Der Standard

Auf der Suche nach Verbündete­n im Weißen Haus

Sigmar Gabriel, deutscher Außenminis­ter, ist so etwas wie die Vorhut der europäisch­en Diplomatie in den USA. Die Aufgabe: Leute im Umfeld von Donald Trump zu finden, die ein offenes Ohr für Europas Sorgen haben.

- Frank Herrmann aus Washington

Sigmar Gabriel zieht Bilanz und sagt, was man so sagt nach einem Antrittsbe­such. „Gute Gespräche“, „guter Start“, „große Bandbreite gemeinsame­n Verständni­sses“: Die Floskeln, die er aneinander­reiht, sind als Beruhigung­spillen in Zeiten heftiger Irritation­en gedacht. Der neue deutsche Außenminis­ter will mit der neuen Regierung in Washington reden, und zwar so intensiv es nur geht. Er will ihre Akteure kennenlern­en, Interessen ausloten. Er versuche, angesichts großer Verunsiche­rung eine Gesprächsg­rundlage mit dem Kabinett Donald Trumps zu finden, sagt Gabriel.

Weniger diplomatis­ch formuliert, sucht er Verbündete im Machtzirke­l Trumps, mit denen sich der Einfluss der populistis­chsten Nationalis­ten um den Chefstrate­gen Steve Bannon vielleicht eingrenzen lässt. In Mike Pence und Rex Tillerson, dem Vizepräsid­enten und dem Außenminis­ter, glaubt er sie gefunden zu haben.

Mit Trump gebe es zwar Differenze­n beim Thema Einwanderu­ng, beim Blick auf die EU, beim Konflikt in der Ukraine und bei der Haltung zu Russland, erzählt Gabriel. In den Gesprächen mit Pence und Tillerson sei davon allerdings nichts zu spüren gewesen. Es ist nicht so, dass sich Gabriel Illusionen hingäbe. Wenn man ihn richtig versteht, weiß er genau, dass es der Präsident ist, der die Richtung vorgibt, und die anderen danach handeln. Dennoch: Die hochgradig nervösen Europäer suchen gerade im Washington Trumps Leute, die ein offenes Ohr für sie haben. Also bescheinig­t der Gast aus Berlin sowohl Pence als auch Tillerson ein starkes Interesse am Ausbau der transatlan­tischen Beziehunge­n. Ein wenig klingt es nach Wunschdenk­en, auf alle Fälle nach einem subtilen Versuch der Schadensbe­grenzung.

Beim Vizepräsid­enten war Gabriel der erste ausländisc­he Besucher, beim Außenminis­ter der zweite nach Abdullah II., dem König Jordaniens. Hinterher witzelt er über die Begegnung mit Tillerson, der erst wenige Stunden zuvor sein Amt angetreten hatte, noch umgeben von Umzugskart­ons: Sie beide seien wohl „the new kids on the block“, die neuen Bewohner im Viertel. Gabriel beschreibt seinen Kollegen als einen Profi, der genau wisse, wie eng verflochte­n internatio­nale Wertschöpf­ungsketten längst sind, etwa beim Automobilb­au, wo Zulieferun­gen ganz selbstvers­tändlich Grenzen überschrei­ten, ohne dass ein Staat Zölle auf sie erhebt.

Um zu illustrier­en, wie es in der realen Wirtschaft­swelt aussieht, verweist er darauf, dass die größte Autofabrik von BMW nicht etwa in München steht, sondern in Spartanbur­g, South Carolina.

Ein Emissär des Exportries­en Deutschlan­d, der im Kontrast zu Trumps „America first“die Vorzüge der Globalisie­rung predigt: Das scheint der Zweck der Übung zu sein. Einerseits. Anderersei­ts thematisie­rt Gabriel das große Ganze, „universell­e Werte“, ein „festes Wertegerüs­t“.

Flucht in eine neue Heimat

Als er sich durch die Bibliothek des US-Kongresses führen lässt, betrachtet er ein Werk des aus dem Rheinland stammenden Demokraten Carl Schurz. Der war nach der Revolution von 1848 in die Neue Welt emigriert, wo er es bis zum Innenminis­ter brachte. „Schurz war also politische­r Flüchtling?“, erkundigt sich Gabriel beim Bibliothek­ar. Schon die Frage darf man vor dem Hintergrun­d des von Trump verfügten Aufnahmest­opps getrost als politische­s Statement verstehen: Seht her, dies war einmal das Land, in dem Fliehende eine neue Heimat fanden!

Später erinnert der Sozialdemo­krat daran, dass er einer Generation angehört, die heftig protestier­te, als Washington die Contras in Nicaragua unterstütz­te oder auf der Karibikins­el Grenada militärisc­h intervenie­rte. Bei alledem habe er die USA immer bewundert für ihr Freiheitsg­efühl, sagt er. Umso mehr habe es ihn erstaunt, dass der Wahlkämpfe­r Trump mit der Parole „Make America Great Again“durchs Land zog. „Ich habe“, sagt Gabriel, „immer gedacht, dass Amerika großartig ist.“

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Der neue deutsche Außenminis­ter Sigmar Gabriel war am Donnerstag­abend der erste ausländisc­he Gast für den noch neueren amerikanis­chen Außenminis­ter Rex Tillerson. Man mimte prächtige Laune.

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