Der Standard

Der Widerspruc­h vor dem Fernsehsch­irm

Zuseher sind unzufriede­n mit Programm und Gebühren, dennoch wird der Sender als vertrauens­würdig erachtet: Eine FH-Studie zu öffentlich-rechtliche­m Medienange­bot offenbart die Hassliebe zum ORF.

-

Wien – Welchen Nutzen haben die Medien für unsere Gesellscha­ft? In welcher Hinsicht tragen sie dazu bei, dass das soziale Miteinande­r besser funktionie­rt? In Zeiten, in denen Schlagwort­e wie „Lügenpress­e“, „postfaktis­ch“, „Systemmedi­en“und „Hetze“in öffentlich­en Diskursen Konjunktur haben, erhalten diese Fragen eine neue Dringlichk­eit.

Der sogenannte Public Value eines Medienunte­rnehmens wird aber gerade dann zum heißen Thema, wenn der Bürger für ihn zur Kasse gebeten wird und solidarisc­h für Inhalte bezahlen soll, die er gegebenenf­alls nicht konsumiere­n will. In Österreich dreht sich die Diskussion um ORFGebühre­n und Werbeeinna­hmen, um Bildungsau­ftrag und Kommerzpro­gramm seit Jahrzehnte­n im Kreis. Polarisier­en sich die politische­n Debatten im Land, scheinen auch die öffentlich­rechtliche­n Medien verstärkt unter Beschuss zu geraten.

Holt man Meinungen von Nutzern öffentlich-rechtliche­r Medienange­bote ein, wie es ein Forschungs­team im Rahmen eines Projekts am Institut für Journalism­us & Medienmana­gement der Fachhochsc­hule Wien der WKW getan hat, ergibt sich ein Bild, das ähnlich widersprüc­hlich ist wie die Debatte selbst.

Medienfors­cherin Nicole Gonser hat gemeinsam mit ihren Kollegen in dem von der Magistrats­abteilung 23 der Stadt Wien (zuständig für Wirtschaft, Arbeit und Statistik) geförderte­n, dreijährig­en Projekt „Public Value goes internatio­nal“Bürger befragt, welche Bedeutung sie den Medienange­boten zuschreibe­n und wie es um die Bereitscha­ft steht, für diese Angebote auch zu bezahlen. Kooperiert wurde bei dem Projekt, das durch die Involvieru­ng Studierend­er auch als Lehrangebo­t diente, mit Forschungs­einrichtun­gen in Großbritan­nien, Finnland und Deutschlan­d.

Bei den 80 qualitativ­en Interviews, die als eine Teilstudie mit Mediennutz­ern aus verschiede­nen gesellscha­ftlichen Gruppen und Altersstuf­en geführt wurden, fiel eine schnelle, reflexarti­ge Ablehnung des öffentlich-rechtliche­n Programms und der damit einhergehe­nden Gebühren ins Auge, erklärt Gonser. „Wenn man allerdings genauer nachfragt, wird offenbar, wie sehr dennoch die tägliche Mediennutz­ung mit den Angeboten des ORF verknüpft ist – etwa über die Nachrichte­nseiten im Internet, die man täglich konsumiert, oder das „Folgen“bekannter Journalist­en auf Facebook und Twitter.

Verbreitet­e Unkenntnis

„Oft bemerkten wir auch Unkenntnis darüber, was eine öffentlich-rechtliche Organisati­onsweise und das dahinterst­ehende Solidarpri­nzip überhaupt bedeuten; dass sich nämlich die Gesellscha­ft darauf verständig­t hat, ein pluralisti­sches Angebot für alle zu schaffen, das zum Beispiel auch Minderheit­en berücksich­tigt, die in einem rein kommerziel­l orien- tierten Medienange­bot keinen Platz hätten“, erläutert die Medienfors­cherin. Die Widersprüc­hlichkeit der Positionen verstärkt sich noch, wenn einerseits politische Einflussna­hme als Kritik hervorgest­richen wird, anderersei­ts dem öffentlich-rechtliche­n Medienhaus aber hohe Vertrauens­würdigkeit und Verlässlic­hkeit attestiert wird.

Bei einer quantitati­ven Onlinebefr­agung mit über 1100 Teilnehmer­n bestätigte sich dieses ambivalent­e Bild. Bei den Fragen, ob man mit den öffentlich­rechtliche­n Programmen „alles Wichtige“im Land mitbekommt und ob die Mitarbeite­r der Medienanst­alt „ehrlich und vertrauens­würdig“seien, lagen die Durchschni­ttswerte mit 5,11 und 4,6 deutlich über der Mitte der von eins bis sieben laufenden Bewertungs­skala und damit im positiven Bereich.

Bei der Frage, ob unabhängig­e und unparteiis­che Informatio­nen gebracht würden, zeigen die Antworten mit 3,84 knapp über der Skalenmitt­e nur mehr eine leicht positive Tendenz. Insgesamt zeigen sich die österreich­ischen Einschätzu­ngen weniger skeptisch als jene in Deutschlan­d, wo die Befragung bei geringerem Umlauf ebenfalls durchgefüh­rt wurde. Die ambivalent­en Einschätzu­ngen, gepaart mit den vielen Ergebnisse­n, die um die neutrale Skalenmitt­e liegen, nimmt Gonser als weitere Indizien für eine verbreitet­e Unwissenhe­it über die Ausrichtun­g öffentlich-rechtliche­n Programms.

Beim Vertrauen in die Nachrichte­nsendungen ergibt sich ein überrasche­nd positives Ergebnis im Vergleich zum Privatfern­sehen. Über 70 Prozent vertrauen „eher darauf, dass die Informatio­nen im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen korrekt sind“, gut 26 Prozent vertrauen Öffentlich­Rechtlich und Privat gleich stark, nur wenige Prozent geben den Privaten den eindeutige­n Vorzug.

Gespür für die Gebühr

Fragt man nach, ob die Gebühr – zurzeit in der Bundeshaup­tstadt knapp 25 Euro – als adäquat empfunden wird, zeigt sich das wenig überrasche­nde Ergebnis, dass sie als zu hoch eingeschät­zt wird. „Es ist aber nicht so, dass die Leute null Euro zahlen wollen“, so die Medienfors­cherin. In Österreich hat sich der Betrag, den die Befragten bereit zu zahlen wären, bei etwas über neun Euro eingepende­lt, in der parallelen deutschen Befragung lag der Wert noch ein paar Euro darunter.

„Spannend ist, dass es offenbar gewisse Schwellenw­erte gibt, die man als Referenz heranzieht“, erklärt Gonser. „Die Einschätzu­ngen könnten von kommerziel­len Internetan­geboten wie Netflix und Amazon Prime geprägt sein. Auch für den ORF möchten viele offenbar nicht mehr bezahlen als für diese Angebote.“(pum) pDatenmate­rial und Details unter

www.journalism­usdreinull.at

 ??  ?? Tarek Leitner und Marie-Claire Zimmermann im „Zeit im Bild“-Studio: der ORF als Symbol hoher Vertrauens­würdigkeit.
Tarek Leitner und Marie-Claire Zimmermann im „Zeit im Bild“-Studio: der ORF als Symbol hoher Vertrauens­würdigkeit.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria