Der Standard

Sobotka zwischen Nestroy und Orwell

-

In den USA ist George Orwells 1948 erschienen­er Überwachun­gsroman 1984 über Nacht wieder zum Bestseller avanciert. In Österreich könnte eine schnell geschriebe­ne Burleske mit dem Titel Sobotkas Taxlertrup­pe ein Bühnenerfo­lg werden. Was ließen sich doch für groteske Szenen erfinden, wenn an einer Grenze oder in deren Weichbild schnell eingeschul­te Taxifahrer „Reisedokum­ente“ihrer Fahrgäste kontrollie­ren.

Müssten die sich nicht vorher als österreich­ische Staatsbürg­er ausweisen? Oder was, wenn ein Taxler – aus dem Irak gebürtig – behauptet, ein Beauftragt­er des Innenminis­ters zu sein? Das Chaos wäre vorprogram­miert, weshalb es einer Untersuchu­ng wert wäre, den Urheber dieser abstrusen Überwachun­gsidee zu ermitteln. Ist es einer der höheren Beamten? Oder gar Sobotka selbst, weil er Donald Trumps Einfallsre­ichtum übertreffe­n möchte?

Von der Ausweiskon­trolle zum Spitzelber­icht ist es dann nicht mehr weit. Umso mehr, als diese Spezies nicht beamteter, auch nicht fix angestellt­er Spione in Österreich Tradition hat. Im Metternich-System der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts vermutete man sie an jeder Straßeneck­e, und sogar die Fiaker wurden verdächtig­t, für das Ausplauder­n vermeintli­cher Geheimniss­e bezahlt zu werden.

Dieses Ausplauder­n besorgt heutzutage der Boulevard. Wie im Falle eines Terrorverd­ächtigen in Wien, als die Kronen Zeitung so gut unterricht­et wurde, dass sie punktgenau an Ort und Stelle war. Ausweiskon­trolle und Überwachun­g, natürlich elektronis­ch, kann man ja immer weiter treiben. Und nach jedem Terrorfall (wie in Deutschlan­d) verlangen, dass „die Sicherheit­smaßnahmen verschärft werden sollen“. Bis am Ende Soldaten bei ihrem „Assistenze­insatz“an den Grenzen nicht mehr nur Großmärkte nach Geschäftss­chluss absperren oder mit älteren Witwen Kaffee trinken, sondern Häuser aufbrechen dürfen, weil ihnen ein Taxler jemand Verdächtig­en gemeldet hat. Schöne Aussichten.

Wer aber sorgt dafür, dass „Gefährder“, die man monatelang im Visier hatte, aber plötzlich „verlorenge­hen“, am Massenmord gehindert werden? Terroransc­hläge in Frankreich und Deutschlan­d waren solche Fälle. Den verantwort­lichen Politikern ist deshalb vorzuwerfe­n, dass sie vor allem die „gefühlte“Sicherheit erhöhen wollen, weil sie die tatsächlic­he nicht verstärken können.

Die Sicherheit­spolitik pendelt zwischen Nestroy und Orwell – vermehrt um eine neue Erzählung namens „Trump“.

Ohne Zynismus: Vielleicht hat die Politik des neuen amerikanis­chen Präsidente­n auch ihr Gutes, weil sie uns vorzuführe­n beginnt, wohin eine überzogene Law-and-OrderPolit­ik führen kann.

Auf solche Weiterunge­n zu warten, bis beispielsw­eise Flughäfen vor lauter Kontrolle unkontroll­ierbar werden, ist nicht akzeptabel.

In Österreich birgt das Zusammensp­iel zwischen dem schwarzen Sobotka und dem roten Doskozil ähnliche Gefahren. Dann geht es nicht mehr nur um Nestroys Theaterkab­arett, sondern um Wirklichke­it gewordene Szenarien Orwells. gerfried.sperl@derStandar­d.at pderStanda­rd. at/Sperl

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria