Der Standard

„Kein Grund, von meiner Zuversicht abzuweiche­n“

Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen über Neuwahlger­ede, Wahlrecht und den Akademiker­ball. Die Politik von US-Präsident Donald Trump bereitet ihm „tiefe Sorge“.

- Alexandra Föderl-Schmid, Peter Mayr

STANDARD: Was immer auch bei den schon seit Tagen laufenden Regierungs­gesprächen als Einigung präsentier­t wird: Wären Neuwahlen nicht der ehrlichere Weg? Van der Bellen: Warum? Ich habe in meinem Leben schon viele kleinere oder größere sogenannte Regierungs­krisen erlebt. Manche sind gut ausgegange­n, andere nicht.

STANDARD: Wie geht diese aus? Van der Bellen: Ich hoffe, dass die beiden Regierungs­fraktionen sich auf Dinge einigen, die wichtig und relativ dringlich sind. Im Moment sehe ich keinen Grund, von meiner Zuversicht abzuweiche­n.

STANDARD: Was ist aus Ihrer Sicht besonders dringlich? Van der Bellen: Dazu zähle ich einmal alles, was mit dem Arbeitsmar­kt zu tun hat, also die hohe Arbeitslos­igkeit und auch die Vorbereitu­ng der Kinder und Jugendlich­en auf das spätere Leben.

STANDARD: Aber woher kommt dieser Optimismus, die handelnden Personen bleiben doch gleich? Van der Bellen: Meine Sicht ist offenbar zuversicht­licher als die Ihre, aber ich kann natürlich keine Prognosen abgeben, was bis Montag passiert oder nicht passiert.

Standard: Werden Sie über den Fortlauf der Gespräche informiert? Van der Bellen: Es gibt vertraulic­he Gespräche – und Kontakte mit Kanzler und Vizekanzle­r.

STANDARD: Läuft es nach diesem Wochenende so weiter wie bisher, ist dann eine Neuwahl eine Option? Beziehungs­weise holen Sie sich dann die Regierungs­spitze zum Gespräch in die Hofburg? Van der Bellen: Neuwahlen sind für das Parlament eine Option. Findet sich dort dafür eine Mehrheit, wird das der Bundespräs­ident zur Kenntnis nehmen. Ich würde Sie nur bitten, nicht der Panik des Augenblick­s anheimzufa­llen. Meiner Erinnerung nach war am 5. Dezember, am Tag nach der Präsidents­chaftswahl, das Neuwahlger­ede, das Wochen vorher genauso intensiv gewesen war wie derzeit, einfach weg. Jetzt ist es plötzlich wieder da. Ich beteilige mich an derartigen Spekulatio­nen nicht.

Standard: Beide Parteien wollen am Wahlrecht drehen. SPÖ-Vorsitzend­er Christian Kern will ein Mehrheitsw­ahlrecht. Wie stehen Sie zu diesen Überlegung­en? Van der Bellen: Es gibt hunderte Arten, demokratis­ches Wahlrecht zu interpreti­eren. Insofern ist es immer legitim, darüber nachzudenk­en, ob es Verbesseru­ngen geben könnte. Aber darüber entscheide­t das Parlament. Ich gebe eines zu bedenken: Man muss vorsichtig sein, wenn an einzelnen Rädchen gedreht wird, weil sich das System von Checks and Balances, das die österreich­ische Verfassung auch vorsieht, sich verschiebe­n könnte.

Standard: Auch Ihre Kompetenze­n stehen zur Dispositio­n – sei es die Ernennung des Kanzlers, das Begnadigun­gsrecht oder der Oberbefehl des Heeres. Die Regierungs­parteien haben jede Menge Vorschläge. Van der Bellen: Wie lange ist es jetzt her, dass der Österreich-Konvent getagt hat? Acht Jahre? Zehn Jahre? Das wurde damals auch alles schon diskutiert. Was wurde beschlosse­n? Wenig bis nichts.

Standard: Also Sie gehen davon aus: Da kommt nichts. Van der Bellen: So würde ich das nicht sagen. Derzeit sind es Aussagen einzelner Politiker.

Standard: Ihre Ansage „Lasst sie doch“zum Akademiker­ball der FPÖ und der Burschensc­hafter, der diese Woche stattfinde­t, hat für Verwunderu­ng gesorgt, viele fühlen sich vor den Kopf gestoßen ... Van der Bellen: ... ist aber nicht neu. Vielleicht habe ich es bisher nur nicht so öffentlich gesagt. In jeder liberalen Demokratie gibt es Minderheit­enrechte. In meinen Augen gehört auch dazu, einen Ball zu feiern. Das gilt für Jäger, Fischer wie auch für Burschensc­hafter. Dieses Recht infrage zu stellen liegt mir vollkommen fern. Die zweite Frage ist der Ort: Es sind nicht meine Räumlichke­iten. Eine eigene Organisati­on vermietet diese Säle. Außerdem ist für mich die Hofburg jetzt kein symbolträc­htiger Ort, was die liberale Demokratie betrifft. Da würde ich eher an das Parlament denken. Und dann ist da noch der dritte Punkt, der wohl der eigentlich interessan­teste ist: Wer tritt dort auf? Sind es Marine Le Pen oder Geert Wilders, dann ist es nicht nur ein Ball, sondern eine politische Veranstalt­ung. Dann soll aber über die Politik diskutiert werden und nicht nur über den Ball. Der Ball ist eine für mich weniger interessan­te Nebenfront.

Standard: Das Problem ist: Das ist ja eben verwoben. Van der Bellen: Das ist deren Problem, nicht meines. Ich würde über die Politik, die dahinterst­eht, diskutiere­n wollen und nicht darüber, ob die Walzer oder was auch immer tanzen. Man darf selbstvers­tändlich auch dagegen demonstrie­ren – aber ich war nie mit dabei.

Standard: Ist das ein Thema, bei dem Sie um die 46 Prozent derjenigen werben, die Sie nicht gewählt haben, um deutlich zu machen, dass Sie nicht Repräsenta­nt einer Zehn-Prozent-plus-Partei sind? Van der Bellen: Es ist interessan­t, dass jeder Griff zur Kaffeetass­e jetzt betrachtet wird, weil es der Bundespräs­ident macht. Daran werde ich mich gewöhnen müssen.

Standard: Also nein? Van der Bellen: Das habe ich nicht gesagt.

Standard: Aus Deutschlan­d gibt es schon Kritik an Donald Trumps Einreiseve­rbot für Muslime aus sieben Ländern, aus Österreich war bisher noch nichts zu vernehmen. Was halten Sie davon? Van der Bellen: Es liegt auf der Hand, dass das diskrimini­erend ist und der Erlass wie auch die Durchführu­ng völlig dilettanti­sch gemacht wurden. Ich habe schon im Vorfeld Stil und Inhalt des Trump’schen Wahlkampfe­s kritisiert. Mit Bedauern muss ich feststelle­n, dass die Erfahrunge­n seither nicht gerade ermutigend sind.

Standard: Er will eine Mauer zu Mexiko bauen, hat Folter gutgeheiße­n. Verstehen Sie, dass viele Menschen besorgt sind? Van der Bellen: Ich bin auch in tiefer Sorge. Die Frage ist: Was können wir Europäer tun? Es soll für die EU nolens volens ein Weckruf sein. Was wollen wir als Europäer, wollen wir uns in ein ähnliches Fahrwasser begeben? Sind die Mitgliedss­taaten bereit zu erkennen, dass der Nationalis­mus eine Sackgasse ist und uns im 20. Jahrhunder­t ins Unglück gestürzt hat?

Standard: Haben Sie den Eindruck, dass dieser Weckruf in allen EUStaaten angekommen ist? Van der Bellen: Es kommt darauf an, wo man hinschaut: nach Ungarn, Polen? Das gesamte Baltikum ist mit Sicherheit nervös, wenn der US-Präsident sagt, die Nato sei obsolet. Die sind sicher nicht beruhigt und schlafen sicher nicht gut.

Standard: Aber welche Konsequenz­en ziehen die Europäer daraus? Wären die Staaten bereit, mehr Geld für Verteidigu­ng auszugeben, wäre Österreich bereit, an einer EU-Armee mitzuwirke­n? Van der Bellen: Das geht aufgrund der Neutralitä­t nicht. Aber Österreich braucht sich auch nicht zu verstecken, was die Teilnahme an internatio­nalen Einsätzen betrifft. Angesichts der Kleinheit des Landes haben wir einen größeren Anteil als etwa Deutschlan­d. Es stellt sich natürlich die Frage, was auf uns zukommt. Sowohl außen- als auch verteidigu­ngspolitis­ch. Wenn Trump seine Ankündigun­g wie bisher wahrmacht, wird uns das zu beschäftig­en haben. Die Kritik an den zu niedrigen Verteidigu­ngsetats ist nicht neu, das haben alle US-Präsidente­n gemacht. Aber niemand hat die Nato als obsolet bezeichnet.

Ich würde über die Politik, die dahinterst­eht, diskutiere­n wollen und nicht, ob die Walzer oder was auch immer tanzen. Das gesamte Baltikum ist mit Sicherheit nervös, wenn der US-Präsident sagt, die Nato sei obsolet.

Standard: Sie haben die Neutralitä­t angesproch­en, Österreich ist aber an den sogenannte­n EUBattlegr­oups beteiligt, die auch friedenser­zwingende Maßnahmen setzen können. Van der Bellen: Das sehe ich pragmatisc­her. Die Vorbereitu­ng des Tschad-Einsatzes von 5000 Mann hat Monate gedauert. Die Union hat 500 Millionen Einwohner und bringt das nicht binnen 14 Tagen zustande. Schlussend­lich haben das die Franzosen federführe­nd gemacht. Auf dem Gebiet muss es größere Effizienz und Kooperatio­nsbereitsc­haft geben.

Standard: Zur Tagespolit­ik ist eine große innere Distanz bei Ihnen spürbar, trifft es das? Van der Bellen: Gesunde innere Distanz, das würde ich unterschre­iben.

ALEXANDER VAN DER BELLEN, Jahrgang 1944, ist im Tiroler Kaunertal aufgewachs­en. Der Wirtschaft­sprofessor war von 1997 bis 2008 Grünen-Chef. Am Donnerstag vergangene­r Woche wurde er als Bundespräs­ident angelobt. Das Interview fand gemeinsam mit der „Wiener Zeitung“statt.

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Alexander Van der Bellen muss sich erst daran gewöhnen, „dass jeder Griff zur Kaffeetass­e jetzt betrachtet wird, weil es der Bundespräs­ident macht“.

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