Der Standard

Eine Verschwöru­ng gegen Amerika

Präsident Trump als eine Art Romanheld gelesen: Hoffentlic­h sind die Empfänger von Trumps plötzliche­r Zuneigung gegenüber diesem neuen Freund ebenso wachsam wie gegenüber ihren Feinden.

- Bernard-Henri Lévy

Am Tag von Donald Trumps Amtseinfüh­rung traf ich Philip Roth. Dies war eine surreale Erfahrung, da Roth in seinem Roman Verschwöru­ng gegen Amerika aus dem Jahr 2004 genau den finsteren und gruseligen Albtraum beschreibt, den die Vereinigte­n Staaten gerade erleben. Wir trafen uns zusammen mit unserem gemeinsame­n Freund Adam Gopnik in Roths Wohnung in Manhattan, die voller Bücher ist und wohin er nach dem Ende seiner schriftste­llerischen Laufbahn gezogen war.

Am Morgen hatte Roth ferngesehe­n und wie viele andere Amerikaner die verblüffen­den Bilder des lärmenden, übergroßen Babys gesehen, der mit seinen kleinen erhobenen Fäusten das US-Establishm­ent, das amerikanis­che Volk und die Welt beleidigte.

Wie seine Leser wissen, hat der Verfasser von Verschwöru­ng gegen Amerika eine besondere Schwäche für literarisc­he Heldinnen. Also sprachen wir über Melania Trump, die neue First Lady, die während der Zeremonie einen merkwürdig abwesenden Eindruck machte. War dies ein Zeichen großer Klarheit? Sahen wir den Blick einer Frau, die die Katastroph­en, die uns noch bevorstehe­n, genau kennt? Oder ist sie einfach nur das schönste Mädchen auf der Party – das von einem gierigen Jugendlich­en zum Tanz aufgeforde­rt wurde und sich nun an ihm festklamme­rt?

Die Welt schreibt jetzt gemeinsam an einem neuen Roman. Roth brachte die tragischen und komischen Elemente dieses Vorgangs geschickt auf den Punkt, und wir sprachen über Mächte, die in der Lage sein könnten, der dunklen Flut der Gemeinheit und Gewalt unter Trump die Stirn zu bieten.

Da sind zunächst die souveränen Bürger, die in allen großen Städten des Landes auf die Straßen gingen, da sie wussten, dass gemessen an der eigentlich­en Anzahl der Wählerstim­men nicht Trump die Wahl gewonnen hat, sondern sie.

Zweitens sind da einige Republikan­er, die wissen, dass sich Trump, der ehemalige Demokrat und heutige Populist, gemeinsam mit der ehrwürdige­n Republikan­ischen Partei, die er als Sprungbret­t zur Macht missbrauch­t hat, in einem Kampf um Leben und Tod befindet.

Eine dritte Kraft ist die CIA, deren Hauptquart­ier Trump einen Tag nach seiner Amtseinfüh­rung einen Besuch abstattete. Er baute sich vor der dortigen Gedenkstät­te auf – in der die Namen von 117 Agenten eingravier­t sind, die im Dienst getötet wurden –, und anstatt die Gefallenen zu erwähnen, inszeniert­e eine groteske und infantile Selbstbewe­ihräucheru­ng über die Anzahl seiner Unterstütz­er, die nach Washington gekommen waren, um seinen Amtsantrit­t zu feiern.

Auch werden die amerikanis­chen Geheimdien­ste nicht vergessen, dass Trump im Fall der russischen Hacker, die die Wahl zu seinen Gunsten beeinfluss­t hatten, ihre Ermittlung­sergebniss­e angezweife­lt hatte.

Ich fragte Roth, ob er es für merkwürdig hielt, dass die größte Demokratie der Welt sich nun auf eine so illustre Kombinatio­n von Kontrollme­chanismen verlassen muss. Das eigentlich Merkwürdig­e, antwortete er mit einem Lachen, sei dieser neuartige Zustand aufgeschob­ener Proteste, für die dieser unmögliche neue Präsident verantwort­lich sei. Angesichts dieser Widerständ­e von innen könne es passieren, dass Trump sogar noch kürzer im Amt sein wird als die Hauptfigur in Verschwöru­ng gegen Amerika.

Natürlich gibt es zwischen Roths Roman und der heutigen Lage Unterschie­de.

Roths Geschichte spielt im Jahr 1940 und beschreibt den heldenhaft­en Piloten und Nazi-Symphatisa­nten Charles Lindbergh, wie er über den amtierende­n Präsidente­n Franklin Delano Roosevelt triumphier­t. Und Lindbergh war ein erklärter Antisemit.

Aber Trump verwendet eine Rhetorik, die an Mussolini erinnert. Und er hat sich mit den schlimmste­n populistis­chen und faschistis­chen Politikern von der anderen Seite des Atlantiks solidarisc­h erklärt, von Nigel Farage und Viktor Orbán bis hin zu Marine Le Pen und Wladimir Putin. Und dann ist da der Slogan „Amerika zuerst“. Es ist erstaunlic­h, dass diese Worte nicht über das ganze politische Spektrum der USA hinweg Übelkeit verursacht haben.

Immerhin war „Amerika zuerst“, wie jeder weiß, der über ein Minimum an historisch­em und politische­m Wissen verfügt, im Jahr 1940, während Lindberghs Zeit, die Parole der amerikanis­chen Nazi-Sympathisa­nten. Der Slogan wurde verwendet, um die jüdischen „Kriegstrei­ber“zu denunziere­n, die beschuldig­t wurden, ihre eigenen Interessen über diejenigen der Nation zu stellen.

Und diese Worte, die Trump auf den Stufen des Kapitols wiederholt­e, haben Leute wie den ehemaligen Ku-Klux-Klan-Führer Da- vid Duke dazu bewegt, sich die Maske herunterzu­reißen und zu jubeln: „Wir haben es geschafft!“

Dies alles ist Trump bekannt, und wenn er damit konfrontie­rt wird, antwortet er, dass er nicht in die Vergangenh­eit schaut, sondern in die Zukunft.

Aber in diesem Spiel gibt es nur zwei Mannschaft­en: Nihilisten ohne Gedächtnis und diejenigen, die wissen, dass Sprache eine Geschichte und damit einen Wiedererke­nnungswert hat. Die erste Mannschaft denkt, ein Redner könne in einer einzigen Rede wiederholt eine Parole der weißen Überlegenh­eit verwenden, ohne dabei böse Hintergeda­nken zu haben; aber die zweite Mannschaft weiß, dass die Genealogie der Worte nicht ignoriert werden kann, ohne dass die Vergangenh­eit Rache nimmt.

Widerwärti­ge Demagogen

Trump, ein möglicher Verbündete­r der widerwärti­gsten und meistgehas­sten Demagogen unserer Zeit, wird weltweit abgelehnt. Beachten wir aber die folgende seltsame und finstere Wendung: Der unbeliebte­ste Präsident Amerikas hat kürzlich Jerusalem besucht und dabei seine Sympathie für genau die Menschen entdeckt, die sein fiktionale­r Vorgänger als Untermensc­hen betrachtet hatte.

Hoffentlic­h sind die Empfänger von Trumps plötzliche­r Zuneigung gegenüber diesem neuen Freund ebenso wachsam wie gegenüber ihren Feinden. Mögen sie nie vergessen, dass Israels Schicksal eine zu ernste Sache ist, um als Vorwand für einen impulsiven, unkultivie­rten Abenteurer zu dienen, der seine Autorität oder seine angebliche­n Verhandlun­gsqualität­en zur Schau stellen möchte. Und möge ihnen das in Roths Roman beschriebe­ne Dilemma erspart bleiben, zwischen zwei gleicherma­ßen schrecklic­hen Schicksale­n wählen zu müssen: dem des Opfers Winchell oder dem der willigen Geisel Bengelsdor­f. Amerika hat noch nicht genug von Philip Roth gelesen.

Seine Welt oder Trumps Welt: Das ist hier die Frage. Aus dem Englischen: H. Eckhoff

Copyright: Project Syndicate

BERNARD-HENRI LÉVY ist einer der Gründer der Bewegung der „Nouveaux Philosophe­s“(Neuen Philosophe­n).

 ??  ?? Was nimmt Donald J. Trump als US-Präsident in den Blick? Wohin wird sein Weg führen, wie wird er sich entwickeln? Viele Anzeichen lassen Übles erahnen.
Was nimmt Donald J. Trump als US-Präsident in den Blick? Wohin wird sein Weg führen, wie wird er sich entwickeln? Viele Anzeichen lassen Übles erahnen.
 ?? Foto: EPA ?? Bernard-Henri Lévy: „America first“ist NaziDiktio­n.
Foto: EPA Bernard-Henri Lévy: „America first“ist NaziDiktio­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria