Das Risiko der verlorenen Generation
Eine international besetzte Konferenz in Wien widmet sich dem Thema Bildung für minderjährige Flüchtlinge. Sowohl in Anrainerstaaten von Krisengebieten als auch in Europa müsse diese verbessert werden.
Wien – Schulbildung für Kinder auf der Flucht sei für die betroffenen Gesellschaften zukunftsentscheidend, heißt es beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef). Misslinge sie, drohe eine ganze Generation zu einer verlorenen Generation zu werden, mit unabsehbaren Folgen.
Viola Raheb, palästinensische Friedensaktivistin und christliche Theologin mit Lebensmittelpunkt in Österreich, hat diese Erkenntnis zum Motto der dritten internationalen Bürgermeisterkonferenz am Montag und Dienstag in Wien gemacht, deren Kuratorin und Organisatorin sie ist. „Kinder unter dem Radar“lautet das Thema.
Finanziert wird die Konferenz von Act Now, einem aus einer Privatinitiative unter anderem des Künstlers und Sängers André Heller und der Präsidentin der KarlKahane-Stiftung, Patricia Kahane, hervorgegangenen Unternehmen, das angesichts der vermehrten Konflikte Diskussionen und Vernetzung fördern will.
Ein Schwerpunkt der Veranstaltung ist die Frage, wie man Kindern im kriegsgebeutelten Nahen Osten bestmögliche Lernchancen eröffnen kann – und nach ihrer Flucht, in Europa. Die in Abschottungstendenzen verharrende EU sei dringend dazu aufgerufen, mittels gezielter Hilfen „dafür zu sorgen, dass syrische Kinder im Libanon, in Jordanien und in der Türkei, wohin sie mit ihren Eltern als Erstes fliehen, nicht in Kellern, sondern in regulären Schulen unterrichtet werden“, sagt Raheb.
Derzeit habe die Mehrheit junger Flüchtlinge in diesen Ländern keinen normalen Schulzugang: „Ihre Familien leben nicht in offiziellen Flüchtlingsunterkünften, was derlei Zugang ermöglicht, sondern schlagen sich allein durch.“In der Türkei waren beispielsweise im Jahr 2015 laut Behörden- angaben von 640.000 geflüchteten Kindern 400.000 nicht in regulärem Unterricht.
Ideale Ansprechpartner, um an der tristen Schulsituation etwas zu ändern, sind laut Raheb Bürgermeister und andere kommunale Instanzen. Zur Konferenz in Wien hat sie daher neben Experten auch Ortschefs aus dem Libanon, Jordanien, der Türkei, Griechenland, Italien, Deutschland und Österreich eingeladen.
Insgesamt nehmen 170 Menschen teil. Um sich auszutauschen und zu vernetzen, am Montag zuerst über die „Bildungsrealitäten von Flüchtlingen“in der Kriegsregion und Anrainerstaaten und über das Thema „Diversität und soziale Kohäsion in Europas Klassenzimmern“.
Diese sei umso besser, je präziser die Lehrenden über die Bildungsgeschichte der Flüchtlingskinder Bescheid wüssten. Es mache einen Unterschied, ob ein syrisches Kind in Damaskus oder in einem IS-besetzten Gebiet gelebt habe, betont Raheb. Ihre Dissertation hat sie über Schulbildung in Syrien im Krieg geschrieben.
Am Dienstag folgen Panels über junge Flüchtlinge und Menschenhandel sowie über Strategien gegen Parallelgesellschaften. Die Konferenz kann über Twitter und Facebook verfolgt werden. phttp:// now-conference.org/de/
vienna2017