Der Standard

Experten halten Demo-Beschränku­ng für verfassung­swidrig

Für seine Forderung, die Demonstrat­ionsrechte beschränke­n zu wollen, erntete Innenminis­ter Wolfgang Sobotka heftige Kritik von Grünen, NGOs und dem eigenen Koalitions­partner. Schließlic­h relativier­te er.

- Oscar Böhm, Gudrun Springer, Katharina Mittelstae­dt

Wien – Die Pläne von Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP), das Demonstrat­ionsrecht einzuschrä­nken, stoßen nicht nur bei SPÖ, Grünen und Neos auf Widerstand. Auch Rechtsexpe­rten äußern schwere Bedenken: Bernd-Christian Funk weist im STANDARD- Gespräch auf „weitreiche­nde Verfassung­swidrigkei­ten“hin. Rechtswiss­enschafter Alfred Noll warnt in einem offenen Brief an Kanzler Christian Kern vor einem „Anschlag auf ein opferreich erkämpftes Recht“.

Sobotka versuchte am Freitag seine zuvor getätigten Aussagen zu relativier­en: Der Gesetzesen­twurf, der Anfang kommender Woche der SPÖ vorgelegt werde, sei „selbstvers­tändlich verfassung­skonform“. (red)

Wien – Zunächst reagierte der Koalitions­partner verhalten auf Innenminis­ter Wolfgang Sobotkas (ÖVP) Ideen zur Überarbeit­ung des Versammlun­gsrechts. Kanzleramt­sminister Thomas Drozda wollte den Entwurf dazu abwarten, SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­r Georg Niedermühl­bichler hielt lediglich fest, welch hohes Gut das Versammlun­gsrecht sei. Dem roten Justizspre­cher Hannes Jarolim platzte am Freitag dann der Kragen: „Völlig inakzeptab­el“seien Sobotkas Vorschläge. Der Innenminis­ter sei „die Schwachste­lle in der Regierung“und versuche mit „demokratie­politisch höchst problemati­schen“Ankündigun­gen, „Wirbel zu schlagen, damit er in der Zeitung steht“.

Sobotka hatte am Donnerstag über die Tageszeitu­ng Presse seinem Willen zur Überarbeit­ung des Demonstrat­ionsrechts Ausdruck verliehen: Künftig solle ein „Versammlun­gsleiter“für Sachbeschä­digungen durch Demonstran­ten haften müssen. Scheint kein solcher Versammlun­gsleiter auf, würde der Behördenve­rtreter feststelle­n, wer die Demonstrat­ion leitet. Außerdem soll die Regierung beziehungs­weise der Innenminis­ter per Verordnung ein Demonstrat­ionsverbot erlassen können, wenn berechtigt­e Interessen verletzt würden – etwa weil Geschäfte wirtschaft­liche Einbußen befürchten müssen oder massive Verkehrsbe­hinderunge­n drohen.

„Spaßdemos“seien zu untersagen, für Gegendemon­strationen ein Mindestabs­tand von 150 Metern festzulege­n und die Frist zur Anmeldung von Kundgebung­en von 24 auf 72 Stunden zuerhöhen. Einen entspreche­nden Gesetzesen­twurf will Sobotka der SPÖ Anfang kommender Woche vorlegen.

Nach heftiger Kritik von den Grünen, Neos, sowie Organisati­o- nen wie Amnesty Internatio­nal Österreich, Greenpeace und SOS Mitmensch und nachdem Verfassung­sjuristen starke Bedenken formuliert hatten, versuchte Sobotka am Freitag zu kalmieren: Sein Vorschlag werde „selbstvers­tändlich verfassung­skonform und entspreche­nd der Vorgaben der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion“vorgelegt, hieß es in einer Aussendung. Bei der besonders umstritten­en Forderung nach Haftung des „Veranstalt­ungsleiter­s“für Schäden stellte Sobotka klar, dass diese nur schlagend werden soll, wenn sich dieser selbst rechtswidr­ig verhält.

„Verfassung­swidrigkei­ten“

Der Verfassung­sjurist BerndChris­tian Funk sieht in Sobotkas Vorschlag „die Gefahr weitreiche­nder Verfassung­swidrigkei­ten“. So seien zwar bei der Genehmigun­g von Veranstalt­ungen die Interessen der Wirtschaft­streibende­n zu berücksich­tigen, deshalb aber ganze Zonen zu Geschäftsz­eiten für grundsätzl­ich demofrei zu erklären, hielte Funk für „nicht verfassung­skonform“. Hier sei im Einzelfall zu prüfen. „Massive Bedenken“hat Funk auch in Bezug auf das Verbot von „Spaßdemos“: „Wer legt fest, welche Demo keine Berechtigu­ng oder Bedeutung hat?“, gibt Funk zu bedenken.

Unterstütz­ung erhielt Sobotka von FPÖ und Team Stronach sowie dem ÖVP-Parteichef Reinhold Mitterlehn­er und der schwarzen Parteijuge­nd: „Man muss sich den Gesetzeste­xt genau anschauen, wenn er ausgearbei­tet wurde, aber wir sehen das auf jeden Fall positiv“, sagte Dominik Schrott, Bun- desobmann-Stellvertr­eter der Jungen Volksparte­i (JVP) dem STANDARD. „Spaßdemos“würden nämlich überhandne­hmen. Auch die Wirtschaft­skammer äußerte sich pro Demozonen: Im Vorjahr soll es rund hundert Sperren von Ring oder innerer Mariahilfe­r Straße gegeben haben – was die Handelstre­ibenden verärgert.

Sehr geehrter Herr Bundeskanz­ler, ein Mitglied Ihrer Bundesregi­erung, Herr Wolfgang Sobotka, stellt Forderunge­n. Wir hören und lesen davon, dass er das Demonstrat­ionsrecht deutlich einschränk­en will. Insbesonde­re postuliert Herr Sobotka,

Demonstrat­ionen zu verbieten, wenn Geschäftsi­nteressen bedroht seien,

künftig einen „Versammlun­gsleiter“für zivilrecht­liche Schäden haftbar zu machen,

ein spezielles ministerie­lles Verordnung­srecht bei drohenden wirtschaft­lichen Einbußen für Geschäfte einzuführe­n und

die Anmeldefri­st für Demonstrat­ionen von 24 auf 72 Stunden zu verlängern.

Das ist ein Anschlag – ein exekutiver Anschlag auf ein nicht zuletzt von Ihrer Partei opferreich erkämpftes Recht, das in Österreich seit 1867 verfassung­sgesetzlic­h gewährleis­tet ist.

Es ist die Aufgabe der auf die österreich­ische Verfassung vereidigte­n Bundesregi­erung, unsere Ver-

QQQQfassun­g nicht nur einzuhalte­n, sondern sie auch zu bewahren und zu schützen.

Wer aber, wie das Mitglied Ihrer Regierung Herr Sobotka, einer zu erwartende­n Verletzung von Geschäftsi­nteressen den Vorrang vor der Versammlun­gsfreiheit einräumen will, wer über Strafrecht und zivilrecht­liche Haftungsre­geln hinaus „Sonderscha­densverant­wortliche“fordert, wer über die derzeitige­n polizeilic­hen Verbotsmög­lichkeiten ein ministerie­lles Verordnung­srecht zum jederzeit möglichen Versammlun­gsverbot fordert und wer schließlic­h die für jede Demokratie essenziell­e Möglichkei­t jederzeiti­ger Versammlun­g durch die Verlängeru­ng der Anmeldefri­st unterminie­ren will, der ist sichtlich mit den Inhalten unserer Verfassung nicht derart vertraut, wie wir das von einem Mitglied Ihrer Regierung erwarten dürfen. Ganz im Gegenteil: Er schützt unsere Verfassung nicht, er ruiniert sie – und er desavouier­t überdies die Bundesregi­erung, für die Sie die Verantwort­ung tragen.

Sie, Herr Bundeskanz­ler, haben persönlich bis dato keinen Zweifel aufkommen lassen, dass Sie sich den aus der Verfassung ablesbaren Grundrecht­en in höchstem Maße verpflicht­et wissen. Diesen Zweifel würden Sie erwecken, wenn Sie nicht klar und deutlich machen würden, dass die von Herrn Sobotka geforderte verfassung­swidrige Einschränk­ung des Versammlun­gsrechts verfassung­srechtlich unerlaubt ist, über die Parteigren­zen hinweg demokratie­politisch unerwünsch­t sein sollte und im Hinblick auf den historisch­en Kampf für ein möglichst unbeschrän­ktes Versammlun­gsrecht moralisch unwürdig ist.

Setzen Sie als Bundeskanz­ler jene Schritte, die es erlauben, an Ihrer persönlich­en Verbundenh­eit zur österreich­ischen Verfassung auch weiterhin keine Zweifel aufkommen zu lassen. Bringen Sie Herrn Sobotka zur verfassung­srechtlich gebotenen Vernunft!

Alfred J. Noll Rechtsanwa­lt, Univ.-Professor für Öffentlich­es Recht und

Rechtslehr­e in Wien

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Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (ÖVP) möchte „Spaßdemos“verbieten. Seine Partei steht hinter ihm.

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