Ein Stäubchen ist’s, des Geistes Aug zu trüben
Mit dem notorischen Sektenbegriff ist schon oft versucht worden, Verbrecherisches zu erklären. Dabei ist der Begriff mitunter nichts anderes als ein emotional aufgeladenes Stereotyp, ein diffuser Marker für das weltanschaulich Andere.
Am 22. Oktober 2016 erschien in dieser Zeitung ein bemerkenswerter Beitrag unter dem Titel „Von allen guten Geistern verlassen“über eine tödlich endende mutmaßliche „Teufelsaustreibung“in Frankfurt am Main und das zugrunde liegende südkoreanische „Sektenwesen“. Bemerkenswert deshalb, da sich darin deutlich ein weitverbreiteter journalistischer Unwille (vielleicht schlichtem Unvermögen und/oder Dünkel geschuldet?) gegenüber sachgerechter Recherche offenbart. (Ende 2015 wurde eine Koreanerin in einem Zimmer eines Frankfurter Luxushotels zu Tode gebracht, alle Beteiligten schwiegen über die Umstände der Tat, Anm. d. Red.)
Koloriert wird dieser im gegenständlichen Fall durch fehlende Reflexion im Ausdruck und in der Kontextualisierung. Das Themenfeld „Religion“ist ohne Zweifel ein komplexes Terrain, an das sehr unterschiedliche Befindlichkeiten gekoppelt sind. Umso wichtiger ist folglich sprachliches Feingefühl, um Pauschalisierung und Simplifizierung, ja bisweilen Stigmatisierung und Verbalinjurie zu verhindern.
Ein bewährtes Instrument, in diesem Rahmen Reflektiertheit in Diktion wie Inhalt zu befördern, stellt eine kulturwissenschaftliche Fachdisziplin bereit (die ob ihrer Jugendlichkeit in Sachen Sichtbarkeit zugegebenermaßen Aufholbedarf hat), namentlich die Religionswissenschaft. Konfessionell ungebunden und dem Leitmotiv höchstmöglicher Objektivität verpflichtet, ist es ihre Aufgabe als wissensvermittelnde Instanz zu fungieren, das Phänomen Religion abseits einer Wahrheitsfrage (die da ist das Geschäft der Theologien) in seinen zahlreichen Dimensionen und Dynamiken zu erkunden.
Fundierte Sachlichkeit
Die Grammatik des Fachdiskurses bildet hierbei eine in geduldiger systematisch-vergleichender Auseinandersetzung erarbeitete Terminologie (an der naturgemäß kontinuierlich gefeilt wird), die, durch vielfache Erprobung, für ein hohes Maß an fundierter Sach- lichkeit bürgt. Es ist genau diese, die inder medialen Berichterstattung, wie exemplarisch zusehen im eingangs erwähnten Beitrag, gern auf der Strecke bleibt.
Als regelrechter Wiedergänger gebärdet sich dabei der notorische „Sektenbegriff“, seines Zeichens rotesTu ch fürRelig ions wissenschaft e rinnen und Religionswissenschaft er ab dem ersten Semester. Gezählte zwanzig Mal in unterschiedlichen Ausformungen strapaziert ihn der Autor und transportiert mithin ein emotional aufgeladenes Stereotyp, einen diffusen Marker für das weltanschaulich Andere und daher potenziell Gefährliche, kulminierend im vermeintlich „Destruktiven“.
Zweifelhafte Gesellschaft
Die Alltagssemantik des Begriffs weilt im Übrigen in zweifelhafter Gesellschaft, blickt man auf die österreichische Gesetzgebung, die „Sekte“in ähnlich gelagertem (unscharfem) Verständnis nach langer Abwesenheit – das Strafgesetz von 1803 („Sectirung“) und 1852 („Religionssekte“) sowie die Neuauflage des Letzteren von 1945 operieren jeweils mit einer Abwandlung des Begriffs – zum Erstaunen vieler Rechtsgelehrter im Jahr 1998 durch das „Bundesgesetz über die Einrichtung einer Dokumen tat ions-und Informationsstelle für Sekten fragen( Bundes stelle für Sekten fragen )“prominent in den Rechtsjargon wiedereingeführt hat.
Das schwammige „Sekten“-Label zeitigt somit, gestärkt durch den Gesetzgeber, ein A-priori-Pauschalurteil, das religiöse Minderheiten, im weiteren Sinne also den einzelnen Gläubigen, prinzipiell unter Generalverdacht stellt.
Das Gespenst des Sekten begriffs, in religionswissenschaftlichen Debatten grundlegend problematisiert und letztlich „exorziert“bzw. ersetzt etwa durch die Kategorie „neue religiöse Bewegung“(oder sinnverwandte Neuschöpfungen), gedeiht also weiterhin als veritables „Schlag“Wort (Patrick Warto) mit nachhaltiger emotionaler Sprengkraft in der öffentlichen Rede. Es steht daher im Allgemeinen in journalistischer Verantwortung, eingedenk der Wirkmacht des eigenen Wor- tes, sensibel und in ernsthafter Konsultation mit tatsächlichen Expertisen (anstatt Apologeten und selbsternannten „Sektenjägern“) nüchterne Sorgfalt sprechen zu lassen.
Wiewohl problematische Entwicklungen selbstverständlich diskutiert werden müssen, hat dies frei von Polemik zu geschehen, stets fußend auf profunder wissenschaftsgeleiteter Recherche – was den Autor auch davor bewahrt hätte (nebst zahlreichen anderen inhaltlichen Schnitzern), etwa aus der Vereinigungsbewegung (oder -kirche) eine „Wiedervereinigungskirche“zu machen.
Missglückter Journalismus
„Von allen guten Geistern verlassen“entspricht dem skizzierten Anspruch an seriöse Berichterstattung nicht, ist vielmehr Spiegel (missglückter) journalistischer Oberflächenbehandlung.
LUKAS POKORNY (Jahrgang 1980) ist Professor für Religionswissenschaft an der Universität Wien und Mitherausgeber der Buchreihe „Religion in Austria“. Seine Schwerpunkte sind ostasiatische Religionen, neue religiöse Bewegungen sowie Religionen in Österreich. Er hat an Universitäten in Aberdeen, Göttingen, Honolulu, Stockholm, Prag, Brno, Olmütz, Bratislava und Cluj-Napoca geforscht und gelehrt.