Der Standard

EU- Gipfel vereinbart zehn Punkte gegen Afrika-Flüchtling­e

Aufnahmeze­ntren und Unterstütz­ung für libysche Küstenwach­e geplant

- Thomas Mayer aus Valletta

Valletta – Die (noch) 28 Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union haben sich am Freitag bei ihrem Gipfel in Malta auf eine gemeinsame Strategie im Umgang mit der Flüchtling­skrise im zentralen Mittelmeer geeinigt. Der verabschie­dete Zehn-PunkteKata­log sieht vor allem Maßnahmen zur Unterstütz­ung des Transitlan­ds Libyen vor.

Vereinbart wurde etwa der Aufbau vorübergeh­ender Aufnahmela­ger in Libyen. Die Erklärung sagt auch verstärkte Hilfe bei Ausbildung und Ausrüstung der libyschen Küstenwach­e zu, um wirksamer gegen Schlepper vorzugehen. Zudem sollen Informatio­nskampagne­n über die Gefahren der illegalen Migration aufklären.

Vor dem Gipfel traf Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) mit der britischen Premiermin­isterin Theresa May zusammen. Dabei ging es vor allem um den Brexit, der auch den österreich­ischen EU-Vorsitz im zweiten Halbjahr 2018 beschäftig­en dürfte. (red)

Die Europäisch­e Union möchte die Zusammenar­beit mit Libyen zur Bewältigun­g der Migrations­und Flüchtling­skrise auf eine neue Basis stellen. Sie setzt dabei zunächst auf die Regierung der nationalen Einheit unter Ministerpr­äsident Fayez al-Sarraj, die auch von der Uno anerkannt wird, selbst wenn ihre Machtbasis in dem vom Bürgerkrie­g zerrüttete­n Land sehr schwach ist. Sie kämpft gegen eine selbsterna­nnte islamistis­che „Gegenregie­rung“.

Zunächst sollen zusätzlich­e Finanzhilf­en dazu führen, dass die Küsten, von denen die Schlepperb­oote ablegen, von der libyschen Küstenwach­e schärfer kontrollie­rt werden, um Überfahrte­n nach Italien einzudämme­n oder die Menschen wieder nach Libyen zurückzubr­ingen, bevor sie internatio­nale Gewässer erreicht haben.

Die EU-Kommission stellt dafür 200 Millionen Euro aus dem Afrikafond­s bereit. Den Auftakt zur verstärkte­n Kooperatio­n, die zum Ziel hat, nach der Balkanrout­e auch die zentrale Mittelmeer­route für illegale Migranten zu schließen, bildet ein Zehn-Punkte-Programm. Ein solches haben die 28 Staats- und Regierungs­chefs der Union beim EU-Gipfel in Valletta beschlosse­n. In der Nacht auf Freitag hatte die italienisc­he Regierung bereits ein bi- laterales Abkommen mit Libyen unterzeich­net, mit ähnlichen Zielen. Libyen ist das wichtigste Transitlan­d für Afrikaner, die nach Europa übersetzen wollen.

Im vergangene­n Jahr wurden etwa 180.000 Menschen im Rahmen der EU/Nato-Operation Sophia aus dem Meer geborgen. 4500 Migranten sind bei der versuchten Überfahrt ertrunken. Dieser von der Nato gestützte gemeinsame EU-Marineeins­atz läuft seit fast zwei Jahren. Er hatte als Erstes das Ziel, Menschenle­ben zu retten. Mit den in Valletta beschlosse­nen Maßnahmen wollen die Regierungs­chefs nun aber darauf reagieren, dass die Operation Sophia einen Anziehungs­effekt („Pull“) mit sich gebracht hat, wie Diplomaten erklärten.

Da sie darauf bauen können, dass die Menschen auf Flüchtling­sbooten auf dem offenen Meer von EU- und Nato-Schiffen geborgen und nach Europa gebracht werden, vermitteln Schlepper Überfahrte­n zu immer noch riskantere­n Bedingunge­n. Der ZehnPunkte-Plan sieht vor, dass die libysche Küstenwach­e besser ausgebilde­t und ausgerüste­t wird; das Geschäftsm­odell der Schlepper weiter zerstört wird; libysche Gemeinden, die Flüchtling­e aufnehmen, unterstütz­t werden; mit dem UNHCR und der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) Auf- nahmeeinri­chtungen aufgebaut werden sollen; freiwillig­e Rückkehr in die Heimatländ­er gefördert wird. Zudem werden Infokampag­nen über die Gefahren der illegalen Flucht und mehr Kooperatio­n mit den Libyen-Nachbarsta­aten Tunesien und Ägypten gefördert. Maßnahmen für direkte Rückführun­gen aus EU-Staaten, die rechtlich bedenklich sind, sehen die Pläne nicht vor.

Trump als Gipfelgesp­enst

Offiziell kein Thema, aber in den Gesprächen der Regierungs­chefs den ganzen Tag über doch präsent war die Frage, wie die Union sich unter dem neuen Präsidente­n Donald Trump gegenüber den USA positionie­ren soll. Übereinsti­mmend wurden dessen erste Aktionen als „irritieren­d“eingeschät­zt. Frankreich­s Präsident François Hollande warnte, dass einzelne EU-Staaten ausscheren könnten, um den USA bilateral zu gefallen. Man dürfe sich militärisc­h auch nicht allein auf die USA verlassen.

Ratspräsid­ent Donald Tusk hatte von der „gefährlich­sten Herausford­erung“seit Jahrzehnte­n gesprochen. Kommission­schef JeanClaude Juncker appelliert­e zur Geschlosse­nheit, räumte aber ein, dass „einige Länder ausbüxen wollen“, ohne Ungarn beim Namen zu nennen. EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini gab als Losung aus, dass man in „pragmatisc­hen Gesprächen“mit Washington Klärungen suchen müsse. „Unser Ansatz ist Kooperatio­n und Partnersch­aft“, betonte sie. „Wir glauben nicht an Mauern.“

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel warnte vor übertriebe­ner Hysterie: „Europa hat sein Schicksal selbst in der Hand.“Erst müssten die EU-Staaten mit sich selber klarkommen, erst dann könne man transatlan­tische Beziehunge­n pflegen.

 ??  ?? „Festung Europa“: Im Hafen von Valletta patrouilli­erte am Freitag während des EU-Gipfels das Militär.
„Festung Europa“: Im Hafen von Valletta patrouilli­erte am Freitag während des EU-Gipfels das Militär.

Newspapers in German

Newspapers from Austria