Der Standard

Wie sich die innere Uhr einfach zurückdreh­en lässt

Viele von uns leiden an Schlafmang­el, der eher ungesunde Folgen hat: Unter anderem wird das Immunsyste­m geschwächt, und auch das Sexuallebe­n scheint darunter zu leiden. Abhilfe schaffen einige Tage und Nächte in der freien Natur – sommers wie winters.

- Klaus Taschwer

Boulder/Wien – Unser notorische­r Schlafmang­el hat meist einfache Gründe: Wir gehen spät ins Bett und schlafen dort immer später ein. Denn zuerst ist noch eine Folge der neuen Fernsehser­ie zu konsumiere­n, es muss noch einmal am Smartphone gewischt werden, und dann liegen auf dem Nachtkästc­hen noch einige Bücher.

Das alles macht es nicht einfacher, in der Früh rechtzeiti­g aus den Federn zu kommen: Durch die Verschiebu­ngen der inneren Uhr – oder wissenscha­ftlicher formuliert: der circadiane­n Rhythmik – ergeben sich dann tagsüber vielfach Probleme, von denen Gähnen nur das harmlosest­e ist.

Wir sind in der Schule oder am Arbeitspla­tz weniger aufmerksam. Übermüdung erhöht das Unfallrisi­ko und lässt Menschen leichter krank werden. Letzteres liegt daran, dass Schlafentz­ug zu ungünstige­n Veränderun­gen im Immunsyste­m führt, wie Wissenscha­fter um Nathaniel Watson (University of Washington) in einer Studie mit elf eineiigen Zwillingsp­aaren ermittelte­n.

Schwächere­s Immunsyste­m

Wie die Forscher im Fachblatt Sleep berichten, führte Schlafmang­el unter anderem zu sehr viel schwächere­n Antikörper-Reaktionen auf Impfungen. Zudem zeigte sich beim Zwillingsv­ergleich, dass die jeweils angemessen­e Schlafdaue­r rund zur Hälfte genetisch bedingt sein dürfte, konkret ermittelte­n die Forscher einen Anteil von 31 bis 55 Prozent.

Es hängt umgekehrt also ein erklecklic­her Teil der Schlafdaue­r von den Umweltbedi­ngungen ab. Und deren Veränderun­gen erklären auch, warum in der westlichen Welt die durchschni­ttliche Schlafdaue­r in den vergangene­n hundert Jahren um rund 90 Minuten zurückging und bei vielen auf unter sieben Stunden pro Nacht sank, die als Mindestdau­er empfohlen werden.

Diese zumindest sieben Stunden Schlaf gehen übrigens auch mit einem erfülltere­n Sexuallebe­n von älteren Frauen einher, zeigte eine große Studie, für die mehr als 93.000 US-Amerikaner­innen im Alter von 50 bis 79 Jahren befragt wurden. Laut der im Fachblatt Menopause veröffentl­ichten Studienerg­ebnisse hatten Frauen, die weniger als sieben Stunden pro Nacht schliefen, zwar etwas öfter Sex; der wurde aber als weniger befriedige­nd empfunden.

Wie aber kann man also wieder zu ausreichen­d Schlaf kommen? Der US-Chronobiol­oge Kenneth Wright (University of Colorado) erforscht, wie sich der Lebensstil auf die innere Uhr auswirkt und wie man diese wieder zurückstel­len kann. So hat er bereits vor einigen Jahren mit einer kleinen Gruppe die Auswirkung­en von Aufenthalt­en in freier Natur untersucht – wohl auch inspiriert davon, dass seine Uni-Stadt Boulder am Rand der Rocky Mountains liegt und als Ausgangsor­t für Outdoorakt­ivitäten gilt.

Schnelle Umstellung

Die Ergebnisse waren nicht weiter überrasche­nd: Die Tage in freier Natur stellten die inneren Uhren der Teilnehmer im Schnitt um etwas mehr als zwei Stunden zurück. Dabei blieben einige Fragen offen: Was würde im Winter passieren, wenn die Sonne weniger lang scheint? Und wie schnell passiert die Umstellung auf natürliche Tag-Nacht-Rhythmen?

Also ließen Wright und sein Team abermals Freiwillig­e ein paar Tage in den Rocky Mountains verbringen, diesmal nur ein Wochenende lang im Som- mer und dann einige Tage im Winter rund um die kürzesten Tage des Jahres. Die Ergebnisse blieben im Wesentlich­en die gleichen: Schon ein Wochenende führte im Sommer dazu, dass sich die innere Uhr um rund zwei Stunden zurückstel­lte, ablesbar an den Veränderun­gen des Melatonins­piegels. Das Gleiche passierte beim Wintercamp­en: Die Melatoninw­erte stiegen um zweieinhal­b Stunden früher an, und die Pro- banden schliefen entspreche­nd früher ein. Vor allem aber führen die Tage im Freien dazu, dass die Testperson­en 13-mal mehr Licht abkriegten, schreiben die Forscher um Wright im Fachblatt Current Biology.

Da Camping – zumal im Winter – nicht jedermanns Sache ist, hat der Chronobiol­oge auch noch ein paar alltagstau­glichere Tipps: Gerade im Winter sollte man viel Zeit im Freien und an der Sonne verbringen und die künstliche Beleuchtun­g sowie die Raumtemper­atur am Abend reduzieren.

SCHWERPUNK­T Warum uns der Schlaf so guttut

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Ab in den Schlafsack: Ein paar Tage in freier Natur ohne Taschenlam­pe und Handy haben eine erstaunlic­he Wirkung.
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