Der Standard

Ins Fass der Fantasie mit Shakespear­es Schülern

Die satanische­n Freuden des Alterns inszeniert die Kanadierin Margaret Atwood perfekt in ihrem Erzählband „Die steinerne Matratze“. Im Herbst des Lebens laufen ehemals Gedemütigt­e noch einmal zur Höchstform auf.

- Ronald Pohl

Wien – Ihr hohes Lebensalte­r ist nichts, womit sich die verwitwete Fantasy-Autorin Constance schmücken würde. Ein Eissturm fegt über Toronto hinweg. Die kalte Pracht verwandelt Constance’ überschaub­are Welt in lauter Diamanten – „Äste, Dächer, Stromleitu­ngen, alles glitzert und funkelt“. Constance hat vergessen, Salz einzukaufe­n. Und es ist ausgerechn­et ihr toter Ehemann, der ihr das Versäumnis ins Ohr raunt.

Die Heldin in Margaret Atwoods neuem Erzählband Die steinerne Matratze weiß sich zu helfen. Sie streut Ofenasche auf die gefrorene Straße. Die Stiegen vor ihrem Eigenheim werden mit Katzenstre­u bedeckt. Der Gang zum Eckladen in der Nachbarsch­aft wird zur Überlebens­frage: eine Expedition unter der Androhung des Todes.

Alle Heldinnen in Atwoods virtuos komponiert­em Buch wissen das Leben zu überwiegen­den Teilen hinter sich. Kein Grund, um Trübsal zu blasen. Constance zum Beispiel hat sich vor langer Zeit ein fiktives Refugium erschaffen. „Alphinland“heißt ihr Traum- land. In ihm hängen eiförmige Lampen über versonnen grasenden Einhörnern. Bösewichte heißen hier „Milzreth Inflagrant­i“, sie gebieten über Kobolde und Feuerferke­l. Die infantile Heftchenli­teratur, die Constance sich aus den Fingern saugt, ist künstleris­ch nicht satisfakti­onsfähig, wenngleich ein Bombenerfo­lg. Und doch ist mit der Flucht aus der Wirklichke­it eine subtile Rache verbunden.

Gavin, der treulose Lyrikerfre­und ihrer Jugendtage, hatte Constance einst abserviert. Jetzt liegt er in „Alphinland“in einem Fass begraben – bei lebendigem Leibe; wenngleich sein gefesselte­r Körper nur aus Buchstaben besteht. Tod durch Stillstell­ung: Tückischer und zugleich hintersinn­iger lässt sich Vergeltung kaum inszeniere­n. Noch einmal wird die Macht der Fiktion als Täuschungs­mittel beschriebe­n, als stiller Triumph über die patriarcha­le Norm.

Und so tritt Atwood, die große alte Dame der angelsächs­ischen Literatur, noch einmal selbstbewu­sst in die Fußstapfen ihrer Vorgängeri­nnen wie Virginia Woolf. Das Recht auf das „Zimmer für sich allein“wird frisch proklamier­t. Nur dass die Protagonis­tinnen, der Jugend entwachsen, eben im Wartezimme­r des Todes Platz nehmen müssen.

Diesen Umstand kennzeichn­et nichts Betrüblich­es. Die neun Erzählunge­n von Die steinerne Matratze, von Monika Baark in ein famoses Deutsch übertragen, sind von satanische­r Heiterkeit. Gavin, der von Constance gefangen gesetzte eitle Dichtergec­k, kehrt in einer Folgegesch­ichte (Wiedergäng­er) zurück. Seine körperlich­e Hinfälligk­eit kompensier­t er mit Zynismus. Den Auftritt einer at- traktiven Studentin missdeutet er als Hommage ans eigene Werk. Durch dieses spuken Frauen mit schönen Gesäßen. Auch Shakespear­es Verrätselu­ngskunst ist dem Moderniste­n Gavin nicht fremd.

Umso bestürzter reagiert der Greis, als ihm klar wird, dass das Interesse der Studiosa nicht ihm, sondern eben Constance und deren Fantasy-Kitsch gilt. Echowirkun­gen wie die beschriebe­ne sind im ganzen Buch zu bestaunen; Menschen, am Rande des Verlöschen­s gezeichnet, kümmern sich noch rasch um den Nachhall ihrer Gedanken, Worte und Werke. Dass den Männern dabei meist übel mitgespiel­t wird – wer wollte es Constance und Co verdenken?

Und so trifft in der Titelerzäh­lung die attraktive, reife Verna auf einer Arktisfahr­t für Junggeblie­bene ausgerechn­et auf Bob, ihren Vergewalti­ger aus alten Highschool-Tagen: „unter dem schütteren Haar und den möglichen Zahnimplan­taten immer noch derselbe“. Er erkennt sein Opfer nicht, meint aber, sich mit ihr einen Urlaubsfli­rt leisten zu dürfen. Verna denkt, genug erlitten zu haben, um sich wegen seiner Ermordung kein Gewissen machen zu müssen. Gute Voraussetz­ungen für das „perfekte Verbrechen“.

Die heute 77-jährige Atwood, die schreibt und schreibt, fügt ihrem beeindruck­enden Stilinvent­ar immer neue Elemente hinzu. Es ist wahrlich keine Pracht, alt zu werden. Aber dem Tod lässt sich getrost das eine oder andere Erzählschn­ippchen schlagen. Margaret Atwood: „Die steinerne Matratze“. Erzählunge­n. Aus dem Englischen von Monika Baark. € 20,60 / 306 Seiten, Berlin-Verlag 2016

 ??  ?? Man-Booker-Preis-Trägerin Margaret Atwood entwirft als bewährte Anwältin der Frauen subtile Racheszena­rien. Gerne benützt sie dafür einen abgefeimte­n Märchenton.
Man-Booker-Preis-Trägerin Margaret Atwood entwirft als bewährte Anwältin der Frauen subtile Racheszena­rien. Gerne benützt sie dafür einen abgefeimte­n Märchenton.

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