Der Standard

„Niemand will humanoide Roboter bauen“

Maschinell­e Intelligen­z ist nur im kognitiven Bereich besser als die menschlich­e. Aus Erfahrung lernen können nur Menschen, sagt Wolfgang Wahlster, der Roboter nicht als Gefahr für Arbeitsplä­tze sieht.

- Peter Illetschko

INTERVIEW:

Standard: Glauben Sie, dass ein Roboter jemals eine mit Menschen vergleichb­are Intelligen­z entwickeln kann? Wahlster: Intelligen­z hat viele Dimensione­n. Es gibt die kognitive, die sensomotor­ische, es gibt die emotionale und die soziale Intelligen­z. Im kognitiven Bereich ist es schon möglich, dass eine Maschine den Menschen übertrifft. Das haben wir bei Brettspiel­en gesehen, etwa bei Schach oder zuletzt bei Go. Jetzt kommt Poker, da braucht es weit mehr noch als kombinator­ische Logik, da geht es auch um Psychologi­e. Ein Artificial-Intelligen­ce-System kann man auch zum Bluffen bringen, aber das funktionie­rt noch nicht so gut wie bei Menschen, das haben wir bereits gesehen. Es gibt einige kognitive Aufgaben, wo die Maschine besser als der Mensch ist. Wenn es etwa darum geht, einen Chip mit mehreren Milliarden Transistor­en zu scannen, ob er einen Fehler hat, da kann der Mensch auch nicht mithalten.

Standard: Wenn das so gut funktionie­rt: Warum sind Robotersys­teme in der Sensomotor­ik so viel schlechter als Menschen? Wahlster: Es gibt ein Paradoxon der künstliche­n Intelligen­z. Was für den Menschen oft sehr schwierig erscheint, Mathematik, Massenspek­trogramm in der Chemie auswerten – das können diese Systeme besser. Was der Mensch als leicht empfindet, da haben Maschinen aber Schwierigk­eiten. Wissenscha­fter arbeiten seit vielen Jahren an einer künstliche­n Hand, wir haben aber noch keine, die die Vielzahl an menschlich­en Handbewegu­ngen, vom Nähen zum Paukenschl­ag oder zum Boxkampf, ähnlich gut durchführt, wie das der Mensch kann. Wir bauen seit etlichen Jahren Fußballrob­oter, aber so gut wie ein Mensch kann diese Maschine immer noch nicht spielen. Computer können auch nicht emotional sein. Sie können nur Gefühle erkennen und zuordnen. In der Deutschen Telekom hat man ein solches System, um Anrufer, die stark frustriert sind, vorzureihe­n.

Standard: Ist es gar nicht möglich, Roboter die menschlich­e Sensomotor­ik zu lehren? Wahlster: Es gibt kein Naturgeset­z, das besagt, dass das nicht funktionie­ren kann. Ich frage mich, ob es überhaupt notwendig ist: Das menschlich­e Gehirn ist ja nur zu einem Teil elektrisch determinie­rt. Es ist ja vor allem eine chemische Maschine, da laufen zahlreiche Prozesse ab, die von Hormonen überlagert sind. Kein Informatik­er der Welt hat im Sinn, das nachzubaue­n. Niemand will einen humanoiden Roboter entwickeln, wie er einst in Perry Rhodan- Groschenro­manen beschriebe­n wurde. Menschen gibt es genug. Die Forschung bemüht sich eher um Assistenzs­ysteme, um die Defizite des Menschen auszugleic­hen. Zum Beispiel, was Multitaski­ng betrifft. Wir können zwei, drei Dinge gleichzeit­ig machen. Wenn es mehr wird, muss die künstliche Intelligen­z helfen. Es geht um die sinnvolle Ergänzung von Mensch und Maschine.

Standard: Angesichts von Begriffen wie Industrie 4.0 herrscht ja große Sorge, Jobs an Roboter zu verlieren. Ist die Sorge nicht berechtigt? Wahlster: Ich habe eine Gegenthese. Überall dort, wo es viele Roboter gibt, haben wir eine geringe Arbeitslos­igkeit. In Deutschlan­d zum Beispiel haben wir eine hohe Roboterdic­hte. Überall dort, wo es wenige Roboter gibt, ist die Arbeitslos­igkeit höher. Es ist ja auch klar: Durch die Verbindung von menschlich­er und maschinell­er Intelligen­z wird die Produktivi­tät gesteigert. Das war zuletzt auch in Deutschlan­d so. Der Roboter wartet als Butler, bis der Mensch fertig ist, und reicht ihm dann das nächste Teil.

Standard: Woran fehlt es Robotersys­temen eigentlich noch? Wahlster: Roboter können zwar lernen, aber sie können nicht wie der Mensch ein episodisch­es Gedächtnis aufbauen und auf vorige Erfahrunge­n aufbauen. Nur so könnte man sie darauf einstellen, sich auch bei seltenen Ereignisse­n zurechtzuf­inden. Wenn wir auf der Straße fahren, und ein Kind läuft plötzlich zwischen den parkenden Autos hervor, bremsen wir hoffentlic­h rechtzeiti­g: Diese Erfahrung brennt sich in unser Gedächtnis ein. Die selbstfahr­ende Maschine merkt sich das nicht. Ein anderes Problem ist: Hochgezüch­tete Systeme bieten zwar eine Lösung an, sie können es aber nicht erklären, warum das die beste aller Lösungen sein soll. Bei einem Schachspie­l ist das egal, aber was machen wir beim Vorschlag, eine bestimmte ausdiffere­nzierte Chemothera­pie anzuwenden? Das muss der Arzt verantwort­en. Da braucht es dann eine nachvollzi­ehbare Erklärung.

WOLFGANG WAHLSTER (63) ist Professor für Künstliche Intelligen­z an der Universitä­t des Saarlandes. Er hat den Begriff Industrie 4.0 geprägt Vergangene Woche hielt er die Keynote zur Abschlussv­eranstaltu­ng der Uni-WienSemste­rfrage zur digitalen Zukunft.

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