London schwingt die Steuerparadieskeule
Vor der Brexit-Rede der Premierministerin am Dienstag betonen britische Minister Londons guten Willen, drohen aber auch mit weiterer Senkung der Unternehmenssteuern. Vom Verbleib im europäischen Binnenmarkt ist nicht mehr die Rede.
Drohungen, angereichert mit Süßholz – vor der als programmatisch angekündigten Rede von Premierministerin Theresa May signalisiert die Londoner Regierung Härte für die bevorstehenden EU-Austrittsverhandlungen. Laut übereinstimmenden Äußerungen einflussreicher Kabinettsmitglieder strebt die Insel den „harten Brexit“einschließlich Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion an.
„Wir werden die Kontrolle über unsere Gesetze heimholen und über die Einwanderung selbst entscheiden“, teilte Brexit-Minister David Davis am Sonntag mit und versicherte, Großbritannien wünsche der EU politischen und wirtschaftlichen Erfolg. Für den Fall mangelnden Entgegenkommens der 27 Partner stellte Finanzminister Philip Hammond die Umwandlung des Landes in ein Steuerparadies in Aussicht: „Wir könnten gezwungen sein, unser Wirtschaftsmodell zu ändern.“
Wann immer die seit sechs Monaten amtierende Regierungschefin ihr selbst verordnetes Schweigen zu dem Thema brach, war die Botschaft die gleiche: Ihr Land wolle zukünftig weder die Personenfreizügigkeit zulassen noch sich der Rechtsprechung des Luxemburger EuGH beugen. Beides ist mit der Mitgliedschaft im größten Binnenmarkt der Welt unvereinbar. Insofern erwartet Mays Zuhörerschaft am Dienstag wenig Überraschungen, soweit die vorab verbreiteten Auszüge die Rede korrekt wiedergeben.
In jüngster Zeit waren aber auch weichere Töne zu hören. So versi- cherte das Duo Davis/Hammond Vertretern der Finanzindustrie im Dezember, sie wollten einen „sanften und ordnungsgemäßen Übergang“für die Zeit nach dem EU-Austritt erreichen. Im Forderungskatalog der City of London ist das bisher gewünschte Fortbestehen der Passporting-Rechte, die der Binnenmarkt allen Dienstleistern einräumt, nicht mehr enthalten. Stattdessen wird vage von „gutem Marktzugang“geredet. Diesen will die Regierung für wichtige Branchen wie Finanzwirtschaft und Autoindustrie notfalls mit Zahlungen erkaufen.
Im Gespräch mit der Welt am Sonntag betonte Hammond Londons Kompromissbereitschaft. Sollten die Briten aber vom Binnenmarkt ausgeschlossen bleiben, würden sie Schaden erleiden, sagte der Finanzminister: „Das werden wir nicht einfach hinnehmen.“Offenbar gibt es Planspiele, die Insel in ein Offshore-Steuerparadies à la Singapur umzuwandeln. Bereits beschlossen ist die Senkung der Unternehmenssteuer auf 17 Prozent bis 2020. Erklärtermaßen will Großbritannien auf Dauer die niedrigste Unternehmenssteuer aller G20-Länder anbieten.
Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn warnte am Sonntag vor „einer Art Handelskrieg“. Die frühere konservative Bildungsministerin Nicky Morgan sprach von einem „destruktiven Brexit, der die Menschen ärmer machen“werde. Einer YouGov-Umfrage zufolge wollen selbst jene 51,9 Prozent, die im Juni für den Austritt stimmten, keine finanziellen Einbußen in Kauf nehmen.