Der Standard

„Hollande hat nichts getan, außer Frankreich ruiniert“

Im Frühjahr wählt Frankreich einen Präsidente­n. Jean-Luc Mélenchon, laut Umfragen bestplatzi­erter Kandidat der Linken, spricht über den Ausstieg aus dem Euro und die Rechtspopu­listin Marine Le Pen.

- INTERVIEW: Stefan Brändle

STANDARD: Sie verfolgen sicher die Primärwahl­en der Sozialiste­n und ihre TV-Debatten. Was ist Ihr Eindruck? Mélenchon: Das sind nette Jungs, ich kenne sie gut. Ich musste dabei aber sehr leiden. Denn ehrlich, ich habe mich gelangweil­t. So viele Lügen. Man kann nicht das eine sagen, aber das andere machen.

STANDARD: Warum haben Sie nicht selbst mitgemacht, um eine Einheitska­ndidatur der Linken zu ermögliche­n? Mélenchon: Das ist eine Frage der Loyalität gegenüber meinen Ideen. Ich kann nicht an einer internen Voraussche­idung teilnehmen, an der wir uns in der Sache über nichts einig sind.

STANDARD: Sozialisti­sche Kandidaten wie Arnaud Montebourg sind aber gar nicht so weit von Ihnen entfernt. Montebourg bietet Ihnen eine Allianz nach der Primärwahl an. Mélenchon: Die Regierung, der Montebourg angehörte, hat ein liberales Arbeitsrec­ht in Kraft gesetzt, das Millionen von Menschen auf die Straße getrieben hat. Die Sozialiste­n wollen, dass ich ihnen das Proletaria­t auf einem Tablett serviere. Das geht so nicht. Wenn Manuel Valls (vom rechten Parteiflüg­el der Sozialiste­n, Anm.) die Primärwahl gewinnt, werden die sozialisti­schen Wähler in Massen zu mir überlaufen. Und wenn Montebourg gewinnt, werden wir halt kämpfen.

STANDARD: Ein Sozialist gegen einen Linken – und die Rechte profitiert? Mélenchon: Sehen Sie, die Sozialdemo­kratie, einst die Matrix der europäisch­en Progressiv­en, ist heute in zwei Teile gespalten und politisch am Ende. Sie wollte das kapitalist­ische System korrigiere­n, kann aber seinen Lauf auch nicht ändern, da es auf dem ewigen Wirtschaft­swachstum beruht. Die Sozialdemo­kraten wissen selbst nicht mehr, wie sie die Globalisie­rung bremsen sollen.

STANDARD: Sie sind sehr EU-kritisch. Wollen Sie aus dem Euro aussteigen? Mélenchon: Es geht nicht um den Euro, sondern darum, dass zwischen den Ländern ein Gleichgewi­cht fehlt, das die Voraussetz­ung für eine gemeinsame Währung ist. Deutschlan­d hat zu hohe Überschüss­e. François Hollande versprach bei seinem Amtsantrit­t 2012, die EU-Verträge neu auszuhande­ln. Er hat nichts getan, außer Frankreich ruiniert.

STANDARD: Was ist denn Ihr Ansatz? Was wollen Sie? Mélenchon: Wir verlangen eine echte soziale und fiskalisch­e Harmonisie­rung zwischen den Mitgliedss­taaten, ohne die der Euro unmöglich ist. Wir wollen uns von den Europäisch­en Verträgen freimachen, um eine wahre Investitio­nspolitik der Nachfrage sowie einen ökologisch­en Übergang zu ermögliche­n. Wir wollen das Modell des Freihandel­s überwinden, Märkte schützen und einen solidarisc­hen Protektion­ismus ermögliche­n. Wenn das nicht möglich ist, dann verlassen wir eben das Schiff.

STANDARD: So wie es die Rechtspopu­listin Marine Le Pen will? Mélenchon: Le Pen freut sich über den Brexit, sie will den Euro nie- dermachen, aus der EU aussteigen. Wir steigen nicht einfach aus, sondern suchen zuerst die Kraftprobe. Nicht so sehr mit Deutschlan­d – ich bin germanophi­l –, sondern mit der deutschen Regierung und Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble.

STANDARD: Was halten Sie von der Kandidatur von Marine Le Pen? Mélenchon: Sie gerät langsam in Panik. Jetzt vergreift sie sich sogar an Kindern: Sie will den Sprössling­en von Einwandern die Schulbildu­ng vorenthalt­en. Und dann kopiert sie ausgerechn­et von den sterbenden Sozialiste­n das Parteiembl­em der Rose – bei ihr in Blau. Die Kampagne von Marine Le Pen geht den Bach hinunter.

STANDARD: Gibt es nicht Ähnlichkei­ten zwischen Ihnen und Marine Le Pen, was den antieuropä­ischen Kurs und den populistis­chen Stil anbelangt? Mélenchon: Früher sagte man, ich sage das Gleiche wie Le Pen, was die EU und den Euro anbelangt. Heute wird vielmehr Le Pen in ihrer Partei kritisiert, sie äffe mich nach. Tatsache ist, dass ich den Front National am direkteste­n bekämpfe. Neuerdings sogar mit einem Hologramm.

STANDARD: Sie meinen mit einem 3-D-Bild? Mélenchon: Dank dieser neuen Technologi­e werde ich am 5. Februar an zwei Wahlmeetin­gs zugleich auftreten können. An dem Tag hatte ich schon einen Auftritt in Paris vorgesehen. Dann erfuhren wir, dass der Front National am gleichen Tag eine Tagung in Lyon abhält. Diese Stadt will ich ihr nicht überlassen. Also plane ich einen Wahlkampfa­uftritt in Lyon. Um das Pariser Engagement einzuhalte­n, werde ich dort als Hologramm auftreten, das heißt virtuell in 3-D. Ein Novum für die Politik. Mal sehen, ob es klappt (lacht).

STANDARD: Sie sind kein PutinFreun­d. Was sagen Sie zu den Schnüffelv­orwürfen gegenüber Moskau? Mélenchon: Ich glaube kein Wort von dem, was die Amerikaner behaupten. Dafür gibt es keinerlei Beweise. Warum schockiert es uns nicht, dass uns der USGeheimdi­enst ausspionie­rt? Ich bin sehr beunruhigt über die antirussis­che Stimmung in Europa. Auch wenn ich keinerlei Sympathien für Wladimir Putin hege: Das Verhalten der Europäer gegenüber Moskau ist unverhältn­ismäßig, ja irrational. Frankreich hat historisch enge Beziehunge­n zu Russland. Es ist in unserem Interesse, die Dinge zu beruhigen. Sonst kriegen wir auf dem Kontinent ein Problem.

STANDARD: Welche Haltung haben Sie gegenüber den Migranten in Europa? Mélenchon: Solange Menschen hierherkom­men, wirft man sie nicht ins Meer, sondern behandelt sie würdig. Insofern hat sich Deutschlan­d exemplaris­ch verhalten. Zugleich müssen wir aber die Ursachen für die Migration bekämpfen – die Kriege, aber auch die EU-Abkommen, die die Entwicklun­gsländer zermalmen.

JEAN-LUC MÉLENCHON (66) ist der inoffiziel­le Chef der französisc­hen Linksparte­i, die er 2008 gründete, nachdem er aus der Sozialisti­schen Partei ausgetrete­n war. Der ehemalige Berufsbild­ungsminist­er der Regierung Jospin ist heute EuropaAbge­ordneter. Früher „der französisc­he Oskar Lafontaine“genannt, kämpft Mélenchon heute vor allem gegen das „Europa der Austerität“und für eine ökologisch­e Wende. Er steht in Meinungsum­fragen zwischen zehn und 14 Prozent.

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Foto: Reuters/Mahe Jean-Luc Mélenchon kämpft für eine starke Linke.

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