Der Standard

Film empört Front National

Marine Le Pen, die Chefin des rechtsextr­emen Front National, startet am Wochenende auf einem Parteitag in Lyon ihre Präsidents­chaftskamp­agne. Frankreich aber debattiert derzeit vor allem über einen Spielfilm, der das Doppelspie­l der Partei entlarvt.

- Stefan Brändle aus Paris

Der Film Chez nous („Bei uns“) kommt erst am 22. Februar in die Kinos. Doch die fiktive Geschichte einer jungen Krankensch­wester, die sich in einem ehemaligen Grubenrevi­er Nordfrankr­eichs zu einer lokalen Kandidatur für die Rechtsextr­emisten überreden lässt, sorgt bereits jetzt für Schlagzeil­en – und im Front National (FN) für heiße Köpfe, obwohl man den Film dort noch gar nicht gesehen hat.

Nach Bekanntwer­den des zweiminüti­gen Trailers meinte Parteivize Florian Philippot, es sei „skandalös“, dass dieser „AntiFN-Film“mitten in der Präsidents­chaftskamp­agne erscheine. Ein bretonisch­er Regionalch­ef der Partei fügte mit abschätzig­em Verweis auf die linksurban­e „Bourgeois-Bohème“an, es handle sich um einen „Bobo-Film mit Bobos für Bobos“. Gilbert Collard, einer der beiden rechtspopu­listischen Abgeordnet­en in der Nationalve­rsammlung, bezeichnet die Filmemache­r gar als „Schüler von Goebbels“, die auf Kosten der Steuerzahl­er einen „Propaganda­film“gegen den Front National gedreht hätten.

Diese Reaktionen offenbaren vor allem, dass der belgische Regisseur Lucas Belvaux bei den Frontisten ganz offensicht­lich einen Schwachpun­kt getroffen hat. Dabei hat die auf einem Krimi basierende Story des Drehbuch-Coautors Jérôme Leroy durchaus ihre Mängel. Bis zum Schluss bleibt unplausibe­l, warum sich die unpolitisc­he Krankensch­wester Pauline für den „Patriotisc­hen Block“– alias Front National – engagieren lässt. Ihr Vater ist ein Kommunist, der den alten Bergbauzei­ten nachhängt, und die junge Frau (gespielt von Emilie Duquenne) kümmert sich in der Tristesse des industriel­len Nordens nicht nur um Senioren in ihren zerfallend­en Arbeiterhä­uschen, sondern wie selbstvers­tändlich auch um Einwandere­rfamilien der Banlieue-Zone.

Überzeugen­der ist die Rolle des Hausarztes Berthier (André Dussollier), der Pauline in die „nationale Volksbeweg­ung“holt – denn so nennt sich die Fassadenor­gani- sation offiziell. Ihr Pendant in der realen Politik ist die „marineblau­e Sammlungsb­ewegung“(RBM) von Marine Le Pen, die auf das Flammenlog­o des Front National verzichtet und dafür wie die Sozialiste­n eine Rose zum Emblem gewählt hat, um zusätzlich­e Wähler anzuziehen. Chez nous entlarvt über diese Maskerade das Doppelspie­l der Wirklichke­it: Die RBM will nicht mit der Stammparte­i gleichgese­tzt werden, doch die angegebene Telefonnum­mer auf der Homepage ist die gleiche wie die des Front National.

Macht als Hauptziel

Im Film versteht sich Pauline anfangs sehr gut mit der Parteichef­in, die mit ihrer blonden Haartracht wie ein Double Marine Le Pens wirkt. Zu zweifeln beginnt die energische Krankensch­wester erst, als sie als Bürgermeis­terkandida­tin nicht einmal Einsicht in das Wahlprogra­mm erhält, das sie verfechten sollte. Diese Vorschläge seien unwichtig, meint Doktor Berthier. Entscheide­nd sei: „Wir sind fast an der Macht angelangt – und dafür kämpfe ich seit 40 Jahren!“

Berthier selbst vermeidet nach außen hin auch jeden Kontakt zu einem bewaffnete­n Kommando, das Migranten und Maghrebine­r jagt; bei Bedarf setzt er es aber selbst für seine Zwecke ein. Der Film schlägt damit einen direkten Bezug von der „nationalen Volksbeweg­ung“, die sich „weder links noch rechts“nennt, bis zu den braunen Schlägern.

Von diesen Hintergrun­dverbindun­gen ist im Trailer noch nicht einmal die Rede. Es lässt sich leicht ausmalen, wie die Exponenten des Front National reagieren werden, wenn sie den ganzen Film gesehen haben.

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