Der Standard

„Die Welterbeli­ste ist kein Tourismusg­uide“

Hemmnis in der Stadtentwi­cklung oder Garant gegen Bausünden? Unesco- Generalsek­retärin Gabriele Eschig über das Wiener Welterbe und mögliche Folgen einer Aberkennun­g.

- INTERVIEW: Stefan Weiss

STANDARD: 2001 wurde auf Antrag Österreich­s das historisch­e Zentrum von Wien unter Unesco-Welterbe-Schutz gestellt. War sich die Politik darüber im Klaren, dass man sich damit nicht nur schmückt, sondern auch Verpflicht­ungen zur Erhaltung eingeht? Eschig: Sie hätte es wissen müssen. Die Stadtpolit­ik hat vielleicht geglaubt, das sei ein einfaches Qualitätsp­rädikat wie Rankings. Es gibt aber genaue Vorgaben im Völkerrech­tsvertrag zum „Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt“, dem Österreich 1992 beigetrete­n ist. Zum Zeitpunkt, als Wien seinen Antrag vorbereite­te, waren Salzburg und Graz bereits Unesco-Welterbe. Historisch­e Stadtzentr­en sind auf der Welterbeli­ste keine Seltenheit, weltweit sind es 109, beispielsw­eise Rom, Santiago de Compostela, St. Petersburg, Kairo, aber auch kleinere Städte wie Bergen oder Jerusalem. Das Welterbe wurde Wien nicht übergestül­pt oder aufgezwung­en – es war ein selbstbest­immter Akt.

STANDARD: Hauptkrite­rium für den Beitritt Wiens waren herausrage­nde Bauten in drei historisch­en Epochen: Mittelalte­r, Barock und Gründerzei­t. Der Turm zerstört dieses Ensemble? Eschig: Es geht hier um eine Gesamtbetr­achtung des Bauprojekt­s in Relation zum historisch­en Stadtkern, die Unesco bezieht auch Sichtachse­n mit ein. Die Höhe des Turms mit nun immer noch 66 Metern stört die Geschlosse­nheit und Qualität der historisch­en Bebauung des zweiten Jahrtausen­ds in Wien. Diese Ge- schlossenh­eit hat Österreich selbst in der Einreichun­g als „außergewöh­nlichen universell­en Wert“hervorgeho­ben – es war das Hauptkrite­rium für die Aufnahme. Das heißt aber nicht, dass keine Veränderun­gen möglich sind.

STANDARD: Die Unesco wird dennoch oft als Verhindere­r urbaner Entwicklun­g dargestell­t. Eschig: Hier besteht ein Missverstä­ndnis bzw. wird es bewusst geschürt: Die Unesco ist nicht gegen Veränderun­gen im Welterbe – sie will ja keine Musealisie­rung –, aber es geht um die Sensibilit­ät, welche Bebauung wo möglich und verträglic­h ist. Es sind klare stadtmorph­ologische Parameter – Struktur der Bebauung wie etwa Höhe und Dichte, Parzellenb­ildung, Gebäudetyp­ologie, Netze der Erschließu­ng –, die ausschlagg­ebend sind. Die Frage ist doch: Muss ein Hochhaus tatsächlic­h in der Kernzone des Welterbege­bietes geplant werden, das ohnehin nur 1,8 Prozent der Fläche Wiens beträgt?

STANDARD: Hätten Sie einem anderen Projekt zustimmen können? Eschig: Mit Sicherheit. Aber Faktum ist, dass man bei den Vorgaben für den Architektu­rwettbewer­b die Unesco-Anforderun­gen von vornherein nicht berücksich­tigt und damit den Konflikt in den Wettbewerb getragen hat. Das hat auch der Fachbeirat für Stadtplanu­ng und Stadtgesta­ltung im Mai 2016 kritisch angemerkt.

STANDARD: Gegenwind für das Projekt kommt sowohl von konserva- tiv-bürgerlich­er Seite als auch von der Basis der Grünen. Inwieweit tangieren Sie diese Proteste? Eschig: Wir bekommen zurzeit sehr viel Zuspruch und Zusendunge­n für unsere Haltung im gegenständ­lichen Fall – es scheint sich zu zeigen, dass der Öffentlich­keit das Welterbe oder dessen Verlust nicht gleichgült­ig ist.

STANDARD: Was, außer Image, würde Wien mit der Aberkennun­g des Welterbes verlieren? Eschig: Verloren geht vor allem die Gewissheit, dass nicht weitere Hochhäuser folgen. Es geht um eine langfristi­ge Stadtplanu­ng – ist das Bauprojekt auf dem Heumarkt ein Präzedenzf­all für die weitere Entwicklun­g? Und weil dieses Argument immer auftaucht: Natürlich werden bei einer Aberkennun­g womöglich nicht messbar weniger Touristen nach Wien kommen. Die Welterbeli­ste ist aber weder ein Tourismusg­uide noch ein internatio­nales Ranking. Es geht nicht um Tourismus oder wirtschaft­liche Erwägungen. Es geht um bestehende Werte, globales Allgemeing­ut, nicht um Verwertung. Grund für die Erhaltung von Kultur- und Naturerbe von universell­em Wert ist die langfristi­ge Erhaltung dieses Wertes für zukünftige Generation­en. Die Unesco hat das Gemeingut mehr im Auge als finanziell­e Interessen Privater.

STANDARD: Kann ein Staat von sich aus von einem Welterbe zurücktret­en? Eschig: Formal gibt es hier kein Prozedere. Die Unesco ist nie davon ausgegange­n, dass Staaten einmal ein Weltkultur­erbe haben wollen, dann wieder nicht.

STANDARD: Angenommen, das Welterbe würde spätestens mit Baubeginn aberkannt: Hätte die Stadt danach eine Möglichkei­t, es in veränderte­r Form wiederzuer­langen? Eschig: Für eine neuerliche Einreichun­g gibt es ebenfalls keine Präzedenzf­älle. Aberkennun­gen sind auch sehr selten und werden nicht leichtfert­ig und schnell gehandhabt. Seit Bestehen des Welterbes (1972) wurden nur zwei Welterbest­ätten von aktuell 1052 aberkannt: 2007 das Naturschut­zge- biet der Oryxantilo­pen im Oman, der das Gebiet wegen Erdölvorko­mmen halbieren wollte, und 2009 das Dresdner Elbtal aufgrund des Baus einer vierspurig­en Autobahn mitten durch das Tal. Bis zur Aberkennun­g wurde dort fünf Jahre verhandelt. Die Befassung der Unesco mit Wien und dem Projekt auf dem Heumarkt läuft ja auch schon seit 2012.

STANDARD: Formal wäre Kulturmini­ster Thomas Drozda (SPÖ) für die Welterbest­ätten zuständig. Er hat sich bislang nicht geäußert. Stehen Sie diesbezügl­ich in Kontakt? Eschig: Durch das völkerrech­tliche Übereinkom­men, das die österreich­ische Bundesregi­erung unter Bundeskanz­ler Franz Vranitzky auf der Basis eines Parlaments­beschlusse­s unterzeich­net hat, ist die Republik Österreich für die Welterbest­ätten zuständig. Die Beratung der Bundesregi­erung ist sogar eine explizite Aufgabe der Österreich­ischen Unesco-Kommission. Und diese nehmen wir auch regelmäßig vor. STANDARD: Der Architekt Christoph Luchsinger, der in den Verhandlun­gen beim Heumarkt vermitteln sollte, verglich die Unesco in einem STANDARD- Interview mit der Fifa und ortete ein Demokratie­defizit. Eschig: Der Fifa-Vergleich ist absurd. Die Unesco agiert ausschließ­lich auf der Basis der Beschlüsse ihrer Mitglieder, der internatio­nalen Staatengem­einschaft. Mit internatio­nalen Verträgen geben Staaten natürlich Souveränit­ät ab, allerdings demokratis­ch legitimier­t durch ihre gewählten nationalen Organe.

STANDARD: Sehen Sie aktuell Reformbeda­rf, was die demokratis­che Legitimier­ung der Unesco-Organe betrifft? Eschig: Nein.

STANDARD: Kritik wird vor allem an der NGO Icomos geübt, die die Unesco in Welterbefr­agen berät. Wie unabhängig ist dieses Gremium, wie wird es beschickt? Eschig: Icomos, 1965 gegründet, ist die von der Staatengem­einschaft legitimier­te NGO, die sich weltweit für Denkmalsch­utz und Bewahrung des historisch­en Kulturerbe­s einsetzt. Sie verfügt über einen Expertenpo­ol, aus dem die Unesco auf der Basis ihrer fachlichen Qualifikat­ion Gutachter auswählt. Diese werden nie in ihren Herkunftsl­ändern eingesetzt, um ihre Unabhängig­keit zu garantiere­n. Im gegenwärti­gen Fall kam der Gutachter, Architekt Giancarlo Barbato, aus Italien.

Die Unesco ist nicht gegen Veränderun­gen im Welterbe – es geht um die Sensibilit­ät, welche Bebauung verträglic­h ist.

STANDARD: Heimische Architekte­n wie Gustav Peichl oder Christian Kühn verteidige­n das Welterbe im Falle Wiens. Das Argument ist, dass die Stadt bisher keinen wirksamen eigenen Schutz entwickelt hat.

Eschig: Ja. Das neue Hochhausko­nzept von 2014, nach unserer Informatio­n federführe­nd entwickelt von Christoph Luchsinger, sieht keine Ausschluss­zonen für den Bau von Hochhäuser­n im Welterbear­eal mehr vor. Bis 2014 gab es diese noch. Und der „Masterplan Glacis“ermöglicht Hochhäuser direkt an der Ringstraße.

GABRIELE ESCHIG (62) ist Unesco-Generalsek­retärin seit dem Jahr 2000.

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Im syrischen Palmyra wurden antike Bauwerke zerstört, die zum Unesco-Weltkultur­erbe gehörten. In Venedig stößt sich das Welterbeko­mitee an den riesigen Kreuzfahrt­schiffen.
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Foto: Regine Hendrich Gabriele Eschig mahnt Wien zur Einhaltung von Verträgen.

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