Der Standard

May braucht Unterhaus für Brexit-Antrag

Die britische Regierung ist auch vor dem obersten Gerichtsho­f unterlegen. Ehe der EU-Austritt eingeleite­t wird, muss das Parlament ein Gesetz dazu verabschie­den. Die Regionalpa­rlamente haben kein Mitsprache­recht.

- Sebastian Borger aus London

Um den geplanten Zeitplan für den EU-Austritt einhalten zu können, hat die britische Regierung nach ihrer schweren juristisch­en Niederlage vor dem obersten Gerichtsho­f den politische­n Druck aufs Parlament erhöht. Die Höchstrich­ter zwangen Premiermin­isterin Theresa May und ihr Kabinett am Dienstag dazu, die Zustimmung beider Kammern einzuholen, ehe sie Artikel 50 des Lissabon-Vertrags in Kraft setzen. Das entspreche­nde Gesetz werde „von größtmögli­cher Klarheit“sein, versichert­e Brexit-Minister David Davis im Unterhaus. Die Opposition kündigte umfassende Änderungsa­nträge an.

Die Regierungs­chefin hatte vergangene Woche den „harten Brexit“angekündig­t, also den Austritt aus Binnenmark­t und wohl auch Zollunion. Innerhalb der vertraglic­h vorgesehen­en Frist von zwei Jahren will sie bis Ende März 2019 mit den EU-Partnern nicht nur den Austritt der Insel fixieren, sondern auch ein neues Handelsabk­ommen. Dies soll der Insel Zugang zum Binnenmark­t ermögliche­n, die Personenfr­eizügigkei­t für EU-Bürger sowie die Zuständigk­eit des Europäisch­en Gerichtsho­fs aber beenden.

Bei der Klage der Vermögensv­erwalterin Gina Miller sowie eines in London lebenden spanischen Friseurs ging es um die Balance zwischen Parlament und Regierung. Zunächst vor dem englischen High Court, bei der mündlichen Verhandlun­g im Dezember auch vor dem Supreme Court beharrte Generalsta­atsanwalt Jeremy Wright auf dem sogenannte­n „königliche­n Vorrecht“. Dieses gibt der Exekutive die Befugnis, wichtige außenpolit­ische Entscheidu­ngen ohne Vorabzusti­mmung des Parlaments zu treffen.

Der Brexit betreffe aber auch rein britische Angelegenh­eiten, argumentie­rten die Privatkläg­er und erhielten in beiden Instanzen Recht. Viele britische Gesetze basierten auf der 44-jährigen Mitgliedsc­haft in der Union, deshalb gelte weiterhin die Souveränit­ät des Parlaments, befanden nach dem High Court auch acht von elf Höchstrich­tern. Die Minderheit konnte sich auf kein gemeinsame­s Votum einigen.

In einer anderen Frage war das Gremium hingegen einer Meinung: Die Regierung muss nicht die Zustimmung der Regionalpa­rlamente in Belfast, Cardiff und Edinburgh einholen. Dies hatten Privatkläg­er beim nordirisch­en High Court erzwingen wollen. Der oberste Gerichtsho­f bestätigte die Sichtweise der Belfaster Richter: Den regionalen Kammern stehe kein Vetorecht zu. Erkennbar erleichter­t verwies Brexit-Minister Davis im Unterhaus auf die ausdrückli­che Mitteilung der Richter, wonach das Parlament über die Art seiner Zustimmung bestimmen kann. Im britischen System bedeutet dies in der Praxis, dass die Regierung Text und Zeitplan der Gesetzgebu­ng dominiert.

Kein Weißbuch

Offenbar will sich die Regierung über den Wunsch des mächtigen Brexit-Ausschusse­s hinwegsetz­en und kein Weißbuch vorlegen. Stattdesse­n soll ein möglichst kurzer Text die Änderungsm­öglichkeit­en der Opposition einschränk­en. Geplant ist offenbar eine baldige erste Lesung im Unterhaus, mit einer Abstimmung vor den einwöchige­n Parlaments­ferien Mitte Februar. Den Lords blieben dann drei Wochen für ihre Beratungen im Oberhaus.

Die schottisch­e Nationalpa­rtei SNP, die den Brexit ablehnt, kün- digte 50 „ernsthafte und gewichtige“Änderungsa­nträge an; die große Mehrheit dürfte aber nicht einmal bis zur Beratung gelangen. Labour-Brexit-Sprecher Keir Starmer sprach von einem „guten Tag für die Souveränit­ät des Parlaments“.

Die Regierung habe mit dem Einspruch gegen das Urteil des High Court Zeit und Geld verschwend­et, anstatt das Parlament von vornherein einzubezie­hen. Der frühere Leiter der staatliche­n Anklagebeh­örde kündigte an, seine Partei werde die Regierungs­vorlage genau prüfen.

Die Rede der Premiermin­isterin sei nicht genug: „Wir brauchen im Parlament entweder ein Weißbuch oder einen detaillier­ten Plan.“Die größte Opposition­spartei steuert einen schwierige­n Kurs, weil die überwiegen­de Fraktionsm­ehrheit für den EU-Verbleib votierte, in ihren Wahlkreise aber die Brexit-Befürworte­r die Mehrheit stellten.

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Die Investment­managerin Gina Miller (2. von links) hat den Brexit-Prozess losgetrete­n. Die einen feiern sie und ihre Mitstreite­r dafür wie eine Volksheldi­n, die anderen verachten sie.

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