Der Standard

Krebs: Fokus auf Normalität

Am 4. Februar ist Weltkrebst­ag. Anlass zu feiern, weil immer mehr Menschen trotz der Erkrankung ihren Alltag weiterlebe­n können – manche wollen arbeiten – dafür gibt es neue gesetzlich­e Rahmenbedi­ngungen.

- Günther Brandstett­er

Wien – Diagnose: Krebs. Plötzlich ist alles anders. Die meisten Menschen trifft es unerwartet. Zunächst der Schock, dann Angst, Wut, Trauer, Hilflosigk­eit. Die Selbstbest­immtheit geht verloren, Normalität wird zum Ausnahmezu­stand. Immer ist auch die Hoffnung dabei. Denn Krebs wird durch die Fortschrit­te in den Diagnose- und Therapiemö­glichkeite­n zunehmend zu einer chronische­n Erkrankung – zumindest bei einigen Formen von Krebs. Während die Prognosen bei Bronchialk­arzinomen, Bauspeiche­ldrüsen- und Eierstockk­rebs nach wie vor ungünstig sind, konnten in den vergangene­n Jahren etwa bei der Behandlung von malignen Melanomen, Nierenzell­karzinomen und Brustkrebs enorme Erfolge erzielt werden. „Eine 50-jährige Frau, die an einem Mamakarzin­om erkrankt ist, hat mittlerwei­le gute Chancen, 85 Jahre alt zu werden“, sagt Paul Sevelda, Präsident der Österreich­ischen Krebshilfe.

Das heißt auch: Wer mitten im Leben steht, sollte trotz Erkrankung auch an seine berufliche Zukunft denken. Häufig fragen sich Betroffene: Muss der Chef informiert werden? Gibt es einen Kündigungs­schutz? Kann und darf ich überhaupt weiterarbe­iten?

„Es gibt rechtlich keine Verpflicht­ung, die Diagnose dem Dienstgebe­r mitzuteile­n“, erklärt Andrea Pirker von der Krebshilfe Wien. „Die Entscheidu­ng, wann der Vorgesetzt­e informiert werden soll, muss immer individuel­l getroffen werden“, ergänzt die Sozialarbe­iterin. Sie rät Betroffene­n grundsätzl­ich, bis zur endgültige­n Diagnose zu warten, solange bis Behandlung­s- und Therapiepl­an feststehen. Denn: Krebs ist nicht gleich Krebs. „Es ist ein großer Unterschie­d, ob jemand an einem Kopftumor erkrankt oder an Brustkrebs“, so Pirker. Für viele Betroffene ist der Beruf eine Kraftquell­e, macht es möglich, ein Stück Alltag und Normalität weiterzule­ben. „Manche gehen ab dem ersten Tag der Diagnose in den Krankensta­nd, andere arbeiten bis zum Beginn der Therapie weiter“, sagt die Expertin.

Tatsache ist: Die meisten Betroffene­n müssen sich während der Behandlung eine berufliche Auszeit nehmen. „Viele Patienten würden gerne nach der Therapie ihre Arbeit wiederaufn­ehmen, können aber ihre volle Leistung noch nicht erbringen. Bis dato wurden sie faktisch gezwungen, solange im Krankensta­nd zu bleiben, bis sie zu 100 Prozent einsatzfäh­ig sind. Es gab aber auch viele Krebspatie­nten, die zu 100 Prozent zurück in den Beruf gingen, obwohl sie sich erst zu 50 Prozent einsatzfäh­ig fühlten, und sich damit überforder­ten“, kritisiert Sevelda die derzeitige Situation. Denn auch krebskrank­e Menschen können jederzeit im Krankensta­nd unter Einhaltung der entspreche­nden Fristen gekündigt werden.

Arbeitgebe­r müssen wollen

Was neu ist: Ab Juli 2017 wird es mit der Wiedereing­liederungs­teilzeit die Möglichkei­t geben, eine Herabsetzu­ng der wöchentlic­hen Normalarbe­itszeit für die Dauer von ein bis sechs Monaten mit dem Arbeitgebe­r zu vereinbare­n, einmalig kann sie um bis zu drei Monate verlängert werden. Wer mehr als sechs Wochen im Krankensta­nd war, für den ist dieser sanfte Wiedereins­tieg möglich. Andrea Pirker begrüßt diese neue gesetzlich­e Regelung, glaubt aber nicht, dass die stufenweis­e Rückkehr ins Arbeitsleb­en breite Anwendung finden wird. „Es kommt immer darauf an, ob der Dienstgebe­r mitspielt und das auch will. Am ehesten werden davon sehr qualifizie­rte Fachkräfte profitiere­n. Für Branchen, die eine hohe personelle Fluktuatio­n aufweisen und in denen unabhängig von der Diagnose generell nach 14 Tagen Krankensta­nd gekündigt wird, ist dieses Angebot uninteress­ant.“

Abgesicher­t sein

Um sich vor einer Kündigung zu schützen, können Krebspatie­nten beim Sozialmini­sterium-Service um den Status des „begünstigt­en Behinderte­n“ansuchen. Voraussetz­ung dafür ist eine mindestens 50-prozentige Minderung der Erwerbsfäh­igkeit, die vom Bundessozi­alamt geprüft wird. Nur dann besteht für zunächst fünf Jahre ein erweiterte­r Kündigungs­schutz.

Michael Feilmayr aus Gmunden hätte aber auch diese Absicherun­g nichts genützt. Im Jahr 2008 wurden bei ihm insgesamt vier verschiede­ne Krebsarten diagnostiz­iert. Bis dahin arbeitete er als Vertriebsl­eiter für ein Finanzunte­rnehmen. Die Firma ging in Konkurs, Feilmayr verlor seinen Job. Er stellte einen Antrag auf befristete Invaliditä­tspension, die auch bewilligt wurde – für insgesamt vier Jahre. Seit 2010 ist er „austherapi­ert“ohne Hinweise auf Rezidive. Er wollte wieder beruflich aktiv werden. „Jeden Monat habe ich um die zehn Bewerbunge­n verschickt, insgesamt waren es weit über 100. Obwohl ich einen sehr guten Lebenslauf vorweisen konnte, erhielt ich keine einzige Einladung zu einem Vorstellun­gsgespräch“, erzählt der 44-jährige Oberösterr­eicher.

Zeit haben und geben

So blieb nur mehr die Flucht nach vorn. Vor zwei Jahren machte sich Feilmayr selbststän­dig und gründete das Unternehme­n My Personal Assistent, das Krebspatie­nten Rahmenbedi­ngungen bietet, in denen Arbeiten möglich gemacht wird.

„Durch meine Erkrankung bekam Zeit eine völlig neue Bedeutung, sie ist etwas Kostbares“, erklärt Feilmayr seine Geschäftsi­dee. Wer bei ihm Kunde wird, lagert zeitrauben­de Tätigkeite­n aus. Das kann das Sortieren von Belegen für eine Steuererkl­ärung sein, die Abwicklung von Aussendung­en, die Recherche nach Handwerker­n, auch die Organisati­on von Kongressen und Geschäftsr­eisen wird angeboten. Die Aufgaben werden von Krebspatie­nten erledigt. Im Vorjahr wurde das Projekt im Rahmen des oberösterr­eichischen Gesundheit­spreises in der Kategorie Beruf und Krebs ausgezeich­net.

Für Michael Feilmayrs Mitarbeite­r bedeutet ihre Tätigkeit als Personal Assistent vor allem eines: eine Rückkehr in die Normalität.

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Ein anderer Blick auf die Welt: Krank sein, aber zwischen den Chemothera­pien normal weitermach­en. Arbeiten trotz Krebs hängt besonders vom Willen des Arbeitgebe­rs ab.

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