Dem Alphatier folgt Anstrengung
Kern spricht alle an, Mitterlehner wirkt unlocker
Der rote Kanzler und sein schwarzer Vize, diese Konstellation gibt es in Österreich mit wechselndem Personal seit Jahrzehnten, sie gehört sozusagen zum politischen Inventar der Republik. Der Kanzler führt, und der Zweite ist eben nur der Zweite – Stefan Verra, Experte für Körpersprache, findet in der aktuellen Paarung von Christian Kern (SP) und Reinhold Mittlerlehner (VP) viel Bestätigendes für diese Annahme.
Grundsätzlich hält er Kern – rein von der Erscheinung und der Ausdrucksweise her – für einen „Glücksfall“für Österreich. Er sei „kommunikativ geschickt“wie lange kein Bundeskanzler vor ihm. Und das sei auch wichtig, denn nur mit dieser Gabe könne es ein Politiker mit den Populisten aufnehmen, ohne selbst in deren extreme Sprachweise verfallen zu müssen.
„Er versteht es, mit dem Volk zu sprechen“, sagt Verra. Das habe sich auch bei seinem Auftritt am Dienstag im Nationalrat gezeigt, bei dem das neue Regierungsprogramm vorgestellt wurde. Kern vermöge frei zu sprechen, was ihn von vielen Politikern unterscheide. Denn, so Verra: „Frei zu sprechen heißt nicht, irgendwas daherzureden, sondern sehr wohl Unterlagen zu haben. Aber im Vordergrund steht das Publikum.“
Im Fall von Kern im Nationalrat das Gesamte. Verra: „Er steht sehr stabil und dreht sich bei seinen Reden abwechselnd nach links und nach rechts, das hat auch Barack Obama gemacht, und es war auch schon in Wels bei seiner Grundsatzrede der Fall. Es vermittelt, dass Kern alle meint und niemanden ausschließen will.“
Bei Interviews schaut Kern dem Fragensteller direkt in die Augen, oftmals sieht man auch ein kleines Lächeln, und er hebt die Augenbrauen. Die Wirkung ist positiv: „Es zeigt, dass Kommunikation erwünscht ist, dass ich mich für mein Gegenüber interessiere.“Allerdings hat Verra beobachtet, dass das Kanzlerlächeln manchmal asymmetrisch ist – ein Mund- winkel oben, einer unten. Die Erklärung des Körpersprechers: „Unser Gehirn agiert einseitig, wenn es sich noch nicht vollständig entschieden hat – soll ich etwas toll finden, oder nervt es mich?“
Doch es gibt nicht nur Lob für den Kanzler. Zwar sei es ein Zeichen von Dynamik und Stärke, wenn Kern den Kopf leicht erhoben halte, doch er wirke dadurch gelegentlich auch arrogant. Verra: „Es fehlt ihm die lässige Selbstverständlichkeit des kanadischen Premiers Justin Trudeau.“
Noch weiter aber von dieser ist Mitterlehner entfernt. Das Fazit über dessen Körpersprache fällt längst nicht so positiv aus. Im Gegenteil: Wenn Mitterlehner spricht, dann wirkt er sehr angestrengt, er legt auch die Stirn oft in Falten, hat Verra beobachtet. Seine Assoziation: „Wenn wir einen Gedanken noch nicht ganz erfasst haben, dann engen wir den Blick ein, in dem wir die Stirn runzeln.“
Verra will Mitterlehner überhaupt nicht unterstellen, dass er sich abmühen müsse. Aber: „Es wirkt auf das Publikum nicht so souverän und locker wie bei Kern, man hat den Eindruck, der Vizekanzler muss alle seine Ressourcen nutzen.“
Im Parlament sei die Grundhaltung des Vizekanzlers – nämlich mehr Richtung Boden – auffällig gewesen. Keine gute Körperhaltung für jemanden, der führen wolle: „Ein Alphatier muss dem Rudel immer vermitteln, ich habe euch alle im Blick. Das gilt übrigens auch für Firmenchefs.“
Hektischere Bewegung
Mitterlehners Bewegungen seien – im Vergleich zu jenen Kerns – „hektischer und kleiner“, er schaue auch viel ernster drein. Es gelte aber in der Körpersprache der Grundsatz: Je größer und raumfüllender die Bewegungen eines Menschen sind, desto dominanter wirkt er. Zeige also Mitterlehner auch mit seinem Körper, dass er der ewige Zweite ist? Für Verra ist die Antwort darauf eindeutig: „Das Alphatier ist der Bundeskanzler.“