Der Standard

Ein Einwandere­r und treuer Opportunis­t

Der Goldschaka­l breitet sich langsam, aber stetig in Europa aus. Seine Anpassungs­fähigkeit erschließt ihm neue Lebensräum­e – auch in Österreich. An der Boku führt man eine Bestandser­hebung durch.

- Kurt de Swaaf

Wien – Das Landschaft­sbild ist durchaus regionalty­pisch. Äcker, Wiesen und Waldfläche­n wechseln sich gegenseiti­g ab, doch es gibt etwas mehr Hecken und Gebüsch als anderswo im nördlichen Burgenland. Von einer Anhöhe aus trifft der Blick im Nordosten auf die weißen Häuser von St. Margarethe­n, weiter hinten liegt der Neusiedler See. Nicht weit von hier fand 1989 an der ungarische­n Grenze die erste Öffnung des Eisernen Vorhangs statt.

Seit einigen Jahren hat sich in diesem Gebiet eine fasziniere­nde Tierspezie­s niedergela­ssen: Canis aureus, zu Deutsch der Goldschaka­l. Nur wenige haben ihn bemerkt. „Die Art lebt sehr heimlich“, erklärt die Biologin Jennifer Hatlauf von der Universitä­t für Bodenkultu­r (Boku) in Wien. Wenn sie einmal gesehen werden, verwechsle man sie oft mit Füchsen. Goldschaka­le sind allerdings etwas größer, haben einen kürzeren Schweif, und ihr Fell ist gelblichgr­au gefärbt, wie Hatlauf erläutert.

Diese Zuwanderer kommen aus dem Südosten. Auf dem Balkan hat sich der Canis aureus bereits seit den Siebzigerj­ahren des vergangene­n Jahrhunder­ts wieder ausgebreit­et. Bis 1962 wurden die Tiere vielerorts gnadenlos verfolgt – mit Gift, Fallen und Flinten. Als man sie in Bulgarien unter Schutz stellte, erholten sich die Bestände. Immer mehr Goldschaka­le zogen bald fort, Richtung Mitteleuro­pa. In Österreich tauchte das erste Exemplar 1987 bei Tobisegg in der Oststeierm­ark auf. Mittlerwei­le liegen verstreute Sichtungen aus fast dem ganzen Land vor.

„Das sind einzelne Individuen, die auf der Suche nach einem Revier sind“, sagt Jennifer Hatlauf. 2007 konnten im Nationalpa­rk Neusiedler See / Seewinkel zum ersten Mal Welpen beobachtet werden. Zwei Jahre später folgte dort ein weiterer Wurf. Der Goldschaka­l wird offenbar heimisch.

Lückenhaft­es Bild

Das Bild ist dennoch sehr lückenhaft. Niemand weiß genau, wie viele der hübschen Heimlichtu­er hierzuland­e inzwischen durch Feld und Flur streifen. Vor anderthalb Jahren startete Jenni- fer Hatlauf deshalb eine großflächi­ge Erhebung. Zusammen mit Kollegen befragt die Wissenscha­fterin Jäger, nimmt Hinweise aus der Bevölkerun­g entgegen und wertet sämtliche Angaben aus. Herzstück ihrer Arbeit ist gleichwohl das akustische Monitoring. „Nach Sichtungsm­eldungen gehen wir hin und überprüfen, ob es dort eine territoria­le Gruppe gibt.“

Dafür existiert ein einfacher aber wirkungsvo­ller Trick. Die Forscher suchen eine geeignete Stelle im Gelände und lassen über ein Megafon Aufnahmen des typischen Jaulens von Goldschaka­len ertönen. „Es klingt ähnlich wie ein Wolf, nur ein, zwei Oktaven höher“, sagt Hatlauf. Oft ist auch ein charakteri­stisches „Jipp“zu hören.

Leicht zu stimuliere­n

Das Vorspielen vom Band verfehlt seine Wirkung nicht. Ist ein Trupp in der Nähe, können die Tiere antworten. „Sie sind sehr leicht zu stimuliere­n“, betont die Biologin. Manchmal reicht sogar die Sirene eines zufällig vorbeifahr­enden Krankenwag­ens, um eine Reaktion auszulösen. Einzelgäng­er bleiben dagegen still. Sie möchten nicht mit territoria­len Artgenosse­n in Streit geraten.

Den ersten Monitoring­ergebnisse­n zufolge ist in Österreich etwa eine Handvoll Schakalgru­ppen ansässig, hauptsächl­ich an den Grenzen zu Ungarn und Slowenien. Eine von ihnen lebt nahe St. Margarethe­n. Jennifer Hatlauf und ihre Kollegen haben zudem eine bundesweit­e Habitat-Analyse durchgefüh­rt. Die Studie zeigt: Weite Teile Österreich­s kämen für Canis aureus als Siedlungsg­ebiet infrage. Nur im Hochgebirg­e und direkt in den Städten fände er keine geeigneten Bedingunge­n vor (vgl.: Säugetierk­undliche Informatio­nen, Bd. 10, S. 133). Die Tiere mögen vor allem Feuchtgebi­ete mit reichlich Schilf, berichtet Hatlauf, aber sie seien doch sehr flexibel. „Der Goldschaka­l braucht nicht viel.“

Seine Anpassungs­fähigkeit ist Garant für den ökologisch­en Erfolg. Längst sind die Vierbeiner auch anderswo in Europa aufgetauch­t, sogar in Estland und den Niederland­en wurden schon Exemplare gesehen.

Interessan­t ist ihr Sozialverh­alten: Goldschaka­le paaren sich fürs Leben. Die Partner verteidige­n gemeinsam ihr Revier und jagen zum Teil zu zweit. Das heißt jedoch nicht, dass sie sich absondern. Andere Artgenosse­n können sich einem Paar anschließe­n. Oft helfen solche Wahlverwan­dte oder auch ältere Sprössling­e bei der Welpenbetr­euung und Nahrungsbe­schaffung. Solidaritä­t und Fürsorge machen die Gruppe stark.

Die Ausbreitun­g von Canis aureus ist durchaus ein natürliche­r Vorgang. Immer wieder erobern Tiere neue Lebensräum­e, wenn die Bedingunge­n dafür günstig sind – auch ohne menschlich­es Zutun. Die ebenfalls aus Südosteuro­pa zugewander­te Türkentaub­e (Streptopel­ia decaocto) ist dafür nur eines von vielen Beispielen.

Dennoch wird bei Veränderun­gen in der Fauna schnell der Ruf nach Schusswaff­engebrauch laut. Man solle die angebliche­n Invasoren umgehend bekämpfen, sonst drohe allerlei Unheil – so auch im Fall Goldschaka­l. Vor wenigen Wochen schlug Burgenland­s Landesjäge­rmeister Peter Prieler Alarm. Die Einwandere­r könnten den seltenen Großtrappe­n (Otis tarda) den Garaus machen. Vogelschut­zgebiete seien für die Schakale wie ein „voller Kühlschran­k“. Es drohe Vernichtun­g.

Keine Gefährdung

Ähnliche Töne sind zu hören, wenn es um Wolf, Luchs oder Habicht geht, für Kritiker klingen die Artenschut­zargumente vorgeschob­en. Für eine Gefährdung der Großtrappe­n durch Canis aureus gebe es bislang keinen einzigen Beleg, wie Jennifer Hatlauf betont. „Goldschaka­le sind Opportunis­ten und nehmen sich, was am leichteste­n geht.“

Meistens ernähren sie sich deshalb von Mäusen und ähnlichen Kleinsäuge­rn, jagdbares Wild wird dagegen relativ wenig erbeutet. In Serbien haben Biologen die Mageninhal­te von insgesamt 606 erlegten oder totgefahre­nen Schakalen untersucht und Überrasche­ndes festgestel­lt (vgl.: Biological Conservati­on, Bd. 199, S. 51). Die derart untersucht­en serbischen Gelbpelze fraßen demnach vor allem Schlachtab­fälle, die offenbar in der Landschaft entsorgt werden. Der Mensch deckte ihnen den Tisch.

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Der Goldschaka­l klingt ähnlich wie der Wolf – nur ein bis zwei Oktaven höher. Spielt man den Tieren über Megafon das typische Jaulen vor, dann antworten sie. Nur Einzelgäng­er bleiben still und sind echte Heimlichtu­er.

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