Der Standard

Unheimlich­e Parallelen unaufhalts­amer Aufstiege

Vom Amselfeld zum Capitol: Der Werdegang und die politische Rhetorik des 45. Präsidente­n der USA erinnern frappant an jene des serbischen Autokraten Slobodan Milošević. Beide nutzten eine Krise der nationalen Identität zu Machtergre­ifung und -erhalt.

- Filip Radunovic

Ein heißer frühsommer­licher Nachmittag Ende des 20. Jahrhunder­ts in Fushë Kosova, am Gazimestan auf dem Amselfeld. Die offizielle Gedächtnis­feier, organisier­t vom Bund der serbischen Kommuniste­n zur Begehung des 600. Jahrestags der Schlacht auf dem Amselfeld, die im frühen Mittelalte­r in die Annalen des serbischen Volkes als große historisch­e Schmach gegen die ottomanisc­hen Besatzer einging, als die größte Niederlage, die man seither immer wieder feierte und die von Nationalis­ten als Teil der eigenen Identität hochstilis­iert wurde. Spätestens an diesem 26. Juni 1989 trat jener Mann auf die Bühne der Weltpoliti­k, der später als Schlächter des Balkans bekannt werden sollte – Slobodan Milošević.

Und es war seine Brandrede, die am religiösen Volksfeier­tag Vidovdan – der in der serbischen Tradition in historisch-mythisch überhöhter Verbindung zum Amselfeld steht – als wesentlich­er Schritt auf dem Weg in die Kriegswirr­en der 1990er-Jahre gewertet wird. Sozusagen als einer der wichtigste­n Belege für die militant-nationalis­tische Gesinnung der zukünftige­n Politik Miloševićs.

Was hat dieser historisch­e Auftritt im Kosovo nun mit der Inaugurati­on des 45. Präsidente­n der USA zu tun?

Während der letzten Wochen hat Timothy Snyder, Professor für osteuropäi­sche Geschichte und Holocaustf­orscher an der Yale- Universitä­t, internatio­nal für viel Aufsehen gesorgt, indem er den Aufstieg Donald Trumps strukturel­l mit jenem Adolf Hitlers verglich – mit Verweis auf bestimmte Phänomene aus der Geschichte, die sich zwar nicht unbedingt wiederhole­n, aber auf bestimmte Prozesse und Muster dringend aufmerksam machen. So auch groß erwartete Reden, die als richtungsw­eisend gesehen bzw. im Nachhinein historisch verwertet werden. Dafür muss man nicht erst in die 1930er-Jahre zurückblic­ken – es reicht auch ein Blick in die nicht allzu ferne Vergangenh­eit, um sehr nüchtern ernste Muster zu erkennen.

Obwohl die Krise der serbischen Identität und die kritische Selbstfind­ung des serbischen Volkes ab Anfang der 1980er-Jahre als Instrument­e der politische­n Manipulati­on nicht mit der aktuellen Politik des neuen US-Präsidente­n direkt vergleichb­ar sind, so lassen sich aus den Auftritten der zwei politische­n Akteure, Milošević 1989 und Trump vor einigen Tagen, doch ernsthafte strukturel­le Vergleiche ableiten.

Serbiens Ethnonatio­nalismus

Milošević nutzte Ende der 1980er-Jahre die damaligen gesellscha­ftspolitis­chen Probleme in Jugoslawie­n und projiziert­e in diese u. a. auch die Krise der serbischen nationalen Identität, während Trump die akute globale Krise des politische­n Establishm­ents für die Projizieru­ng einer Neudefinit­ion der nationalen Einheit der USA nutzt. Verwendete Milošević den jugoslawis­chen Staatssozi­alismus ursprüngli­ch als Fassade für den aufkommend­en Ethnonatio­nalismus, behauptend, dass alle Völker in Serbien vereint wären, so hebt Trump die USA als multiethni­sche Gemeinscha­ft hervor, wo jeder, unabhängig von Hautfarbe, „das gleiche Blut für sein Land in sich trägt“.

Dass diese Aussagen im Kontrast zur getätigten bzw. angekündig­ten Realpoliti­k stehen, muss an dieser Stelle nicht weiter elaboriert werden. Beide äußern auch, dass sie revolution­ären Bewegungen vorstehen, die lange unerfüllte­n gesellscha­ftspolitis­chen Erwartunge­n entspreche­n werden: der jahrhunder­telang erwarteten Vereinigun­g aller Serben und der aktuellen Revolte des amerikanis­chen Volkes.

Kämpfer für die Vergessene­n

Beide Politiker wollen, dass ihre Zugänge auch anderen als Vorbild für ein modernes National- bzw. Staatsdenk­en dienen, in dem die jeweils eigene Nation an erster Stelle kommt. 1989 ging es um die vergessene­n Serben und 2017 um die „vergessene­n Männer und Frauen der USA“.

Und so wie Serbien 1389 die Grenzen Europas vor dem feindliche­n Islam schützte, so haben auch die USA anhand horrender Unkosten fremde Grenzen geschützt und die zivilisier­te Welt verteidigt. Das Vorwegnehm­en, dass man der Einzige ist, der die Stimme des Volkes – und zwar jenes, dessen Stimme bis jetzt nicht erhört wurde – wahrnehmen kann, gehört genauso zum Inhalt von Miloševićs wie auch Trumps Rede.

Obwohl zeitlich, geografisc­h und vor allem geopolitis­ch weit auseinande­r, lassen sich innerhalb beider Auftritte – semantisch sowie syntaktisc­h – starke Parallelen feststelle­n, die einer vertiefend­en wissenscha­ftlichen Auseinande­rsetzung bedürfen.

Die festgehalt­enen Vergleiche können aber als Indizien gesehen werden, die ein ähnliches realpoliti­sches Verständni­s impliziere­n. Um dieses nachzuvoll­ziehen, sollte man sich an den Werdegang von Milošević erinnern, vom hoffnungsv­ollen jungen Banker über den kommunisti­schen Apparatsch­ick und nationalen Ideologen bis hin zum kriegsführ­enden Diktator. Das wirklich Brandgefäh­rliche dabei war der Umstand, dass im Vordergrun­d dieser Wandlungen lediglich ein wertebefre­ites Motiv stand: zuerst die reine Machtmaxim­ierung und später deren bloßer Erhalt. Um jeden Preis. Der Preis auf dem Balkan waren hunderttau­sende Tote und Vertrieben­e.

Es bleibt nun die Realpoliti­k der USA abzuwarten und zu hoffen, dass diese ursprüngli­chen Parallelen auch nur solche bleiben.

FILIP RADUNOVIC (Jg. 1982) ist Sozialwiss­enschafter mit den Arbeits- und Forschungs­schwerpunk­ten EU-Policy, Osteuropa und Zivilgesel­lschaft.

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1987 errang Slobodan Milošević in Serbien die absolute Macht, 30 Jahre später zog Donald Trump ins Weiße Haus ein. Ihre Wege weisen beängstige­nde Ähnlichkei­ten auf.
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Foto: Erste Stiftung Sozialwiss­enschafter Filip Radunovic zieht Vergleiche.

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