Am Ende steht der Streit um die Unterschriften
Hartes Ringen um Formulierungen und Finanzierung des neuen Regierungspakts: Die Weigerung des Innenministers, das Abkommen zu unterschreiben, trieb die Koalition in einen neuerlichen Konflikt.
Nimmt man den Bundeskanzler beim Wort, dann wäre die rot-schwarze Koalition bereits Geschichte. Bis Freitag wolle er sich und seiner Regierung Zeit geben, um ein neues Arbeitsprogramm zustande zu bringen, hatte Christian Kern am Dienstag vergangener Woche verkündet. Doch am Wochenende nach Ablauf der Frist rangen die Verhandler von SPÖ und ÖVP noch immer über einen Kompromiss – dieser zeichnete sich in seiner endgültigen Form erst für den Montag ab.
Für den Abschluss ist ein Sextett zuständig: Kanzler Kern, Kulturminister Thomas Drozda und Klubobmann Andreas Schieder auf roter Seite sowie Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Finanzminister Hans Jörg Schelling und Staatssekretär Harald Mahrer aus dem schwarzen Lager waren angetreten, um eine Einigung zu besiegeln. Stimmungsberichte vom Sonntag klangen mehr nach Erfolg als nach Neuwahlen. Zumindest auf ÖVP-Seite konnte man keine Sollbruchstellen mehr erkennen, Mitterlehner wähnte die Verhandlungen „knapp vor dem Ziel“.
Finanzierungsbremse
Woran es etwa hakte, waren die Kosten. In der SPÖ beklagte man, dass die ÖVP und da besonders Schelling bei der Finanzierung eines Kern’schen Herzensanliegens auf der Bremse stünden: der Beschäftigungsgarantie für Arbeitnehmer über 50 Jahre. Die ÖVP sieht hier keine ideologische Auseinandersetzung, sondern lediglich eine über Effizienz und Finanzierbarkeit. Kerns geplante Programme für ältere Arbeitnehmer kosten, das müsse erst einmal gegenfinanziert werden. Die ÖVP stellte zudem die Frage, ob Ältere, die zwei bis drei Jahre in einem unterstützten Arbeitsplatz werken, dann tatsächlich in der Privatwirtschaft vermittelbar seien.
Die Frage der Finanzierung traf allerdings auf etliche Punkte zu, also wurde am Wochenende noch einmal gerechnet. Ein Teil der Maßnahmen könnte über die zu erwartende Ankurbelung der Konjunktur gegenfinanziert werden, für andere Bereiche mussten aber auch Einsparungen gefunden werden. Bis weit in die Nacht verhandelten die Koalitionäre am Sonntag – mit dem Ziel, das Gesamtpaket zu Wochenbeginn der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Leidige Obergrenze
Das Spektrum der diskutierten Themen ist breit. Es reicht von flexibleren Arbeitszeiten (siehe Artikel unten) über eine Lohnnebenkostensenkung und der Abgeltung der „kalten Progression“bei der Lohnsteuer bis zu einer Ausweitung der Studienplatzfinanzierung auf alle Unis und einem „Sicherheitspaket“, das sich vor allem dem Umgang mit Flüchtlingen widmet (siehe Seite 4). Die von schwarzer Seite geforderte Halbierung der Obergrenze war noch nicht vom Tisch, allerdings wurde hier schon ein Einlenken signalisiert. Man habe sich ohnedies in fünf von sechs Punkten durchgesetzt, heißt es aus der ÖVP.
Innenminister Wolfgang Sobotka hat allerdings nicht nur Details zum Sicherheitspaket bekanntgegeben, sondern auch eine Klarstellung in eigener Sache getroffen. „Ich setze meine Unterschrift unter mein Kapitel, das ich ausgearbeitet habe, unter sonst nichts“, sagte er. Auf Nachfrage betonte eine Sprecherin: „Und wir werden unsere Meinung in diesem Punkt ganz sicher nicht mehr ändern.“An einer Unterschrift werde die Koalition ja wohl „bestimmt nicht“scheitern.
Im harmloseren Falle wolle sich Sobotka wichtig machen, lautet die Interpretation aus der SPÖ – im schlimmeren Fall handle es sich um einen handfesten Sabotageversuch: Der Innenminister sichere sich persönlich ab, indem er eigene Verhandlungsergebnisse ausplaudere, hintertreibe gleichzeitig aber das große Ganze.
Flache Sicht
In den offiziellen Repliken aus der SPÖ klang das so: „Ich finde es notwendig, dass das alle auch als ihr Projekt sehen“, sagte Schieder: „Dass jeder nur sagt, ich bin für meinen Teil zuständig, das wäre eine etwas flache Sicht auf Regierungsarbeit. Das heißt auch, dass damit Störfeuer und all diese Dinge, die wir in den letzten Monaten erlebt haben, aufhören.“
Auch Kern selbst mahnte: „Sinn und Zweck der Übung“sei, dass die Regierung als Team auftrete. „Mit den Auseinandersetzungen, die wir uns in der Vergangenheit geliefert haben, mit diesem doch ziemlich unwürdigen Schauspiel, auch der gegenseitigen Bezichtigungen, muss Schluss sein“, forderte er. „Damit wollen wir die Österreicher nicht mehr belästigen.“
Auch ÖVP-Veteran und Ex-Nationalratspräsident Andreas Khol rief am Sonntag den Innenminister zur Ordnung: „Letzten Endes hat er nur die Wahl, alles zu unterschreiben oder dem Herrn Mitterlehner zu sagen: ,Lieber Reinhold, ich kann das nicht.‘ Dann muss er gehen.“
Von schwarzer Seite in der Koalition wurde ein möglicher Kompromiss skizziert: Die Chefverhandler unterzeichnen den Pakt, der wird dann als Punktation im Ministerrat eingebracht, wo ohnedies alle Beteiligten zustimmen müssten. Also auch Sobotka. Doch der SPÖ war das zu wenig. Sie pochte bis zuletzt auf die Unterschrift aller Regierungsmitglieder ohne Wenn und Aber.
Mitterlehner unterbreitete Kern unterdessen ein „Angebot“, das dieser durchaus als Seitenhieb auffassen darf. Auch er sei für mehr Gemeinsamkeit, sagte der Vizekanzler und schlug die Wiedereinführung des sogenannten „Pressefoyers“vor, des gemeinsamen öffentlichen Auftritts nach dem wöchentlichen Ministerrat – ein Ritual, das Kern vor ein paar Monaten als überkommen aufgekündigt hatte. Die „Zeit der Inszenierungen“sei nun zu beenden, ergänzte Mitterlehner sarkastisch.
Deutlichere Schuldzuweisungen blieben Tirols Landeshauptmann Günther Platter überlassen. „Es muss endlich Schluss sein mit dem Theater“, sagte Platter. Schuld daran seien Inszenierungen, Provokationen und Ultimaten. Die kämen allesamt von Kern.