Hinein ins Reich der Vogelfreiheit
Faszinierende Amoral: „Der talentierte Mr. Ripley“im Wiener Theater der Jugend
Wien – New York ist das angesagte Pflaster für alle Gauner und Möchtegern-Dandys. Swing-Jazz fegt durch das Wiener Theater im Zentrum. Ein blasser Jüngling mit Streberbrille schlendert durch das Häusermeer. Tom Ripley (Jakob Elsenwenger) versteht sich auf Betrügereien. Er glaubt sich von einem Mann mit Hut und Mantel verfolgt. Der „alte Schwule“entpuppt sich jedoch rasch als Sendbote von Göttin Fortuna.
Ripley wird vom Reedereibesitzer Greenleaf (Uwe Achilles) als Emissär dorthin entsandt, wo die Zitronen blühen. Er soll den nichtsnutzigen Sohn des Geldsacks vom italienischen Strand auflesen und per Express heim in die Staaten schicken. Ripley hat natürlich nichts Besseres zu tun, als den Auftrag getreulich nicht zu erfüllen. Er hintergeht der Reihe nach alle Beteiligten. Er geht buchstäblich über Leichen, und am Ende führt er, dem keine Regung anzumerken ist, womöglich sich selbst hinters Licht.
Der berühmteste Romanheld der großen Patricia Highsmith genießt jetzt in einer wunderbar leichtfüßigen Textfassung von Thomas Birkmeir (Regie) für das Theater der Jugend ein zweites, komplett angstbefreites Leben. Der talentierte Mr. Ripley ist ein schmuckes Hohelied auf die Illusion jeglicher Moral. Birkmeir hat sich dazu entschlossen, das junge Publikum (von 13 aufwärts) von Anfang an ins Vertrauen zu ziehen. Mitwisserschaft sichert dem Antihelden am wirkungsvollsten die Sympathien.
Und so entwickelt Tom in Gestalt des famosen Elsenwenger eine tröstlich einlullende Suada. Die richtet er ohne Hast und Skrupel in das schockierte Auditorium. Stück für Stück wird man Zeuge einer kindlichen Katzbalgerei. Tom verliebt sich Hals über Kopf in seinen Klienten, den melancholischen Leider-nein-Maler „Dickie“Greenleaf (Julian Schneider). Er muss dessen Gefährtin, die spröde Kunstblondine Marge (Ursula Anna Baumgartner), von ihm wegscheuchen. Ripley hat alle Hände voll zu tun. Und so bemerkt man nicht ohne wachsende Faszination, dass noch der nichtswürdigste Halunke mit den Aufgaben, die ihm gestellt werden, wachsen kann.
Die Atmosphäre dieser wunderbar ambivalenten Aufführung ist die des Traums. Eben weil dieser Ripley kein Wässerchen trüben kann, schlüpft er ohne merkliche Verrenkung in die Rolle des Mörders, der „Dickie“, der ihn durchschaut, mit dem Ruder erschlägt.
Die Übernahme der fremden Identität ist bloß ein weiterer Schritt hinein ins Reich der geistig-moralischen Vogelfreiheit. Und so managt Ripley sein „Glück“mit dem beflissenen Stolz eines Vorzugschülers, der sich seinen Lehrstoff selbst zurechtlegt. Gummischnüre schirmen die kahle Bühne (Ausstattung: Goda Palekaité). Das Traumland der unbegrenzten Möglichkeiten ist nachgiebig und weich. Irgendwo, unsichtbar, liegen Tom Ripleys bessere Anlagen begraben: seine Empathie, seine Befähigung zur Liebe, seine Sehnsucht nach validen Verhältnissen.
Ein akklamierter Abend, mit einem irrlichternden Auftritt Uwe Dreysels als „Freddie Miles“: die Figur des Dandys als echte Nervensäge. Chapeau. p www.tdj.at