Der Standard

Keine Scheu vor großen Gefühlen

Am Donnerstag hatte im Wiener Odeon „Das Rauschen der Flügel“, erster Teil der Trilogie „Fidèles d’amour“, umjubelte Premiere. Erwin Piplits und sein Ensemble suchen nach universell­er Liebe.

- Andrea Schurian

Wien – Woher kommen wir, wohin gehen wir – und welche Abzweigung­en nehmen wir in diesem Kreislauf, der da „Leben“heißt und dessen Ende, wie einmal festgestel­lt wird, wir nicht sehen können? Sind wir mutig genug, um auf unsere innere Stimme zu hören? Erkennen wir die Liebe, wenn sie uns begegnet? Es sind existenzie­lle Fragen, denen sich Erwin Piplits, der poetische Philosoph unter den Wiener Theatermac­hern, mit seiner Trilogie Fidèles d’amour im Wiener Odeon widmet.

Teil eins, Das Rauschen der Flügel, erzählt von einem jungen Mann, der in die Welt hinaus irrt, auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Um Aufklärung geht es, um Erkenntnis, das Geheimnis des Kosmos, um Spirituali­tät, universell­e Liebe. Und um Herzensbil­dung. Der Titel bezieht sich auf die aus reinem Licht bestehende­n Flügel des Engels Gabriel. Deren Rauschen erzählt von nichts Geringerem als der Schöpfung.

Nein, Piplits scheut sich nicht vor monumental­en Gesten, großen Gefühlen und ebensolche­n Worten. Das zeigt auch diese formvollen­det anmutige, von weiser Melancholi­e gefärbte und in jeder Hinsicht bewegte und bewegende Aufführung wieder. In der übrigens viel gesprochen und gesungen wird – ungewöhnli­ch für die Serapionte­n.

Vertraut Piplits der Wirkmacht seiner Bildwelten nicht mehr? Doch. Aber er misstraut gleichzeit­ig nicht mehr dem gesprochen­en Wort. Gut so.

Gemeinsam mit seinen Co-Regisseure­n Mario Mattiazzo und Ivana Rauchmann dirigiert Piplits das internatio­nale Ensemble durch ein Licht- und Schattenre­ich der Versuchung­en und Verirrunge­n, kein geradlinig­er Weg führt durch die staunenmac­hende Serapionsw­elt. Max Kaufmann hat mit seinem Team betörende Bühnenräum­e und -bilder gezimmert, gemalt, videoanimi­ert. (Kein Wunder dass ihn unlängst die Mailänder Scala für ein Bühnenbild engagierte.) Der Großteil der stimmigen Musik wurde von Hans Wagner eigens komponiert.

Das Rauschen der Flügel ist – auch – ein Spiel im Spiel. Während sich der Zuschauerr­aum füllt, macht das Ensemble im grellen Saallicht letzte Aufwärm- und Dehnübunge­n, Regisseur Piplits lehnt an einer Säule am Bühnenrand. Probenchao­s bricht aus. Einer sucht das Kabel für den Scheinwerf­er; Leitern, Feuerlösch­er, Stoffballe­n werden von hier nach da geschleift.

West trifft Ost

Schließlic­h nimmt Piplits die Sache selbst in die Hand. Dreht den Scheinwerf­er an. Kurzschlus­s. Funkenrege­n. Dunkelheit. Verunsiche­rung im Publikum. Echt jetzt? Lichtausfa­ll? Der absurd-heitere Dialog im Dunklen, vielleicht sogar ein Zwiegesprä­ch von Piplits mit sich selbst (so genau weiß man das nicht, weil finster) ist vom Allerfeins­ten. Hörst mi? Ja eh.

Plötzlich ergießt sich Licht auf eine orientalis­che Szenerie. Menschen in prächtigen Kostümen – sie alle stammen aus dem Fundus der unvergessl­ichen Ulrike Kaufmann (1953–2014) – reden, singen, ringen. Der junge Mann im Straßenanz­ug stößt dazu. West trifft Ost: Kulturscho­ck? Kulissenwä­nde öffnen sich, geben den Blick frei auf ein Kaffeehaus. Von hier wird der Jüngling schließlic­h aufbrechen, wird seinen Herzensmen­schen zurücklass­en und später auf sein älteres und geläuterte­s Alter Ego treffen.

Die Trilogie (Teil zwei – Die rote Intelligen­z – hat am 5. 5., Teil drei – Das Exil im Westen – am 12. 12. Premiere) basiert auf Erzählunge­n des persischen Dichters, Philosophe­n und Mystikers Suhrawardi (1153–1191), angereiche­rt mit Schriften des islamische­n Mystikers Dschalal ad-Din ar-Rumi (1207–1273), Goethe-Märchen sowie Texten aus dem Gilgamesch­Epos und dem Corpus Hermeticum. Diese Sammlung griechisch­er Traktate aus 300 bis 100 v. Chr. handelt von der Entstehung der Welt, der Gestalt des Kosmos und menschlich­er sowie göttlicher Weisheit.

„Erzählst du mir die Geschichte vom Rauschen der Flügel Gabriels?“, fragt der Suchende. Antwort seines Alter Egos: „Wisse!“

Licht aus. Standing Ovations. Fortsetzun­g folgt am 5. Mai. pwww. odeon.at

 ??  ?? „Das Rauschen der Flügel“ist bewegend in jedem Sinn des Wortes, voller Anmut und von weiser Melancholi­e gefärbt. Die prächtigen Kostüme stammen aus den Beständen von Ulrike Kaufmann (1953–2014), das grandiose Bühnenbild von Max Kaufmann und seinem Team.
„Das Rauschen der Flügel“ist bewegend in jedem Sinn des Wortes, voller Anmut und von weiser Melancholi­e gefärbt. Die prächtigen Kostüme stammen aus den Beständen von Ulrike Kaufmann (1953–2014), das grandiose Bühnenbild von Max Kaufmann und seinem Team.

Newspapers in German

Newspapers from Austria