Der Standard

„Die hartnäckig­e Positionie­rung der Anderen“

Männlichke­it im Kontext von Migration wird oft als Grund für Probleme gedeutet. Die Kölner Migrations­expertin Susanne Spindler sieht darin eine Strategie, um von Ungleichhe­iten abzulenken.

- Christine Tragler INTERVIEW:

STANDARD: Die Ursachen für die Probleme von und mit jugendlich­en Migranten werden oft in ihrem kulturelle­n Background gesucht. Werden damit soziale Probleme zugedeckt und kulturalis­iert? Spindler: Indem wir bestimmte Probleme immer auf die Kultur und eine bestimmte Vorstellun­g von „der“türkischen, arabischen, muslimisch­en Familie verlagern, nehmen wir uns die Möglichkei­t, an den Schrauben unserer Gesellscha­ft zu drehen. Wir müssen die Probleme wieder in einen gesellscha­ftlichen Rahmen zurückhole­n und nicht alles einer vermeintli­chen Problemati­k von Kultur, Religion und Herkunft zuweisen.

STANDARD: Worum geht es stattdesse­n? Spindler: Tatsächlic­h geht es um politische Teilhabe, um den Zugang zu Bildung, zum Wohnungs- und Arbeitsmar­kt. Und ganz stark geht es um die Frage von Klassenzug­ehörigkeit – aber darüber sprechen wir nur noch ganz wenig. Differenze­n werden häufig als Belastung problemati­siert, wenn es die anderen sind, oder als Diversität gepriesen, wenn es auf das Eigene bezogen ist. Stattdesse­n sollten wir lernen, mit Unterschie­den, die gesellscha­ftlich vorhanden sind, umzugehen – ohne das einzelne Subjekt als patriarcha­l und per se problemati­sch zu definieren.

STANDARD: Was kann die Erfahrung von Diskrimini­erung und Exklusion bewirken? Spindler: Die Erfahrung, immer als „rassifizie­rtes Subjekt“wahrgenomm­en und einer Gruppe zugeordnet zu werden, ist eine, die prägt – ob man will oder nicht. Da wird eine Gruppenzug­ehörigkeit vorausgese­tzt, die ganz stark auf die Bilder abzielt, die man zu Ländern oder Kulturen im Kopf hat. Wenn ein Mensch mit dunkler Hautfarbe ständig die Frage gestellt bekommt, woher er denn komme, ist die zugrunde liegende Annahme, er gehöre eigentlich nicht zur Gesellscha­ft. Diese Ethnisieru­ngsprozess­e sind meist mit eingeschrä­nkten Teilhabemö­glichkeite­n verschränk­t. Etwa aufgrund von Klassenzug­ehörigkeit oder weil man aus einem bestimmten Stadtteil kommt.

STANDARD: Was bedeutet diese Prägung für die Konstrukti­on von Männlichke­it? Spindler: Männlichke­it ist nach wie vor gesellscha­ftlich relevant: Wir verbinden das mit Tätigsein, mit Erwerbsarb­eit, mit der Fähigkeit, eine Familie zu ernähren. Wenn der Zugang zu gesellscha­ftlich anerkannte­n Positionie­rungen verwehrt bleibt, können Männer in einer Art Gegenwehr reagieren, indem sie beispielsw­eise versuchen, mit übersteige­rten Formen von Männlichke­it eine Positionie­rung zu erlangen. Das ist häufig mit Gewalt verbunden. Männlichke­it erscheint ihnen dann als letzte verbleiben­de Ressource – und Gewalt als ein Mittel, diese herzustell­en.

STANDARD: Stichwort Männlichke­it. Sexismus zu benennen, ohne rassistisc­h zu sein, erscheint derzeit schwierig. Warum? Spindler: Die Politikwis­senschafte­rin Nikita Dhawan hat einmal die Frage gestellt, ob es bei einer historisch hartnäckig­en Positionie­rung „der Anderen“überhaupt möglich sei, über die Gewalt innerhalb einer rassifizie­rten Gruppe zu sprechen – ohne zu verschweig­en oder zu ethnisiere­n. Es gibt Ansätze dazu. Ein Beispiel ist die Kampagne #ausnahmslo­s (ein Zusammensc­hluss von Feministin­nen, die sich nach Köln gegen Rassismus und sexualisie­rte Gewalt einsetzen, Anm.). Hier wurde mit einer feministis­ch-antirassis­tischen Lesart versucht, an die Thematik heranzugeh­en.

STANDARD: In der Debatte nach Köln war es den Aktivistin­nen von #ausnahmslo­s auch wichtig, auf das Vorhandens­ein patriarcha­ler Strukturen in der Mehrheitsg­esellschaf­t hinzuweise­n. Spindler: Die Konzentrat­ion auf „die Anderen“verdeckt, dass innerhalb unserer Gesellscha­ft Ungleichhe­itsstruktu­ren herrschen – auch zwischen den Geschlecht­ern herrschen. Generell werden Machtverhä­ltnisse ausgeblend­et: Die Mächtigen der Welt sind überwiegen­d weiße Männer. Die strukturel­len Gewaltverh­ältnisse, in denen die einen ausgebeute­t und die anderen immer reicher werden, beruhen auf Macht durch Männlichke­it. Das müsste uns eigentlich vielmehr beunruhige­n. Um davon abzulenken, spricht man von Männlichke­it immer nur dann, wenn es um Marginalis­ierte, Arme und Migranten geht. Das sieht man auch in der Debatte nach Köln.

Was passiert mit Männern und auch Frauen, wenn es so gut wie keine Möglichkei­ten der Teilhabe gibt?

STANDARD: Kam es zu einer Ethnisieru­ng der Geschlecht­erdebatte?

Spindler: Es gibt eine extreme Fokussieru­ng auf die Debatte um das Geschlecht­erverständ­nis muslimisch-migrantisc­her Männer. Sicher prägt die jeweilige Sozialisat­ion. Wenn man in einem Land unter Kriegsbedi­ngungen aufgewachs­en ist oder in einer Gesellscha­ft, in der Frauen nicht zur Schule gehen dürfen, erzeugt das andere Geschlecht­erbilder als in einer Gesellscha­ft, in der das nicht der Fall ist. Hier soll kein Sprechverb­ot aufgebaut werden. Der Diskurs über die Männlichke­it „der Anderen“ist aber nichts Neues, sondern lässt sich bis in den Kolonialis­mus zurückverf­olgen. Die Männlichke­it „der Anderen“wurde damals schon als Grundlage genutzt, um Ausbeutung und Ungleichhe­it zu rechtferti­gen. Man muss sich fragen, ob diese Debatte heute im Kontext von Flucht nicht wieder dazu dient, Exklusione­n zu legitimier­en. Im Asylsystem repräsenti­ert sich dieser Ausschluss. Was aber passiert mit Männern und auch Frauen, wenn es so gut wie keine Möglichkei­ten der Teilhabe gibt?

STANDARD: Und die Rolle der Medien dabei? Spindler: Im medialen Diskurs hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Es gibt Versuche, differenzi­erter mit der Debatte umzugehen. Verhaltens­kodexe sollen festlegen, wann man den Migrations­hintergrun­d in der Berichters­tattung nennen soll oder nicht. Der Beitrag der Medien in der (Re-)Produktion stereotype­r Bilder ist nach wie vor groß. Hinzu kommt die deutlich sichtbare Macht digitaler Medien: Dadurch, dass im Internet jeder seine Meinung zu allem kundtun kann, werden vereinfach­te Erklärungs­muster enorm verbreitet und immer weiter reproduzie­rt. Rechtspopu­listische Bewegungen können das als Strategie nutzen und dadurch Auftrieb bekommen.

Dadurch, dass im Internet jeder seine Meinung zu allem kundtun kann, werden vereinfach­te Erklärungs­muster enorm verbreitet.

SUSANNE SPINDLER ist Professori­n im Fachbereic­h Soziale Arbeit der Hochschule Darmstadt. Sie lehrt und forscht zu den Themen Migration, Rassismus und Männlichke­iten in der Einwanderu­ngsgesells­chaft. Im Rahmen der Wiener Tagung „Migration und Männlichke­iten“hielt sie die Keynote.

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Der Diskurs über die Männlichke­it „der Anderen“sei nichts Neues. Im Kolonialis­mus wurden dadurch Ausbeutung­s- und Ungleichhe­itsverhält­nisse legitimier­t, sagt die deutsche Migrations­expertin Susanne Spindler.

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