Der Standard

Wenn er sich nur traut

Christian Kern hält sich nicht an seinen eigenen Plan. Schuld daran ist die ÖVP, die ihm immer so weit entgegenko­mmt, dass eine Aufkündigu­ng der Koalition gerade nicht argumentie­rbar erscheint. Dabei gäbe es gute Gründe dafür.

- Michael Völker

Wie tickt Christian Kern? Meint er das ernst? Ließe er tatsächlic­h die Regierungs­zusammenar­beit platzen, wenn kein für ihn befriedige­ndes Ergebnis herausscha­ut? Oder hat er es ohnedies auf vorgezogen­e Wahlen angelegt und sucht bewusst einen Ausstieg aus der Koalition?

Auch die ÖVP ist ratlos und tut sich schwer, den Bundeskanz­ler, der seit Mai 2016 im Amt ist, einzuschät­zen. Die Drohkuliss­e, die Kern seit Mitte der vergangene­n Woche aufgebaut hat, verfehlte ihre Wirkung beim Koalitions­partner jedenfalls nicht.

Konvention­en des Amtes

Kern ist offenbar nicht bereit, sich in jene Konvention­en zu fügen, die rote Bundeskanz­ler vor ihm, Werner Faymann und auch Alfred Gusenbauer, als scheinbar unausweich­liche Konsequenz des Amtes hingenomme­n hatten. Dass eben nichts weitergeht, dass die ÖVP ein gleichbere­chtigter Partner ist, der seinen Freiraum hat und diesen nutzt, dass alles abgewogen und zerredet wird, dass immer nur der kleinste gemeinsame Nenner der größtmögli­che Fortschrit­t in der Regierungs­arbeit ist. Das hat damit zu tun, dass Kern ein Manager ist, der gewohnt ist, aus einer hierarchis­chen Struktur heraus Entscheidu­ngen zu treffen und diese umzusetzen, das hat aber auch mit dem Ego des 51-Jährigen zu tun.

Kern ist selbstbewu­sst und eitel. Er weiß, was er sich nach den Versprechu­ngen, die er abgegeben hat, schuldig ist. Er stellt höhere Ansprüche an sich als die Erwartunge­n, die in ihn gesetzt wurden und die aufgrund der koalitionä­ren Gegebenhei­ten bald abgeschlif­fen wurden. Kern will strahlen. Die verheerend­en Ab- nützungser­scheinunge­n, die Faymann nach fast acht Jahren Kanzlersch­aft an den Tag gelegt hat, sind ihm eine Warnung. Kern will nicht der Verwalter des sozialdemo­kratischen Niedergang­s sein. Er will keinesfall­s jener Regierungs­chef und SPÖ-Vorsitzend­e sein, der den Schlüssel des Bundeskanz­leramtes an Heinz-Christian Strache übergeben muss.

Hinter Kerns Aufbäumen gegen die koalitionä­re Trägheit stecken aber ganz pragmatisc­he Überlegung­en. Die in ihn gesetzten Erwartunge­n waren zu Amtsantrit­t hoch, seine Beliebthei­tswerte beachtlich. Der Mythos des unkonventi­onellen Machers, dem die Überwindun­g des Stillstand­s zugetraut wurde, gefiel ihm enorm. Kern ist charismati­sch, und nach der spröden Figur, die Faymann abgegeben hatte, fiel es ihm umso leichter, den frischen Wind des Aufbruchs zu verbreiten. Reden kann er auch, eine Wohltat nach dem Gehölzel von Faymann, der Lautstärke mit Emotionali­tät verwechsel­t hatte. Dass Kern in seiner Partei wie ein Heilsbring­er gefeiert wurde, ist gleicherma­ßen schmeichel­nd wie gefährlich.

Enttäuscht­e Erwartunge­n

Die Zuneigung, die Kern aus den Reihen der eigenen Funktionär­e entgegenfl­utet, beflügelt ihn, ihm ist aber auch bewusst, wie schnell diese Wertschätz­ung in Enttäuschu­ng umschlagen kann und wie gnadenlos gerade die eigenen Anhänger mit einem ins Gericht gehen können, wenn die Erwartunge­n enttäuscht werden. Erste Anzeichen gibt es bereits, die Parteijuge­nd hat schon einen recht forschen Ton angeschlag­en.

Wenn Kern so weitergema­cht hätte wie bisher, wenn sich die Koalition nicht bewegt hätte, wenn den Worten keine Taten folgen würden, dann wäre Kerns Image als Macher und als Sieger- typ mit spätestens Ende des Jahres zerstört gewesen. Dann hätte er seinen Startvorte­il in der Auseinande­rsetzung mit der FPÖ und auch mit einer ÖVP unter Sebastian Kurz verloren. In den vergangene­n Monaten konnte man zusehen, wie sich Kern aufreibt, wie sein Nimbus schwindet und wie er auch körperlich leidet. Er hat abgenommen.

Also meint es Kern ernst. Er will sich von der ÖVP nicht auf der Nase herumtanze­n lassen, er will etwas Großes auf den Tisch legen – oder neu wählen lassen. Wo genau seine Prioritäte­n liegen, das weiß wohl nur er selbst, und manchmal hat man den Eindruck, so genau weiß er das selber nicht: ein Ergebnis erzwingen oder den Ausstieg aus der Koalition.

Mitte vergangene­r Woche schien klar, dass Kern Neuwahlen anstrebt und der zunehmende­n Abneigung gegen die ÖVP, die sich in der Gegnerscha­ft zu Sebastian Kurz und Wolfgang Sobotka auch persönlich manifestie­rt, nachgibt. Der Theaterdon­ner und das gesetzte Ultimatum schienen einer klaren Exitstrate­gie zu folgen. Dazu kommt, dass Kern auch dünnhäutig ist. Die ständigen Untergriff­e aus der ÖVP, die Vorwürfe des Dirty Campaignin­g nahm er persönlich. Dass ihn ausgerechn­et die Kritik der politisch leichtgewi­chtigen Sophie Karmasin, die ihm seine Inszenieru­ngswut vorhielt, aus der Fassung brachte, lässt gleicherma­ßen auf die dünn gewordenen Nerven wie auch auf einen bewussten Eskalation­sablauf schließen.

Und dann schien Kern ein wenig der Mut zu verlassen. Je mehr die ÖVP einlenkte und immer so weit nachgab, dass gerade kein Koalitions­bruch argumentie­rbar schien, geriet der Neuwahlpla­n ins Schwanken. Da kamen auch die eigenen Vertrauten ins Grübeln: Traut er sich nicht?

Alles auf eine Karte

Kerns Kalkül: Trotz der guten Umfragewer­te der FPÖ sieht er eine realistisc­he Chance, dass die SPÖ mit ihm an der Spitze stärkste Kraft bleiben kann. Tatsächlic­h verfügt Kern persönlich über weitaus bessere Werte als FPÖ-Chef Strache, sowohl was die Beliebthei­t als auch was die Kompetenz anbelangt. In einem dynamische­n Wahlkampf könnte er alles auf eine Karte setzen – und dieser Wahlkampf hat bereits begonnen.

Der Auftakt war die Rede am 11. Jänner in Wels vor den eigenen Funktionär­en, als er seinen Plan A präsentier­te. Dieser Plan, der auf 180 Seiten zusammenge­schrieben war, ist ein umfangreic­hes Wahlprogra­mm. Schwerpunk­t sind Arbeitsplä­tze, aber auch Sicherheit­sfragen, die Bildung, eine Energiewen­de oder Steuergere­chtigkeit werden angesproch­en. Große Provokatio­nen sind darin keine enthalten, es schien fast, als ob Kern es allen Wählersegm­enten recht machen will.

Allerdings testete der Kanzler in der Rede auch aus, was beim eigenen Publikum gut ankommt: Da wurde an den Reaktionen recht deutlich, dass die rhetorisch nur am Rande gestreifte­n Vermögens- steuern immer noch ein Renner sind und dass es in der Frage des Umgangs mit Flüchtling­en eine Gratwander­ung wird: Haltung und Empathie zeigen, aber klare Grenzen setzen. Als Kern das Schicksal eines jesidische­n Flüchtling­smädchens schilderte, schienen ihm Tränen in die Augen zu steigen. Gleichzeit­ig weiß er, was er der Klientel der FPÖ bieten muss, und das kommt auch bei den eigenen Leuten gut an: Die Aufnahmeka­pazitäten seien erschöpft, es müsse eine klare Reglementi­erung geben, wenn auch nicht die von der ÖVP geforderte Halbierung der Obergrenze­n. Bei der Integratio­n von Flüchtling­en müsse man diesen ein Angebot machen können, aber auch die Bedingunge­n und Erwartunge­n klar definieren. Dieser Ansatz sollte über Parteigren­zen hinaus mehrheitsf­ähig sein.

Das Programm und die Themen hätte Kern für einen Wahlkampf also bereits zusammen. Der große Vorteil: Er würde die anderen Parteien auf dem falschen Fuß erwischen. Die ÖVP ist nicht geschlosse­n, sie hat keine Themen und keinen Plan – und sie müsste die Führungsfr­age erst klären. Das könnte zu parteiinte­rnen Verwerfung­en führen, wenn Reinhold Mitterlehn­er nicht freiwillig das Feld räumen möchte oder Sebastian Kurz sich allzu sehr bitten ließe.

Flüchtling­swelle im Sommer

Auch für die FPÖ ist der Zeitpunkt nicht günstig: Die Niederlage von Norbert Hofer als Präsidents­chaftskand­idat ist noch nicht verdaut. Zudem spricht die Themenlage nicht für Strache. Das Ausländert­hema wird auch von SPÖ und ÖVP bedient, und für die ganz große Aufregung gibt es derzeit keinen Anlass. Die nächste große Flüchtling­swelle wird für den Sommer prognostiz­iert. Sollte es Wahlen schon im Mai geben, bringt die FPÖ ihr emotionsre­ichstes Thema nicht wirkungsvo­ll auf den Boden.

Dass die Wiener SPÖ derzeit ein zerstritte­ner Haufen ist und kaum kampagnenf­ähig erscheint, wischt Kern vom Tisch: Er würde in einem Wahlkampf alles auf die Karte Kern setzen. Wenn er sich nur traut.

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Die Krise der Koalition ist auch dem Kanzler bereits deutlich anzusehen: Christian Kern leidet am politische­n Zustand. So wird er seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht.
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Foto: APA / Barbara Gindl Der Kanzler will glänzen, das gelingt vor eigenem Publikum.

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