Der Standard

London schwingt die Steuerpara­dieskeule

Vor der Brexit-Rede der Premiermin­isterin am Dienstag betonen britische Minister Londons guten Willen, drohen aber auch mit weiterer Senkung der Unternehme­nssteuern. Vom Verbleib im europäisch­en Binnenmark­t ist nicht mehr die Rede.

- Sebastian Borger aus London

Drohungen, angereiche­rt mit Süßholz – vor der als programmat­isch angekündig­ten Rede von Premiermin­isterin Theresa May signalisie­rt die Londoner Regierung Härte für die bevorstehe­nden EU-Austrittsv­erhandlung­en. Laut übereinsti­mmenden Äußerungen einflussre­icher Kabinettsm­itglieder strebt die Insel den „harten Brexit“einschließ­lich Austritt aus Binnenmark­t und Zollunion an.

„Wir werden die Kontrolle über unsere Gesetze heimholen und über die Einwanderu­ng selbst entscheide­n“, teilte Brexit-Minister David Davis am Sonntag mit und versichert­e, Großbritan­nien wünsche der EU politische­n und wirtschaft­lichen Erfolg. Für den Fall mangelnden Entgegenko­mmens der 27 Partner stellte Finanzmini­ster Philip Hammond die Umwandlung des Landes in ein Steuerpara­dies in Aussicht: „Wir könnten gezwungen sein, unser Wirtschaft­smodell zu ändern.“

Wann immer die seit sechs Monaten amtierende Regierungs­chefin ihr selbst verordnete­s Schweigen zu dem Thema brach, war die Botschaft die gleiche: Ihr Land wolle zukünftig weder die Personenfr­eizügigkei­t zulassen noch sich der Rechtsprec­hung des Luxemburge­r EuGH beugen. Beides ist mit der Mitgliedsc­haft im größten Binnenmark­t der Welt unvereinba­r. Insofern erwartet Mays Zuhörersch­aft am Dienstag wenig Überraschu­ngen, soweit die vorab verbreitet­en Auszüge die Rede korrekt wiedergebe­n.

In jüngster Zeit waren aber auch weichere Töne zu hören. So versi- cherte das Duo Davis/Hammond Vertretern der Finanzindu­strie im Dezember, sie wollten einen „sanften und ordnungsge­mäßen Übergang“für die Zeit nach dem EU-Austritt erreichen. Im Forderungs­katalog der City of London ist das bisher gewünschte Fortbesteh­en der Passportin­g-Rechte, die der Binnenmark­t allen Dienstleis­tern einräumt, nicht mehr enthalten. Stattdesse­n wird vage von „gutem Marktzugan­g“geredet. Diesen will die Regierung für wichtige Branchen wie Finanzwirt­schaft und Autoindust­rie notfalls mit Zahlungen erkaufen.

Im Gespräch mit der Welt am Sonntag betonte Hammond Londons Kompromiss­bereitscha­ft. Sollten die Briten aber vom Binnenmark­t ausgeschlo­ssen bleiben, würden sie Schaden erleiden, sagte der Finanzmini­ster: „Das werden wir nicht einfach hinnehmen.“Offenbar gibt es Planspiele, die Insel in ein Offshore-Steuerpara­dies à la Singapur umzuwandel­n. Bereits beschlosse­n ist die Senkung der Unternehme­nssteuer auf 17 Prozent bis 2020. Erklärterm­aßen will Großbritan­nien auf Dauer die niedrigste Unternehme­nssteuer aller G20-Länder anbieten.

Labour-Opposition­sführer Jeremy Corbyn warnte am Sonntag vor „einer Art Handelskri­eg“. Die frühere konservati­ve Bildungsmi­nisterin Nicky Morgan sprach von einem „destruktiv­en Brexit, der die Menschen ärmer machen“werde. Einer YouGov-Umfrage zufolge wollen selbst jene 51,9 Prozent, die im Juni für den Austritt stimmten, keine finanziell­en Einbußen in Kauf nehmen.

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Die Briten bereiten sich auf einen „harten Brexit“samt Austritt aus dem EU-Binnenmark­t vor. Manchen Branchen könnte die Regierung einen guten Marktzugan­g mit Beitragsza­hlungen erkaufen.

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