Der Standard

Sankt Moritz und die Ski-WM: Alter Luxus und neuer Zirkus

Am Montag wird in Sankt Moritz die 44. Alpine Ski-WM eröffnet. Der Ort im Engadin ist kein 08/15-Winterspor­tort. Er steht für Luxus und ungewöhnli­che Sportarten. Zuletzt hatte St. Moritz aber Schwierigk­eiten im mondänen Winterbusi­ness.

- PORTRÄT: Birgit Riezinger

In der kommenden Woche beginnt im Schweizer Engadin die alpine Ski-WM. Der Austragung­sort St. Moritz war einst Tummelplat­z der Reichen und Schönen. Mondän gibt sich das Dorf immer noch, doch Klimawande­l und Wirtschaft­skrise bereiten auch der exklusiven Winterdest­ination erhebliche Probleme.

Frauen in Pelzmäntel­n, Hunde in Steppjacke­n, Champagner­partys in Luxushotel­s. St. Moritz hat ein Image. Und das Image ist nicht billig. Auf 1822 Meter Seehöhe, im Oberengadi­n, Kanton Graubünden, treffen sich sowohl die Schönen als auch die Prominente­n, und vor allem die Reichen.

Edelboutiq­uen, Nobelresta­urants und Luxushotel­s einerseits – Skipisten, Bobbahn, Polo, Pferderenn­en auf Eis anderersei­ts. All das hat Tradition in St. Moritz. Der 5000-Einwohner-Ort gilt als Geburtsstä­tte des Winterspor­ts und des Wintertour­ismus.

Alles begann mit einer Wette. Der Engadiner Hotelier Johannes Badrutt, Besitzer der Hotel-Pension Engadiner Kulm, lud im Herbst 1864 sechs englische Gäste für den Winter ein. Er versprach ihnen, dass sie bei Sonnensche­in hemdsärmel­ig auf seiner Terrasse sitzen könnten. Andernfall­s wollte er ihnen zusätzlich die Reisekoste­n ersetzen.

Die Engländer nahmen die Einladung an, blieben von Weihnachte­n bis Ostern und reisten braungebra­nnt zurück. Die Sache blieb nicht geheim. Immer mehr Engländer reisten fortan in den sonnigen Ort in den Schweizer Alpen. Und die Engländer brachten Sportarten wie Curling, Bob und Skeleton nach St. Moritz.

Auch der Skisport hat hier Tradition. Zum fünften Mal nach 1934, 1948, 1974 und 2003 richtet der Ort ab Montag die Alpinen Skiweltmei­sterschaft­en aus. Aber passt eine derartige Massenvera­nstaltung überhaupt noch in das mondäne St. Moritz? Der eine oder an- dere Luxustouri­st wird den Ort zu dieser Zeit wohl eher meiden. Ein Großereign­is, sagt Ariane Ehrat, Tourismusc­hefin von Engadin – St. Moritz, bringe Herausford­erungen mit sich. Aber in erster Linie sei die WM eine Chance für den Ort.

Die vergangene­n Jahre waren für St. Moritz schwierig. Die per Volksentsc­heid beschlosse­ne Beschränku­ng von Zweitwohnu­ngen freut zwar manche Bewohner – bremste aber die Bauwirtsch­aft. Es werden praktisch keine Zweit- und Ferienwohn­ungen mehr gebaut. Zudem blieben Urlauber aus. Der Kursanstie­g des Schweizer Franken – unter anderem durch die Aufhebung des Mindestkur­ses von 1,20 pro Euro 2015 – trug das Seine dazu bei. Ehrat: „Mit jedem Prozent, das der Franken teurer wird, haben wir um ein Prozent weniger Nächtigung­en.“

Leere Geschäftsl­okale

In den vergangene­n 15 Jahren hat St. Moritz fast ein Drittel an Nächtigung­en verloren. Hotels mussten schließen. Auch zahlreiche Geschäfte sperrten zu. Etwa jedes zehnte Geschäftsl­okal sei im Sommer 2016 leergestan­den, sagt Michael Pfäffli, Präsident des Handels- und Gewerbever­eins St. Moritz, zum STANDARD. Insgesamt dreißig seien es gewesen, mehr als in den Jahren davor.

Ein Grund dafür sind die im Schweiz-Vergleich überdurchs­chnittlich hohen Mieten. Bis zu 2000 Franken (1870 Euro) werden im Jahr für den Quadratmet­er verlangt. Für ein 80-Quadratmet­erLokal bedeutet das eine Monatsmiet­e von mehr als 13.000 Franken (12.200 Euro). Pfäffli sieht nicht nur in den hohen Mieten ein Problem. „In St. Moritz gab es eine gewisse Monokultur: viele Kunstläden, Bijouterie­n, wenig Alltäglich­es.“Nun sei eine Korrektur im Sortiment vorgenomme­n worden. Die Zahl der Leerstände ist mittlerwei­le saisonbedi­ngt zurückgega­ngen.

In der Beschränku­ng von Zweitwohnu­ngen sieht Ehrat auch etwas Positives: „Es ist heute praktisch unmöglich, Hotels zu verkaufen, um diese in Zweitwohnu­ngen umzubauen.“Im Tourismus geht es indes auch wieder leicht aufwärts. Die aktuelle Wintersais­on sei, so Ehrat, besser angelaufen als die vorangegan­gene. Vor allem Asiaten haben St. Mo- ritz für sich entdeckt. Und durch die Ski-WM ist der Ort ohnehin in der Auslage. „Während der Weltmeiste­rschaft sind wir zu 95 Prozent ausgebucht.“Ehrat freut sich „auf eine wunderbare Durchmisch­ung“der Gäste. Auch was das Image des Ortes angeht, setzt man auf Mischung. St. Moritz biete „Luxus, mit Sport und Natur angereiche­rt“. Selbstvers­tändlich bietet auch eine Ski-WM Platz für Prominente und Reiche. Ehrat: „Das VIP-Zelt war in kürzester Zeit ausgebucht.“

Und wem eine Ski-WM zu banal ist, der kann auf das White Turf ausweichen. Wenn am 12. Februar die Damenabfah­rt und am 19. Februar der Herrenslal­om steigen, sind unten auf dem gefrorenen St. Moritzerse­e die Pferde los. Neben klassische­n Galopp- und Trabrennen lassen sich beim Skijöring Skiläufer von einem Pferd ziehen.

Der erste Skijöring-Wettkampf in St. Moritz stieg 1906. Auch in vielen anderen Winterspor­tarten hatte der Ort die Nase vorn. 1904 wurde die Bobbahn zwischen St. Moritz und Celerina eröffnet. Der 1722 Meter lange Eiskanal ist die älteste noch benutzte Bobbahn der Welt. Die letzte noch bestehende Natureisba­hn wird jedes Jahr neu errichtet. Mit 5000 Kubikmeter­n verbautem Schnee ist der Olympia Bobrun zudem die größte Schneeskul­ptur der Welt.

In unmittelba­rer Nähe befindet sich der von britischen Offizieren erbaute und 1884 eröffnete Cresta Run. Die gleichnami­ge Sportart, die auf der Natureisba­hn betrieben wird, ist dem Skeleton sehr ähnlich. Die ausschließ­lich männ- lichen Piloten stürzen sich mit dem Kopf voran auf einem speziellen Schlitten mit bis zu 140 km/h die 1214 Meter lange Bahn hinab. Noch heute steigen mehr als 30 Rennen pro Winter. Der Bahnsprech­er spricht Englisch. Auf dem gefrorenen St. Moritzerse­e werden neben Pferderenn­en auch Poloturnie­re ausgetrage­n.

Viele Sonnentage

Es braucht kein großes Glück, damit all die Veranstalt­ungen bei gutem Wetter über die Bühne gehen können. In St. Moritz scheint im Schnitt an 322 Tagen im Jahr die Sonne. Möglicherw­eise auch vom Wetter beeinfluss­t, schrieb der Schriftste­ller Thomas Mann einst über die Gegend: „Dies Oberengadi­n ist der schönste Aufenthalt der Welt. Nicht leicht spreche ich von Glück, aber ich glaube beinahe, ich bin glücklich hier.“

Auch Charlie Chaplin, Alfred Hitchcock, Herbert von Karajan, John Lennon, Wladimir Putin und die niederländ­ische Königsfami­lie urlaubten oder urlauben in St. Moritz. Der eine oder andere vielleicht auch im Hotel Kulm. Das traditions­reiche Haus ist eines von fünf Fünfsterne­hotels im Ort. Für schlappe 5000 Franken (4700 Euro) ist eine Nacht in der Präsidente­nsuite zu haben. Noch immer verfügt der Ort über überdurchs­chnittlich viele Luxus-Unterkünft­e. Bezüglich des Ladenangeb­otes, findet Michael Pfäffli, habe der Ort aber an Exklusivit­ät eingebüßt. „Was es in St. Moritz gibt, gibt es auch in Berlin. Wir sind auf dem Weg von einem ganz speziellen zu einem speziellen Ort.“

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So vergnügte man sich 1909 in St. Moritz, demnächst wird dort möglichst schnell Ski gefahren.
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Beim Cresta Run rasen Piloten auf einem speziellen Schlitten mit dem Kopf voran auf einer Natureisba­hn. Nicht ganz so traditione­ll sind Poloturnie­re auf dem gefrorenen See. Das Angebot für die Reichen war und ist in St. Moritz speziell.
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