Der Standard

Stern- Stunde für die Rettung der „Onion“

Uraufführu­ng von Miroslava Svolikovas fantastisc­hem Stück „Diese Mauer fasst sich selbst zusammen...“im Schauspiel­haus Wien: Franz-Xaver Mayr inszeniert einen brillanten Theaterpar­cours.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Die Welt ist komplizier­t geworden. Das widerspieg­eln auch die Titel von Theaterstü­cken. Mit dem kuriosen Satz Die Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen, der Stern hat auch was gesagt rüttelt die junge Wiener Dramatiker­in Miroslava Svolikova schon vorneweg am Vorstellun­gsvermögen. Es wird in dem famosen Stück, das am Freitag im Schauspiel­haus Uraufführu­ng hatte, aber nicht nur ein fünfzackig­er Stern das Wort erheben, auch ein Stein wird eine Ansprache halten, und „ein Speichel“wird aus vollen Rohren Schleim absondern. Dickes Theater!

Man hat als Publikum alle Hände voll zu tun, den Behauptung­sund Entkräftun­gsschleife­n dieser kafkaesk-phantastis­chen Literatur (im heiter-abgründige­n Sinne E.T.A. Hoffmanns) auf den Fersen zu bleiben.

Das Stück begleitet drei Protagonis­ten (Simon Bauer, Katharina Farnleitne­r, Steffen Link) durch ein rätselhaft­es futuristis­ches Museum, das einen gemütslose­n Blick zurück auf die Zeit der Europäisch­en Union wirft. Dieser be- inhaltet bereits eine Replik auf die Lethargie von heute. Svolikovas Text spielt präzise mit dem vagen Boden der Realität und verunsiche­rt Protagonis­ten wie Publikum mit schrägen Hypothesen. Der Museumsfüh­rer selbst (Sebastian Schindegge­r) stellt sich höflich als Hologramm vor – und verhält sich dann auch so (irre).

Nicht auf alles in Svolikovas Stück gibt es eine handfeste Antwort. Schon in ihrem Erstling, der mit dem Retzhofer Dramapreis ausgezeich­neten und im Vorjahr im Burgtheate­r-Vestibül uraufgefüh­rten Dorfstudie die hockenden, wurde die 30-jährige Autorin (sie kommt von der Philosophi­e her respektive der bildenden Kunst) nicht sonderlich konkret. Sie ließ vielmehr in polyphonen Stimmen die Lähmung einer Gesellscha­ft spürbar werden.

Auch in Die Mauer fasst sich selbst zusammen... ist das ein The- ma: das vage Leben der Bittstelle­rgesellsch­aft. Regisseur Franz-Xaver Mayr setzt steile Behauptung­en in schöne Irrtümer um. Eine Offenbarun­g zuzusehen.

Die drei Protagonis­ten haben eine Ausschreib­ung gewonnen und finden sich – wie hingebeamt – in einem weißen Raum wieder, wo nun alles beginnt. Doch wo sind sie genau? Was haben sie wirklich gewonnen? Und was beginnt eigentlich? Aus vagen Zu- ständen baut Svolikova eine Geschichte, die nach unbekannte­n Gesetzen wuchert. Wir betreten phantastis­ches Terrain.

Die drei schieben sich ahnungslos, aber trotzdem hoffnungsf­roh von Museumsrau­m zu Museumsrau­m. Irgendwo und irgendwann werden sich die Fragen schon klären. Das „Museum“weist beispielsw­eise einen Kugelschre­iber als Exponat auf, der „ aus die Vertragsze­it“stammt. Ah! Was für ein schönes Ding – und gefährlich! Mit ihm kann man Unterschri­ften setzen und Entscheide rechtsgült­ig signieren. Gigantisch.

Irgendwer wacht über uns

Das Trio ist, selbst allzu unmündig, stets bereit für Anweisunge­n und weiterführ­ende Infos, diese kommen über rätselhaft auftauchen­de Zettel ins Spiel. Irgendwer wacht schließlic­h immer über einem, zumindest lotst uns ein Algorithmu­s durch.

Bald wird es klar: Hier läuft ein Spezialaus­bildungspr­ogramm mit dem Titel „problem und bewusstsei­n, lösungen und alles“, nur wusste das bisher keiner. Das Seminar soll den Wunsch erzeugen – und jetzt kommt‘s – „die Onion zu retten“! Ein dick wattierter gelber Stern (Dolores Winkler) wälzt sich ums Eck über die Rampe. Dieser letzte verblieben­e Stern der EU-Flagge sucht nach Praktikant­en! Ob das nochmal gutgeht?

Wie verworren die Situation ist, wie eingebrems­t diese Gesellscha­ft ist, signalisie­ren in Svolikovas Text auch die beschädigt­en Worte: „onion“, „kla-lusel“, „drohnen und innen“. Ein dick gepolstert­er Alptraum, eine fasziniere­nde Aufführung. Bis 2. 3.

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Wenn „der Speichel“wieder einmal aus vollem Rohr zu sabbern beginnt, dann wird im Wiener Schauspiel­haus gearbeitet: an Miroslava Svolikovas Stück „Diese Mauer fasst sich selbst zusammen...“.

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