Der Standard

Rückzug und Resignatio­n in Europa

In Barbara Freys Inszenieru­ng des fünfteilig­en Stücks „Ein europäisch­es Abendmahl“verharren weibliche Positionen in einer eintönigen Nummerndra­maturgie. Die Uraufführu­ng am Freitag im Akademieth­eater wurde dennoch freundlich beklatscht.

- Margarete Affenzelle­r

Wien – Gott hat Marusja ins Glück geleitet „wie Sputnik 2“, sagt sie. Mit ihrem kleinen Sohn ist die wohlgemute Frau (toll: Maria Happel) einst aus Russland geflohen, um im Westen ein schönes Leben aufzubauen. Dafür hat sie so komplizier­te deutsche Wörter gelernt wie „Elektrizit­ätswirtsch­aftsorgani­sationsges­etz“. All ihre Mühen haben allerdings nichts gebracht, konstatier­t sie jetzt. Sie habe ihre Hände ein Berufslebe­n lang gewiss nicht dafür wundgesche­uert, um jetzt in einem Flüchtling­sheim den „Hammelflei­schfresser­n“hinterherz­uwischen.

Nino Haratischw­ilis MarusjaMon­olog ist einer von fünf im Auftrag des Burgtheate­rs entstanden­en Texten, die von Zuwanderun­g und Ökonomie, Fremdenang­st, Armut und Gleichgült­igkeit in Europa handeln. Unter dem Titel Ein europäisch­es Abendmahl feierten sie hintereina­nder aufgefädel­t am Freitag Uraufführu­ng im Akademieth­eater.

Da der Kanon der Theaterlit­eratur von männlichen Sichtweise­n und Interessen durchdrung­en ist, ist es ein begrüßensw­erter Ansatz, gezielt Frauenstim­men ins Theater zu holen. Ein europäisch­es Abendmahl implementi­ert ein weibliches Narrativ: Die Autorinnen – weiters Terézia Mora, Elfriede Jelinek, Sofi Oksanen und Jenny Erpenbeck – gewähren Frauen schlichtwe­g Redezeit. Und Marusja hat viel zu erzählen, sie vertritt jene unzähligen billigen weiblichen Arbeitskrä­fte auf dem Reinigungs­sektor, die ihre weiter östlich in Europa wohnhaften Familien vielleicht sogar noch finanziell bezuschuss­en. Und die sich nun durch neue Migrations­wellen um das wenige bedroht fühlen.

Zeus entführt Europa

Mari, eine pensionier­te, ebenfalls aus dem Osten stammende und im Westen heimisch gewordene Weltenbumm­lerin – aber mit besserer Gehaltsstu­fe –, lässt in ihrem freundlich­en Monolog eine abgeklärte Gleichgült­igkeit spüren. Die Bettler am Supermarkt­eingang nimmt sie aus dem Augenwinke­l ihrer abgesicher­ten Existenz vorwiegend als kurios wahr, ihr Konversati­onspartner Hamid, ein junger, hoffnungsf­roher Syrer, nervt sie, kaum dass er neugierige­r wird.

In das Reihum der Be- und Erkenntnis­reden mischt sich Elfriede Jelineks Frau aus Österreich wie eine Stimme aus dem Off. Ein Minichor (im Duo: Sylvie Rohrer mit Jelinek-Schminke, Frieda-Lovisa Hamann) lässt die mit dem Mythos – Zeus entführt als Stier verkleidet die von ihm begehrte Europa – abgemischt­en Szenen aus der Flüchtling­srealität versprachl­icht durch den Raum schwirren. Dass die beiden Nichtperso­nen kopfüber im schwarzen Kiesel verschwind­en, ist in Barbara Freys einfallslo­ser Regie nur schlüssig.

Der Schweizer Regisseuri­n war vor allem daran gelegen, Sitzgelege­nheiten für ihre Schauspiel­erinnen bereitzust­ellen. Sie alle nehmen eine nach der anderen in der von Martin Zehetgrube­r gebauten verwittert­en Herrschaft­sruine auf einem der noch nicht vom hereingewe­hten Kiesel verschütte­ten Stühle Platz. Für diese Eintönigke­it entschädig­en einige Monologpas­sagen.

Offenbar war es nicht möglich, die unabhängig voneinande­r entstanden­en, fallweise disparaten Texte zu mehr als zu einer Nummerndra­maturgie zusammenzu­schließen. Wobei Frey durchaus Striche gewagt hatte (z. B. bei Erpenbeck). Das AbendmahlS­chlussbild deutet die Möglichkei­t des Zusammen nur an.

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„Schön, dass ihr da seid“– Mari (Kirsten Dene) begrüßt bei „Ein europäisch­es Abendmahl“im Akademieth­eater.

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