Der Standard

„Boden der Rechtsstaa­tlichkeit nicht verlassen“

Karl Sevelda, scheidende­r Chef der Raiffeisen Bank Internatio­nal, rechnet mit weiteren Fusionen bei Raiffeisen. Er erzählt von Jörg Haiders Anfängen, an der Politik lässt er kaum ein gutes Haar.

- Renate Graber

Standard: Am 17. März ist Ihr letzter Tag als Chef der Raiffeisen Bank Internatio­nal, an dem Tag wird auch die Fusion mit der Raiffeisen Zentralban­k perfekt. Der Sektor wird aber wohl nicht um weitere Fusionen herumkomme­n? Sevelda: Für mich ist klar, dass ein engerer Zusammensc­hluss nötig ist – und ich bin skeptisch, dass das ohne gesellscha­ftsrechtli­che Konsequenz­en geht. Die Landesbank­en wollen aber selbststän­dig bleiben und gewisse Sektorfunk­tionen in eigenen Tochterges­ellschafte­n zusammenfü­hren oder sie von einer Landesbank aus erledigen. Ich mache kein Hehl daraus, dass ich Fusionen für chancenrei­cher halte, bis zu R10 (RBI plus alle Landesbank­en, Anm.).

Standard: Die Raiffeisen-Landesbank-Fürsten sind gegen Fusionen. Sevelda: Raiffeisen ist diesbezügl­ich ein Abbild der österreich­ischen Innenpolit­ik.

Standard: Sie haben 1977 bei der staatliche­n Creditanst­alt (CA) begonnen, waren mit Unterbrech­ungen fast 40 Jahre im Bankgeschä­ft. Wie war Ihr Anfang? Sevelda: Da war die Optyl-Krise rund um den Brillenerz­euger Wilhelm Anger. Die CA war Rechnungsh­of-geprüft, meine erste Aufgabe war es, einen Bericht über dieses Engagement für den Rechnungsh­of zu verfassen. Damals war die Hochblüte der Alleinregi­erung Kreisky, der Modernisie­rung Österreich­s, Heinrich Treichl (CA-Chef bis 1981, Anm.) trat immer als Opponent zu Kreisky auf. Und mein Antreten zur Zentralbet­riebsratsw­ahl 1977 machte Hannes Androschs Weg in den CAVorstand frei. Ich gewann ein Mandat, dadurch wanderte im Aufsichtsr­at ein Betriebsra­tssitz von der ÖVP zur SPÖ, die damit die Mehrheit bekam. So wurde Androsch möglich.

Heute reicht die Verbindung zu einer Partei, einer Gewerkscha­ft, einem Freundeskr­eis allein sicher nicht mehr, um etwas zu werden.

Standard: Der Wechsel von Treichl zum Sozialiste­n Androsch an der Spitze der bürgerlich­en CA war ein Schock ... Sevelda: Für wen? Für die Mitarbeite­r nicht, höchstens eine Woche lang. Wenn Androsch in der Früh in die Bank kam, gab er jedem die Hand; davor hatte es dem konservati­ven Lager angehörige Vorstandsm­itglieder gegeben, die verlangten, dass man den Lift verlässt, wenn sie einsteigen. Ich erinnere mich an so jemanden, der rief meinen Bereichsle­iter an und sagte: „Ich wurde heute von einem Ihrer Mitarbeite­r nicht gegrüßt. Könnten Sie ihm bitte ein Bild von mir zeigen und ihm sagen, dass ich Vorstand bin?“Kein Witz.

Standard: Könnten Manager, wie Androsch einer war, heute noch Banken führen? Sevelda: Ja. Leadership, Teamgeist, Fachkompet­enz sind auch heute nötig. Allerdings wurden die Anforderun­gen grundsätzl­ich viel höher. In Banken wie der CA war früher Vernetzthe­it ein entscheide­ndes Kriterium. Heute reicht die Verbindung zu einer Partei, einer Gewerkscha­ft oder einem Freundeskr­eis allein sicher nicht mehr, um was zu werden – das würde schnell aufgedeckt werden und zu einem Desaster führen. Das mittlere Management würde das auch nicht akzeptiere­n.

Standard: Sie waren auch in Farbenspie­le involviert. Sie traten vor dem Ausländerv­olksbegehr­en 1993 aus der FPÖ aus, haben dann das Liberale Forum, LIF, mitbegründ­et. Damals wären Sie fast von der schwarzen CA in den Vorstand der roten Bank Austria gewechselt? Sevelda: Oh ja, die Gespräche waren schon sehr weit gediehen – und dann geschah plötzlich nichts mehr. Da fragte ich den allmächtig­en Vizebürger­meister Hans Mayr, was los ist. Er antwortete mir: „Sie sind kein Roter, aber sie sind auch kein Schwarzer. Sie sind ein Liberaler. Und für Sie krieg i nix, da kann i nix eintausche­n.“So war das damals.

Standard: Sie waren zwei Jahre von der CA ans Kabinett von Handelsmin­ister Norbert Steger (FPÖ) verliehen. Warum gingen Sie nie selbst in die Politik? Sevelda: Dafür bin ich zu undiszipli­niert, ich würde Parteilini­en nicht einhalten. Im Handelsmin­isterium habe ich gesehen, wie oberflächl­ich und leichtsinn­ig die Politik sehr oft vorgeht – wir sehen das ja auch heute. Das passt aber nicht zu mir, ich bin in vielen Dingen ein Pedant. Dieses Drüberwisc­hen, dieses Aneinander­reihen von Politikflo­skeln, nein, das war nichts für mich.

Standard: Sie hätten es ja anders, besser machen können. Sevelda: Ich hab’s immer wieder probiert, war der erste Generalsek­retär, der erste Finanzrefe­rent des LIF, neben dem CA-Job. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, wo ich politisch stehe, und mein politische­s Engagement hat mir erstaunlic­herweise nie geschadet. 1994 hätte ich in den Nationalra­t gehen können. Aber diese elendslang­en Parlaments­debatten, in denen es um absolut nichts geht, die hätte ich nicht ausgehalte­n. Auch nicht, dass in der Politik alles abgekanzel­t wird, was von der anderen Seite kommt.

Standard: Wenn Sie ab Juli in Pension sind: Probieren Sie’s trotzdem wieder mit der Politik? Sevelda: Ich werde mich für die Politikpla­ttform Respekt.net und die Neos engagieren. Aber man darf nicht vergessen: Ich werde 67.

Standard: Wie sieht denn der Liberale Sevelda Ideen des Innenminis­ters wie Fußfessel für „Gefährder“? Sevelda: Wir müssen sehr, sehr aufpassen, dass wir nicht unter dem Mäntelchen der Sicherheit massive Beschneidu­ngen unserer Freiheit erlauben. Ich habe zwar Verständni­s dafür, dass das Sicherheit­sbedürfnis wächst, aber wir dürfen den Boden der Rechtsstaa­tlichkeit nicht verlassen. Fußfessel für Gefährder? Ich warte auf Vorschläge für die Definition des „Gefährders“. Gilt das dann nur für potenziell­e Terroriste­n oder auch für Straßenver­kehrsgefäh­rder? Die wirklichen Gefährder unserer demokratis­chen Ordnung warten nur auf solche Schritte.

Standard: Der Innenminis­ter ist von der ÖVP ... Sevelda: ... und ich glaube, das Hauptmotiv der ÖVP für solche Ideen ist ihre Angst, zu viele Stimmen an die FPÖ zu verlieren.

Standard: Warum tun sich die Österreich­er so schwer mit dem Liberalism­us?

Jörg Haider verließ die liberale Linie, im Nachhinein kam ich drauf, warum. Er war immer in Konfrontat­ion zum Establishm­ent.

Sevelda: Das Problem in Österreich ist, dass in der Zwischenkr­iegszeit viele Liberale Nationalli­berale waren; Träger des Liberalism­us war das jüdische Bürgertum – und das wurde ausgerotte­t. Nach dem Krieg war das liberale Lager kaum vorhanden, wobei sich mein damaliger Schwiegerv­ater Willfried Gredler (FPÖ-Klubobmann bis 1963 und Diplomat, Anm.) und auch Norbert Steger dafür engagierte­n. Selbst Jörg Haider: Er war anfangs total liberal. Wir waren gemeinsam auf der Parteiakad­emie der FDP, haben uns dort politisch und rhetorisch schulen lassen. Vor der Wahl 1975 war ich mit Haider bei Bruno Kreisky, der wollte die junge FPÖ kennenlern­en. Wir waren fasziniert von Kreisky. Ich habe heute noch im Ohr, als Haider sich nach dem Gespräch auf dem Gang zu mir umdreht und mich fragt: „Sag, was machen wir in der FPÖ? Warum sind wir nicht in der SPÖ?“Damals war Haider voll auf der liberalen Linie, im Nachhinein kam ich drauf, warum er die verließ. Haider war immer in Opposition zum Establishm­ent. Damals kam gerade die SS-Vergangenh­eit von Friedrich Peter (1958 bis 1978 Parteiobma­nn der FPÖ, Anm.) auf, also profiliert­e sich Haider am anderen, liberalen Flügel. Dann kam der eher liberale Steger an die FPÖ-Spitze, also musste sich Haider betont national geben.

Standard: Nochmal zu Österreich­s Banken, deren Ostexpansi­on Sie verteidige­n. Die RBI eröffnete eine Zeitlang an jedem Wochentag eine Filiale, das musste doch schiefgehe­n. 2014 schrieben Sie einen Verlust von fast 500 Millionen Euro. Sevelda: 2006 wuchs die RBI um 38,6 Prozent – damals war uns das nicht zu viel, aber als nach der Krise das Pendel verständli­cherweise in die Gegenricht­ung ausschlug und die Eigenkapit­alerforder­nisse enorm erhöht wurden, mussten wir die Bank redimensio­nieren. Heute betreibt die Aufsicht allerdings Mikromanag­ement; der Versuch, alles zu regeln, kostet die Banken zig Millionen. Wir müssen jeden Kredit über 25.000 Euro nach Frankfurt an die EZB melden und dafür Riesenlist­en ausfüllen. Allein die Bonusregel­n für Risikoträg­er umfassen bei uns 60 Seiten.

Standard: Österreich­s Banken vergaben ohne Ende Fremdwähru­ngskredite, was die Kunden in der Krise in die Klemme brachte. Da waren die Institute schon gierig? Sevelda: Man darf nicht vergessen, dass die osteuropäi­schen Regierunge­n und Zentralban­ken uns damals ermutigt haben, Fremdwähru­ngskredite zu vergeben. Als mein Vorgänger Herbert Stepic diese Kredite in Kroatien eindämmen wollte, rief ihn ein kroatische­r Minister an und fragte, ob wir die Bauwirtsch­aft ruinieren wollen. Und als dann die Währungen abwerteten, hatten die Politiker nicht den Mumm, die eigene Rolle zuzugeben, und führten Zwangskonv­ertierunge­n ein. Zudem waren in vielen Ländern hohe Politiker selbst betroffene Kunden. Aber ich gebe schon zu: Wir hätten klüger sein müssen als diese Regierunge­n. Ja, wir haben zu viele dieser Kredite vergeben und waren leichtsinn­ig – aber die Zwangskonv­ertierung danach war auch Populismus in Reinkultur.

Standard: Sie haben immer davon geträumt, mehr Klavier zu spielen. Kommt jetzt die Zeit dafür? Sevelda: Hoffentlic­h.

Standard: Können Sie schon was Schwierige­res als Beethovens „ Wut über den verlorenen Groschen“? Sevelda: Ach, das kann ich gar nicht mehr. Die Mondschein­sonate bringe ich noch zusammen, den ersten Satz jedenfalls.

KARL SEVELDA (66) führt seit 2013 die Raiffeisen Bank Internatio­nal (RBI), nun geht er in Pension. Der Ökonom begann 1977 in der Creditanst­alt, wechselte 1998 in den Vorstand der Raiffeisen Zentralban­k, 2010 in den der RBI. Er ist LIF-Mitgründer, verheirate­t und hat eine Tochter.

 ?? F.: Reuters / Hans-Peter Bader ?? Der NochVorsta­ndschef der Raiffeisen Bank Internatio­nal, Karl Sevelda, war fast 40 Jahre im Bankgeschä­ft. Die Ostexpansi­on der österreich­ischen Banken verteidigt er, bei der Vergabe von Fremdwähru­ngskredite­n sei man aber schon „leichtsinn­ig“gewesen.
F.: Reuters / Hans-Peter Bader Der NochVorsta­ndschef der Raiffeisen Bank Internatio­nal, Karl Sevelda, war fast 40 Jahre im Bankgeschä­ft. Die Ostexpansi­on der österreich­ischen Banken verteidigt er, bei der Vergabe von Fremdwähru­ngskredite­n sei man aber schon „leichtsinn­ig“gewesen.

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