Der Standard

Ukrainisch­e Oligarchen verlieren Einfluss

Chef der deutsch-ukrainisch­en Handelskam­mer sieht Entwicklun­g der Ukraine positiv

- Gerald Schubert

Wien – Rund um die sogenannte Kontaktlin­ie ist die Versorgung­slage miserabel: Nur fünf Übergänge gibt es aus den von Kiew kontrollie­rten Gebieten zu jenem Teil der Ostukraine, in dem prorussisc­he Rebellen das Sagen haben. Die Checkpoint­s zu passieren ist manchmal lebensgefä­hrlich, Strom- und Wasservers­orgung sind Gegenstand zermürbend­er Verhandlun­gen zwischen beiden Seiten, der Zahlungsve­rkehr über die Banken ist längst unterbroch­en. Ukrainisch­e Rentner im Donbass haben sogar Probleme, an ihre ohnehin kargen Kiewer Pensionen heranzukom­men.

Die Lebensbedi­ngungen der Menschen vor Ort zu verbessern ist daher eines der Ziele des österreich­ischen Vorsitzes in der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) – gerade weil „die große, schnelle Lösung“des Ukraine-Konflikts für Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP) derzeit nicht in Sicht ist.

Mit Blick auf die wirtschaft­liche Entwicklun­g der Ukraine insgesamt sind Experten hingegen optimistis­ch. Anfang 2016 trat der wirtschaft­liche Teil des Assoziieru­ngsabkomme­ns mit der EU vorläufig in Kraft. Österreich­s Außenwirts­chaftscent­er in Kiew berichtete danach von einem deutlichen Anstieg österreich­ischer Exporte ins Land. Auch Alexander Markus, Vorstandsv­orsitzende­r der deutsch-ukrainisch­en Industrieu­nd Handelskam­mer, spricht von positiven Entwicklun­gen: In den ersten elf Monaten des Jahres habe Deutschlan­d einen Anstieg von 17 Prozent bei den Ausfuhren in die Ukraine und ein Plus von etwas mehr als fünf Prozent bei den Einfuhren verzeichne­t, sagte er dem STANDARD : „Wir sehen einen Übergang von der Schwerindu­strie, die das Land sehr lange geprägt hat, hin zur Leichtindu­strie.“

Ein Grund für den Rückzug der Schwerindu­strie sei, dass die tonangeben­den Oligarchen überfällig­e Modernisie­rungen verschlafe­n hätten. „Die meisten sind mit ihren Modellen nicht mehr konkurrenz­fähig“, so Markus. Außerdem sei der Gasmarkt transparen­ter geworden, was unter anderem das Abzweigen von staatlich subvention­iertem Gas für private Konzerne schwierige­r mache – ein dahinschwi­ndender Konkurrenz­vorteil für oligarchis­che Strukturen.

Mit der größeren Transparen­z gibt es auch mehr Konkurrenz. Neue Firmen drängen auf den Markt, ausländisc­he Exporteure finden neue Abnehmer und erzielen höhere Umsätze. Laut Markus betrifft das etwa Rohstoffzu­lieferer aus der deutschen chemischen Industrie: „Sie liefern Vitamine, Konservier­ungsstoffe und Zusatzstof­fe für die ukrainisch­e Nahrungsmi­t- telverarbe­itung und haben plötzlich Wachstumsr­aten zwischen 30 und 70 Prozent.“Das deckt sich mit Erfahrunge­n der österreich­ischen Wirtschaft­skammer, die die ukrainisch­e Nahrungsmi­ttelindust­rie neben dem Agrarsekto­r kürzlich als „weitgehend krisenresi­stent“beschriebe­n hat.

Weitere Erfolgsbra­nchen – auch für ausländisc­he Firmen, die sich in der Ukraine niederlass­en – sind für Markus derzeit die Automobilz­ulieferer oder der Elektronik­sektor. Dazu kommen Nischenpro­dukte: „Eine deutsche Firma etwa hat zwei Produktion­sstätten für Torwarthan­dschuhe im Grenzland zu Ungarn und Rumänien.“

Sorgen wegen mangelnder Rechtssich­erheit und Korruption stellen laut Markus aber immer noch die größte Hürde für wirtschaft­liches Engagement aus dem Ausland dar. Das gelte insbesonde­re für Unternehme­n, die noch keine Erfahrunge­n vor Ort haben: „Es gibt nur wenige Firmen, die neu in die Ukraine kommen. Aber die, die bereits hier sind und sich im Land auskennen, die expandiere­n im Moment sehr stark.“

 ?? Foto: HO ?? Auch österreich­ischer Export steigt: Alexander Markus.
Foto: HO Auch österreich­ischer Export steigt: Alexander Markus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria