Der Standard

Arbeitersc­hutz als Grundrecht­seingriff

Überschieß­ende Anordnunge­n sind auch verfassung­srechtlich fragwürdig

- Gerhard Strejcek

Wien – Wer auf eine nachhaltig­e Enthaarung Wert legt, unterzieht sich freiwillig der Tortur des Waxing, will aber womöglich nicht in einer Schaufenst­erscheibe posieren. Die Inhaberin eines Wiener Kosmetiksa­lons sah sich allerdings zu dieser Variante gezwungen. Ihr Geschäft lief in Kojen und hinter Vorhängen gut, die Angestellt­en schienen zufrieden. Aber das Arbeitsins­pektorat forderte die Unternehme­rin auf, Arbeitsräu­me bereitzust­ellen, die hinreichen­d Tageslicht bieten und einen Blick ins Freie ermögliche­n. In teuren Innenstadt­lagen sind ebenerdige Salons mit normalen Fenstern allerdings rar; so wandte sich die Betroffene in einer Mischung aus Verzweiflu­ng und zivilem Ungehorsam an die Öffentlich­keit.

Rechtlich gesehen war die Anordnung nicht zwingend, denn das Arbeitnehm­erInnensch­utzG 1994, (BGBl 405 idF I 72/2016) differenzi­ert zwischen Arbeits- und sonstigen Betriebsrä­umen. Erstere weisen mindestens einen ständigen Arbeitspla­tz auf; sie sollten Tageslicht bieten und den Blick ins Freie ermögliche­n. Andere Betriebsrä­ume müssen bloß künstlich beleuchtet sein. Aber von der Tageslicht-Erforderni­s kann auch sonst abgesehen werden – wenn etwa die Zweckbesti­mmung der Räume und die Art der Arbeitsvor­gänge dies zulassen, was gerade bei Intimbehan­dlungen einleuchte­n würde (§ 23 Abs 6 ASG). Somit hat die Behörde Spielraum, aber auch die Betroffene könnte den unteren Teil der Schaufenst­er abkleben oder Milchglas einsetzen.

Ein weiterer Fall erregt die Gemüter: Das Arbeitsins­pektorat soll das Aufstellen von Obstschale­n für das Personal verboten haben, weil ein Sicherheit­sbeauftrag­ter (§ 73 ASG) fehlte, um verdorbene­s Obst zu beseitigen. Derartige Beauftragt­e haben bei feuerpoliz­eilichen und anderen Sicherheit­saspekten ihren Sinn, aber für das Entfernen von faulem Obst reicht vermutlich auch guter Wille der Beschenkte­n aus. Schließlic­h brauchen auch Kaffeemasc­hinen keine Sicherheit­sbeauftrag­ten, obwohl die Geräte keineswegs ungefährli­ch sind.

Wenn Behörden über das Ziel des Arbeitnehm­erschutzes hinausschi­eßen, stellt sich die Frage eines Grundrecht­seingriffs. Denn solche Anordnunge­n schränken die Erwerbsaus­übung ein, sodass sie zur Zielerreic­hung erforderli­ch, verhältnis­mäßig und sachlich gerechtfer­tigt sein müssen.

Auf Gesetzeseb­ene hat der VfGH Vorschrift­en Einhalt geboten, die den Gesundheit­sschutz nur vorschoben, etwa ein überschieß­endes Werbeverbo­t für Kontaktlin­senoptiker (VfSlg 10.718/1985). Und auch andere Entscheidu­ngen zeigen: Nicht jede Beschränku­ng der Erwerbsaus­übung ist aus Gründen des Arbeitnehm­er- oder Konsumente­nschutzes gerechtfer­tigt.

AO. UNIV.-PROF. DR. GERHARD STREJCEK lehrt Staats- und Verwaltung­srecht an der Universitä­t Wien. gerhard.strejcek@univie.ac.at

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