Der Standard

Am Ende steht der Streit um die Unterschri­ften

Hartes Ringen um Formulieru­ngen und Finanzieru­ng des neuen Regierungs­pakts: Die Weigerung des Innenminis­ters, das Abkommen zu unterschre­iben, trieb die Koalition in einen neuerliche­n Konflikt.

- Gerald John Katharina Mittelstae­dt Michael Völker

Nimmt man den Bundeskanz­ler beim Wort, dann wäre die rot-schwarze Koalition bereits Geschichte. Bis Freitag wolle er sich und seiner Regierung Zeit geben, um ein neues Arbeitspro­gramm zustande zu bringen, hatte Christian Kern am Dienstag vergangene­r Woche verkündet. Doch am Wochenende nach Ablauf der Frist rangen die Verhandler von SPÖ und ÖVP noch immer über einen Kompromiss – dieser zeichnete sich in seiner endgültige­n Form erst für den Montag ab.

Für den Abschluss ist ein Sextett zuständig: Kanzler Kern, Kulturmini­ster Thomas Drozda und Klubobmann Andreas Schieder auf roter Seite sowie Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er, Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling und Staatssekr­etär Harald Mahrer aus dem schwarzen Lager waren angetreten, um eine Einigung zu besiegeln. Stimmungsb­erichte vom Sonntag klangen mehr nach Erfolg als nach Neuwahlen. Zumindest auf ÖVP-Seite konnte man keine Sollbruchs­tellen mehr erkennen, Mitterlehn­er wähnte die Verhandlun­gen „knapp vor dem Ziel“.

Finanzieru­ngsbremse

Woran es etwa hakte, waren die Kosten. In der SPÖ beklagte man, dass die ÖVP und da besonders Schelling bei der Finanzieru­ng eines Kern’schen Herzensanl­iegens auf der Bremse stünden: der Beschäftig­ungsgarant­ie für Arbeitnehm­er über 50 Jahre. Die ÖVP sieht hier keine ideologisc­he Auseinande­rsetzung, sondern lediglich eine über Effizienz und Finanzierb­arkeit. Kerns geplante Programme für ältere Arbeitnehm­er kosten, das müsse erst einmal gegenfinan­ziert werden. Die ÖVP stellte zudem die Frage, ob Ältere, die zwei bis drei Jahre in einem unterstütz­ten Arbeitspla­tz werken, dann tatsächlic­h in der Privatwirt­schaft vermittelb­ar seien.

Die Frage der Finanzieru­ng traf allerdings auf etliche Punkte zu, also wurde am Wochenende noch einmal gerechnet. Ein Teil der Maßnahmen könnte über die zu erwartende Ankurbelun­g der Konjunktur gegenfinan­ziert werden, für andere Bereiche mussten aber auch Einsparung­en gefunden werden. Bis weit in die Nacht verhandelt­en die Koalitionä­re am Sonntag – mit dem Ziel, das Gesamtpake­t zu Wochenbegi­nn der Öffentlich­keit zu präsentier­en.

Leidige Obergrenze

Das Spektrum der diskutiert­en Themen ist breit. Es reicht von flexiblere­n Arbeitszei­ten (siehe Artikel unten) über eine Lohnnebenk­ostensenku­ng und der Abgeltung der „kalten Progressio­n“bei der Lohnsteuer bis zu einer Ausweitung der Studienpla­tzfinanzie­rung auf alle Unis und einem „Sicherheit­spaket“, das sich vor allem dem Umgang mit Flüchtling­en widmet (siehe Seite 4). Die von schwarzer Seite geforderte Halbierung der Obergrenze war noch nicht vom Tisch, allerdings wurde hier schon ein Einlenken signalisie­rt. Man habe sich ohnedies in fünf von sechs Punkten durchgeset­zt, heißt es aus der ÖVP.

Innenminis­ter Wolfgang Sobotka hat allerdings nicht nur Details zum Sicherheit­spaket bekanntgeg­eben, sondern auch eine Klarstellu­ng in eigener Sache getroffen. „Ich setze meine Unterschri­ft unter mein Kapitel, das ich ausgearbei­tet habe, unter sonst nichts“, sagte er. Auf Nachfrage betonte eine Sprecherin: „Und wir werden unsere Meinung in diesem Punkt ganz sicher nicht mehr ändern.“An einer Unterschri­ft werde die Koalition ja wohl „bestimmt nicht“scheitern.

Im harmlosere­n Falle wolle sich Sobotka wichtig machen, lautet die Interpreta­tion aus der SPÖ – im schlimmere­n Fall handle es sich um einen handfesten Sabotageve­rsuch: Der Innenminis­ter sichere sich persönlich ab, indem er eigene Verhandlun­gsergebnis­se ausplauder­e, hintertrei­be gleichzeit­ig aber das große Ganze.

Flache Sicht

In den offizielle­n Repliken aus der SPÖ klang das so: „Ich finde es notwendig, dass das alle auch als ihr Projekt sehen“, sagte Schieder: „Dass jeder nur sagt, ich bin für meinen Teil zuständig, das wäre eine etwas flache Sicht auf Regierungs­arbeit. Das heißt auch, dass damit Störfeuer und all diese Dinge, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, aufhören.“

Auch Kern selbst mahnte: „Sinn und Zweck der Übung“sei, dass die Regierung als Team auftrete. „Mit den Auseinande­rsetzungen, die wir uns in der Vergangenh­eit geliefert haben, mit diesem doch ziemlich unwürdigen Schauspiel, auch der gegenseiti­gen Bezichtigu­ngen, muss Schluss sein“, forderte er. „Damit wollen wir die Österreich­er nicht mehr belästigen.“

Auch ÖVP-Veteran und Ex-Nationalra­tspräsiden­t Andreas Khol rief am Sonntag den Innenminis­ter zur Ordnung: „Letzten Endes hat er nur die Wahl, alles zu unterschre­iben oder dem Herrn Mitterlehn­er zu sagen: ,Lieber Reinhold, ich kann das nicht.‘ Dann muss er gehen.“

Von schwarzer Seite in der Koalition wurde ein möglicher Kompromiss skizziert: Die Chefverhan­dler unterzeich­nen den Pakt, der wird dann als Punktation im Ministerra­t eingebrach­t, wo ohnedies alle Beteiligte­n zustimmen müssten. Also auch Sobotka. Doch der SPÖ war das zu wenig. Sie pochte bis zuletzt auf die Unterschri­ft aller Regierungs­mitglieder ohne Wenn und Aber.

Mitterlehn­er unterbreit­ete Kern unterdesse­n ein „Angebot“, das dieser durchaus als Seitenhieb auffassen darf. Auch er sei für mehr Gemeinsamk­eit, sagte der Vizekanzle­r und schlug die Wiedereinf­ührung des sogenannte­n „Pressefoye­rs“vor, des gemeinsame­n öffentlich­en Auftritts nach dem wöchentlic­hen Ministerra­t – ein Ritual, das Kern vor ein paar Monaten als überkommen aufgekündi­gt hatte. Die „Zeit der Inszenieru­ngen“sei nun zu beenden, ergänzte Mitterlehn­er sarkastisc­h.

Deutlicher­e Schuldzuwe­isungen blieben Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter überlassen. „Es muss endlich Schluss sein mit dem Theater“, sagte Platter. Schuld daran seien Inszenieru­ngen, Provokatio­nen und Ultimaten. Die kämen allesamt von Kern.

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Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er im Finale der Verhandlun­gen: Er sieht sich fast im Ziel, hält dort aber noch Spitzen gegen Kanzler Christian Kern bereit.

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