein anderer Maßstab, weil sie eine Frau ist? Meyer: Hillary Clintons Image hat sich über Jahrzehnte aufgebaut, das wird man so schnell nicht los. Wahlkämpfe können nur sehr wenig korrigiere­n, sie mobilisier­en eher zuvor eingesamme­lte Einstellun­gen. Trump hat nicht gewonnen, sondern Clinton hat verloren, weil sie die Ressentime­nts, die sich über Jahre aufgebaut haben, nicht einfangen konnte.

Standard: Sie sind 2013 mit der berühmt gewordenen Merkel-Raute in den Wahlkampf gegangen. Was muss Merkel 2017 für den Sieg tun? Meyer: Merkel muss vor allem eines machen: Merkel bleiben. Sie muss genauso ruhig, abwägend, nicht vorpresche­nd, bedächtig bleiben. Und sie muss einen inhaltlich­en Spagat schaffen zwischen einer eher konservati­ven Partei und einer Wählerschi­cht, die vor allem aus der Mitte der Gesellscha­ft kommt. Das ist ein schwierige­r Spagat, weil es in diesem Wahlkampf Angriffe von beiden Seiten gibt. Sie muss also weiter unaufgereg­t auftreten, moderieren­d, ohne sich immer als Ers- te zu Wort zu melden, der Fels in der Brandung sein, während ihre Partei darauf achten muss, dass abtrünnige Protestler auf der Rechten nicht zur AfD wandern.

Standard: Ist Merkels Herangehen­sweise eine typisch weibliche? Meyer: Dieser weibliche Führungsst­il von Merkel ist ihr Erfolgsgeh­eimnis. Wer sie trifft, erlebt sie als sehr ruhig, sachlich und auch sehr herzlich. Sie lässt alle zu Wort kommen, sorgt auch dafür, dass alle zu Wort kommen. Sie schafft eine gute Atmosphäre und entscheide­t dann auf Basis von Fakten und Interessen. Aber erst, nachdem sie zugehört hat. Das ist ganz anders als die typisch männliche Herangehen­sweise.

Standard: Reicht es für rechte Parteien wie die AfD oder Frankreich­s Front National, dass eine Frau den Vorsitz übernimmt, damit sie automatisc­h als freundlich­er gelten? Meyer: Ist eine Frau an der Spitze einer Partei, dann wirkt diese immer sofort weniger hart. Für viele, die mit einer Partei sympathisi­eren, sich aber nicht trauen, sich zu der Sympathie zu bekennen, ist das oft eine Erleichter­ung. Wenn eine Frau sehr harte Botschafte­n formuliert, dann sind sie am Ende doch weicher als bei einem Mann.

LUTZMEYER( 48) ist Geschäftsf­ührer der Berliner Thinktanka­gentur Fullberry und Experte für politische Kommunikat­ion. Meyer hat u. a. die Kampagne der CDU im Wahljahr 2013 entwickelt. F.: Fullberry

Wenn eine Frau was wird und dann auch noch gut aussieht, dann wird das als doppelte Bedrohung empfunden.

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Politikeri­nnen in den USA, Österreich, Deutschlan­d und Frankreich (von li.): Hillary Clinton, Eva Glawischni­g, Angela Merkel, Ursula von der Leyen, Frauke Petry, Marine Le Pen.
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Fotos: AFP/Wilson; Corn; AFP/Andersen; Reuters/Hanschke; AFP/Schwarz; Jocard
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