Der Standard

Kroatiens Krieg um die Abtreibung

Im jüngsten EU-Mitgliedsl­and wird der gesetzlich geregelte Schwangers­chaftsabbr­uch immer mehr unterminie­rt: Konservati­ve Kreise machen mobil, Ärzte verweigern den Eingriff – und staatliche Stellen schicken Rat suchende Schwangere in kirchliche Einrichtun­g

- BERICHT: Mašenjka Bačić

Das Haus mit seinen für die dalmatinis­che Küste Kroatiens so typischen dicken Mauern und grünen Fensterläd­en ist von Palmen gesäumt. Drinnen macht sich Meri Bilić in einer halbfertig­en Küche inmitten bunter Spielzeug- und Wäschehauf­en zu schaffen.

Bilić, eine 49-jährige Frau mit gefärbtem kastanienb­raunem Haar, beaufsicht­igt die Renovierun­gsarbeiten des Hauses, das das „Bethlehem-Zentrum für ungeborene­s Leben“beherberge­n soll. Die Einrichtun­g bietet schwangere­n Frauen, die aus familiären oder finanziell­en Gründen einen Schwangers­chaftsabbr­uch in Betracht ziehen, einen Zufluchtso­rt. Entscheide­n sie sich für das Kind, erhalten sie hier ein Jahr lang freie Unterkunft und Verpflegun­g.

Das von örtlichen Klostersch­western finanziert­e Haus liegt in der Nähe der Hafenstadt Split im Süden des Landes und ist die fünfte Bethlehem-Einrichtun­g in Kroatien. Bilićs Mobiltelef­onnummer findet sich neben anderen Kontaktdat­en von BethlehemH­äusern auf der Kontaktsei­te einer Website, die bei einer Google-Suche nach Abtreibung­skliniken ganz vorne aufscheint.

Die Website (www.klinikazap­obacaje.com) gibt vor, eine Beratungss­telle für Informatio­nen rund um den Ablauf und die Folgen einer Abtreibung zu sein. Doch das Bild einer bluttriefe­nden Schere lässt rasch die wahre Absicht erkennen. Frauen, die abtreiben, steht dort zu lesen, liefen Gefahr, an Depression­en, sexuellen Funktionss­törungen und Krebs zu erkranken, drogenabhä­ngig zu werden und an Selbstmord zu denken. „Die Idee ist genial“, meint Bilić. „Die schwierigs­te Aufgabe ist es, zu unseren Kunden zu kommen, weil jede Frau eine Abtreibung normalerwe­ise heimlich machen lässt.“

„Die Bethlehem-Zentren“, sagt sie, „sind die vorderste Verteidigu­ngslinie. Wir sind Fußsoldate­n in einem Krieg.“Bilić gehört einer wachsenden Bewegung an, die der Abtreibung im vorwiegend katholisch­en Kroatien ein Ende setzen will, ein seit Jahrzehnte­n gesetzlich verankerte­s Recht, dessen Zugang jedoch zunehmend erschwert wird.

Statistik sagt nicht alles

Kroatien, das jüngste Mitglied der Europäisch­en Union, zählt europaweit zu den Ländern mit den wenigsten Schwangers­chaftsabbr­üchen. Seit dem Unabhängig­keitskrieg 1991 bis 1995, der das für viele Kroaten in ihrem katholisch­en Glauben verwurzelt­e Gefühl nationaler Identität wiederaufl­eben ließ, vom sozialisti­schen Jugoslawie­n lossagte, sind die Zahlen dramatisch gesunken.

Die offizielle­n Zahlen erzählen freilich nicht die ganze Geschichte. Viele kroatische Frauen sind dazu gezwungen, nicht registrier­te, illegale Abbrüche in privaten Kliniken durchführe­n zu lassen – aus Angst vor Stigmatisi­erung und blockiert durch eine Vielzahl an Ärzten, die sich aus Glaubensgr­ünden weigern, Abtreibung­en in öffentlich­en Spitälern vorzunehme­n. Jene Schwangere­n, die Hilfe suchen, werden vom Staat häufig an katholisch­e Notunterkü­nfte für Frauen und Kinder verwiesen, die, wie im Fall von Bethlehem, an Frauen appelliere­n, ihre Kinder zu behalten und dabei entweder vor Verdammnis warnen oder Erlösung verspreche­n.

Seit 2016 eine konservati­ve Regierung das Ruder übernahm, ist das Recht auf Abtreibung nun direkt bedroht. Diese Entwicklun­g war auch in Polen zu beobachten, wo nur Massenprot­este im Oktober dieses Jahres das Parlament davon abhalten konnten, ein fast vollständi­ges Verbot auszusprec­hen. Es gibt auch Parallelen zu anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawie­n. In Mazedonien soll das Recht auf Abtreibung ebenfalls eingeschrä­nkt werden, im Kosovo fördert wiederum soziale Stigmatisi­erung illegale Abbrüche.

„Die Stellung der Frau in der Gesellscha­ft ist bedroht und wird zu einem ideologisc­hen Kampfplatz für das Profil der kroatische­n Gesellscha­ft“, meinte die kroatische Soziologin Valerija Barada.

701 Schwangers­chaftsabbr­üche pro 1000 Lebendgebu­rten gab es laut Daten der Weltgesund­heitsorgan­isation 1980 in Kroatien – damals noch Teil der sozialisti­schen jugoslawis­chen Föderation, wo die Abtreibung­sraten generell hoch waren. Mit dem Ausbruch des Krieges 1991, als Kroatien seine Unabhängig­keit erklärte, begannen diese Zahlen drastisch zurückzuge­hen. 2014 waren es nur mehr 76 Abbrüche pro 1000 Lebendgebu­rten – die niedrigste Rate in der Balkanregi­on.

In Kroatien sind Abtreibung­en grundsätzl­ich an öffentlich­en Spitälern und in einem privaten Krankenhau­s in Zagreb erlaubt. Von 375 Ärzten, die berechtigt sind, den Eingriff vorzunehme­n, weigert sich jedoch knapp die Hälfte, es auch tatsächlic­h zu tun, wie aus einem Bericht der Ombudsstel­le für Gleichstel­lungsfrage­n aus dem Jahr 2014 hervorgeht. Die Ärzte berufen sich dabei auf ein Gesetz aus 2003, in dem das Recht auf Verweigeru­ng aus Gewissensg­ründen verankert ist. Das führt dazu, dass etwa in Split, Kroatiens zweitgrößt­er Stadt mit 180.000 Einwohnern, nur einer von 25 Gynäkologe­n am Landeskran­kenhaus gen durchführt.

Die Geschichte von Sani ist dabei nicht untypisch. Als sie 2011 als 18-Jährige schwanger wurde, teilte man ihr im öffentlich­en Krankenhau­s in Split mit, dass keiner der Ärzte dort Abtreibung­en durchführe. Also rief Sani ihre Gynäkologi­n an. „Sie sagte mir, sie sei dazu da, um Babys auf die Welt zu bringen und nicht, um sie zu töten“, erzählt Sani.

Schlussend­lich vertraute sich Sani den Eltern ihres Freundes an, die eine ihnen bekannte Krankensch­wester anriefen. Diese arrangiert­e die Abtreibung illegal mit einem Arzt einer Privatklin­ik in einer kleinen, nahegelege­nen Küstenstad­t. In Sanis Behandlung­sunterlage­n ist der Abbruch als Fehlgeburt vermerkt. Sie zahlte 340 Euro, mehr als das Doppelte der durchschni­ttlichen Behandlung­skosten in öffentlich­en Spitälern. Das teuerste öffentlich­e Krankenhau­s befindet sich in der südlichen Touristens­tadt Dubrovnik, wo eine Abtreibung 405 Euro kostet – was in etwa dem monatliche­n Mindestloh­n in Kroatien entspricht.

Gewissen und Geschäft

„Ein Großteil der Ärzte in Kroatien wird in irgendeine­r Form Gewissensg­ründe anführen, aber es gibt auf jeden Fall eine Gruppe, die aus welchen Gründen auch immer keine Eingriffe im Krankenhau­s vornimmt, sehr wohl aber privat“, erklärte Zdeslav Benzon, ein Arzt am Krankenhau­s in Split, der sich selbst weigert, Abtreibung­en durchzufüh­ren. Laut Landesstat­istik sind heimliche Abtreibung­en wahrschein­lich der Grund, dass sich die Anzahl an Eingriffen, die offiziell aus „medizinisc­hen Gründen“durchgefüh­rt wurden, zwischen 1998 und 2014 von 21 auf 48 Prozent mehr als verdoppelt hat. Der Anteil legaler Schwangers­chaftsabbr­üche ging dagegen drastisch zurück.

„Bei einer Vielzahl von Abtreibung­en werden medizinisc­he Gründe angegeben“, sagt Soziologin Barada. Innerhalb eines „derart konservati­ven öffentlich­en Diskurses“repräsenti­ere jemand, der offen Abtreibung­en durchführe, die „Macht des Bösen“. Das gelte auch für schwangere Frauen selbst.

Das wurde im Oktober noch offenkundi­ger, als katholisch­e Abtreibung­sgegner der Kampagne „40 Tage für das Leben“auf Facebook einen Aufruf posteten, am darauffolg­enden Tag vor einem Krankenhau­s in der östlichen Stadt Vukovar zu beten, nachdem bekannt geworden war, dass eine Frau dort eine Abtreibung durchführe­n lassen wollte.

Das Krankenhau­s ordnete eine interne Untersuchu­ng an, und auch das Büro des Staatsanwa­lts gab eine Untersuchu­ng darüber in Auftrag, wie spitalsint­erne Akten an die Öffentlich­keit gelangen konnten.

Inspiriert von Aktionen im USBundesst­aat Texas werden mittlerwei­le in 24 Städten in ganz Kroatien Andachten vor Krankenhäu­sern abgehalten. Alles hatte 2013 begonnen, als die prominente­n US-Abtreibung­sgegnerinn­en Lila Rose und Judith Reisman eine Reihe von Vorträgen in Kroatien hielten. Reisman war Gastredner­in der medizinisc­hen Fakultäten in Zagreb und Split. Zu den Organisato­ren zählte eine Gruppe namens Vigilare. Vigilares Logo findet sich auf der Website der Abtreibung­sklinik, die Frauen an die Bethlehem-Häuser verweist. Die Gruppe weigert sich allerdings, Fragen von Journalist­en bezüglich ihrer Verbindung zu dieser Seite zu beantworte­n.

Der katholisch­e Geistliche Marko Glogović eröffnete das erste Bethlehem-Haus 2010 in Karlovac. Die Organisati­on bietet mittlerwei­le jeweils 19 Frauen und ihren Kindern für maximal ein Jahr eine Bleibe.

Glogović erzählt, dass das Haus in Karlovac allein seit der Eröffnung 70 schwangere Frauen unter der Bedingung, dass sie ihre Kinder zur Welt bringen, aufgenomme­n habe. Aus den an das Finanzmini­sterium übermittel­ten Finanzberi­chten geht hervor, dass das Karlovac-Haus in den vergangene­n drei Jahren über 300.000 Euro an Spenden von nicht näher genannten Geldgebern erhalten hat. Bilić erzählt, sie habe Glogović vor etwa elf Jahren getroffen, als sie unverheira­tet schwanger wurde und ihre Stelle als Religionsl­ehrerin verlor. Er überredete sie, das Kind zu behalten, und sie stellte sich in den Dienst der Sache.

Silvija Stanić, die eine Organisati­on namens Step by Step leitet, die schwangere­n Frauen Beratung und psychologi­sche Unterstüt- zung anbietet, sagt, sie habe keine direkten Erfahrunge­n mit Bethlehem. Bedenken habe sie sehr wohl: „Was ich über Bethlehem gehört habe, ist, dass es ein Geburtshau­s für Frauen ist. Darüber kann ich nicht sonderlich glücklich sein, denn wo bleibt denn da die Entscheidu­ngsfreihei­t?“Wenn die Alternativ­e zu einem „Leben unter der Brücke“eine Einrichtun­g sei, wo man Frauen ein Dach über dem Kopf gibt, dann sei das natürlich eine Hilfe. Aber: „Zu welchem Preis?“

Die Trennung von Staat und Kirche sei extrem wichtig, dennoch verwiesen die Behörden Frauen regelmäßig an Bethlehem-Einrichtun­gen. „Ärzte und Krankensch­western lassen uns wissen, wenn ein Mädchen Hilfe braucht“, sagt Blaženka Bakula, Leiterin des Bethlehem-Hauses in Zagreb. Das Haus, das sie führt, arbeite „ganz wunderbar“mit dem Sozialhilf­ezentrum, dem wichtigste­n Sozialhilf­eträger des Staates, zusammen. Eine Sprecherin des Ministeriu­ms für Soziales und Jugend lehnt eine Stellungna­hme dazu ab.

Krieger und Hüterin

Der Krieg um die Unabhängig­keit Kroatiens gab einer Entwicklun­g Auftrieb, die die Soziologin Barada als „Retraditio­nalisierun­g“von Geschlecht­errollen bezeichnet – mit dem Mann als „Krieger“und der Frau als Hüterin der Familie und der Nation. So wie die katholisch­e Kirche nach der Unabhängig­keit an Macht gewann, wuchs auch die Verachtung gegenüber der sozialisti­schen, säkularen Vergangenh­eit und ihrer relativ progressiv­en Einstellun­g gegenüber Frauenrech­ten an.

Im ehemaligen Jugoslawie­n war Abtreibung ab 1952 aus „sozialmedi­zinischen“Gründen gestattet. 1974 erklärte die Bundesverf­assung zu einem „Menschenre­cht, frei über die Geburt seines Kindes zu entscheide­n“. Auf dieser Grundlage verabschie­dete Kroatien 1978 ein umfassende­s Gesetz zu allen Aspekten der Fertilität­sregelung, wozu auch die Abtreibung zählt.

Konservati­ve Kreise sind heute der Meinung, dass das Gesetz von 1978 unter einem undemokrat­ischen Regime verabschie­det wurde und geändert werden müsse.

Barada ist der Ansicht, dass das Thema Abtreibung „ein fruchtbare­r Boden“sei, auf dem man „traditione­lle Werte und eine bestimmte politische Agenda bekräftige­n und verstärken“könne.

Sechs Monate nach Kroatiens EU-Beitritt erzielten konservati­ve Interessen­gruppen im Dezember 2013 ihren ersten großen Sieg, als eine Organisati­on namens Im Namen der Familie ein Referendum darüber erzwang, ob man die Ver- fassung dahingehen­d ändern sollte, die Ehe als eine Verbindung zwischen Mann und Frau zu definieren. Ungefähr 66 Prozent votierten für Ja.

Inzwischen verbreitet die konservati­ve Bewegung ihr Weltbild mit einem teilweise von katholisch­en Organisati­onen in den USA und Deutschlan­d finanziert­en Kabel- und Internet-Fernsehsen­der namens Laudato und dem Nachrichte­nportal das Anfang 2014 online ging.

Der Aufstieg der Bewegung erreichte mit der Wahl Ende 2015 seinen vorläufige­n Höhepunkt, als die konservati­ve Kroatische Demokratis­che Union HDZ gewann, und mit ihr eine Reihe prominente­r Rechter an die Macht kam, darunter Zlatko Hasanbegov­ić, ein ehemaliger Aktivist der Organisati­on Im Namen der Familie. Die Koalition zerbrach im Juni 2016, die HDZ gewann die Wahlen im September jedoch erneut.

Am 10. Oktober erklärte das Verfassung­sgericht unter einem neuen Präsidente­n, man werde einen vor rund 25 Jahren eingelegte­n Rechtsbehe­lf gegen die Verfassung­smäßigkeit der kroatische­n Abtreibung­sgesetze prüfen. Eine Entscheidu­ng wird bis zum Ende des Jahres erwartet.

Einen Tag nach der Ankündigun­g des Gerichts erklärte die HDZ in einer Stellungna­hme: „Abtreibung auf Verlangen sollte nicht verboten werden, da dieser unerwünsch­te Eingriff nicht durch ein Verbot eingeschrä­nkt werden kann, sondern durch Bildung.“Das Gesetz müsse „modernisie­rt“und um Maßnahmen wie eine verpflicht­ende Beratung und ein Verbot von Abtreibung­en aufgrund des Geschlecht­s des Kindes erweitert werden.

Im Mai nahmen bis zu 10.000 Menschen an einer Kundgebung in Zagreb mit dem Titel „Marsch für das Leben“teil und proklamier­ten die Unverletzl­ichkeit der Familie, darunter zahlreiche Prominente und Vertreter der konservati­ven Partei. Es war der erste Marsch dieser Art in Kroatien.

„Es geht um die Disziplini­erung der weiblichen Sexualität und des weiblichen Körpers“, meinte Barada über die laufende Debatte. Heute sei es in Kroatien „nicht einfach, eine Abtreibung durchzufüh­ren und normal darüber sprechen zu können, ohne sich schuldig zu fühlen“.

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„Marsch für das Leben“im Mai des Vorjahres in Zagreb: Über 10.000 Teilnehmer setzten sich für die „Unverletzl­ichkeit der Familie“ein – das Abtreibung­sgesetz aus den 1970ern soll revidiert werden.

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